Klein-Muffi

Früher war alles besser, na ja, jedenfalls anders. Die Stadtteile zum Beispiel.
Klein-Muffi. Das war das Viertel rund um die Herz-Jesu Kirche. Von den übrigen Münsteranern hochnäsig als „schofle Bendine“ (üble Gegend) beschimpft.


Hier lebten vor allem „Malocher“, Scherenschleifer, Entfesselungskünstler oder Lumpensammler.


Der Bau des Dortmund-Ems-Kanals, der im August 1899 beendet wurde,  brachte viele Polen, Italiener und vor allem Holländer als Arbeiter nach Klein-Muffi. Den Holländern verdankt das Viertel angeblich auch seinen Namen: Er wurde abgeleitet vom holländischen „Muff“.


Die Gegend um die Ewaldi-, Huberti- und Lambertistraße war wie ein Dorf in der Stadt und bis zum Zweiten Weltkrieg eine Hochburg der Kommunisten.


In den Straßen wurde Platt und die Sondersprache Masematte gesprochen, eine Mischung aus Jiddisch, Rotwelsch und Hebräisch.


Die Kulturgrenze war für die anderen Münsteraner die Pumpe an der Ecke Von-der-Tinnen-Straße. Selbst die Ordnungshüter wagten sich bei der Verfolgung von Missetätern immer nur bis zur Pumpe. Dahinter kam nur Dietz Niehues klar, der allseits beliebte Ortspolizist. Ein Hüne von Kerl, der keine Spirenzkes machte, sondern sich schon Mal die Übeltäter packte und sie mit den Köpfen zusammenschlug oder in den Hintern trat.


Die Mädels aus Klein-Muffi galten als besonders hübsch, aber ihre Herkunft war einfach nicht standesgemäß. Anscheinend waren sie aber nicht nur schön, sondern auch noch schlau:
Einige kauften sich einen billigen Tennisschläger, klemmten ihn sich unter den Arm und stöckelten am Sonntagmorgen auf dem Prinzipalmarkt auf und ab, um sich einen Kerl aus „besseren Kreisen“ zu schnappen. Das klappte auch oft. Allerdings mussten sich die Verehrer, die nicht aus Klein-Muffi kamen, an der Pumpe von ihren Angebeteten verabschieden.
Sonst kassierten sie Klöppe von den „Seegers“ (Masematte für Jungs) aus Klein-Muffi, die eifersüchtig über ihre „Kalinen“ (Masematte für Mädchen) wachten.


Im Viertel wurde auch immer besonders heftig Karneval gefeiert. Fast jeder verkleidete sich und für eine Mark kriegte man die polizeiliche Genehmigung, auf den Straßen tanzen zu dürfen. Wer sich ohne den Erlaubnisschein zum Karnevalfeiern beim abrocken erwischen ließ, musste leider die Nacht im Kittchen verbringen.


Von den anderen Münsteranern wie lausige Ghetto-People behandelt, hielten die Bewohner von Klein-Muffi zusammen. Besonders als es um den Bau eines Gotteshauses „in so einer Gegend“ ging. Die Kirche mit dem höchsten Turm Münsters (nach neuesten Messungen beträgt er 94,63 Meter, früher wurde er immer großzügig mit 103 Metern angegeben) wurde am 22. Juni 1900 feierlich eingeweiht. Die Begeisterung für die Herz-Jesu-Kirche war riesig.  Doch die Frömmigkeit hatte auch ihre Grenzen: Einmal wurden Hochwürden sämtliche Hühner gestohlen. Er fand am nächsten Morgen nur einen Zettel:
„Der liebe Gott ist überall, nur nicht beim Pastor im Hühnerstall.“


Als die Bezeichnung „Klein-Muffi“ immer mehr zum Schimpfwort wurde, erfanden die Leute hier den Ausdruck „Mochum“ für ihr Viertel. Und folgender Spruch machte die Runde:
Mochum ist ein schönes Städtchen, weil es am Kanale liegt.
Drinnen wohnen die schönsten Mädchen – und ein heiligen Pastor.