Wilfried Limke hat viele Jahre Familienforschung betrieben. Als Handwerker und Landwirte lebten seine Ahnen im Münsterland. Darüber und wie die Familie in Münster später auf dem Prinzipalmarkt Fuß fasste, beschreibt Wilfried Limke in seinem Beitrag.
Für die Bereitstellung des Textes und der Bilder danke ich Wilfried Limke herzlich.
Ihr Henning Stoffers
Meine Familienforschung hat mich nach jahrelangen Recherchen mittlerweile zu den namensgebenden Ursprüngen im Jahre 1022 in den heutigen Kreis Coesfeld geführt. In einer ausführlichen Dokumentation habe ich einen tausendjährigen Streifzug durch das Münsterland skizziert, der auch einen genealogischen Trittstein in der Stadt Münster hinterlässt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Familien Limke in Dülmen ihrer Arbeit als Handwerker nachgehen, entwickelt sich für einen Verwandten in der Provinzialhauptstadt Münster eine interessante andere Perspektive. Die verwandtschaftliche Bindung der beiden Familien in Dülmen und Münster wird noch später beschrieben. Doch zunächst ein paar Ausführungen zur historischen Einordnung.
Nach einer über 1200-jährigen bewegenden Geschichte, in der Münster in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts von den Wiedertäufern heimgesucht wird und als Stadt des Friedensschlusses über den 30jährigen Krieg im Jahre 1648 gilt, wird Münster im frühen 19. Jahrhundert (1813) erneut von preußischen Truppen besetzt und kommt unter vorläufige preußische Verwaltung. Im Jahre 1816 wird Münster zur Hauptstadt der neu gebildeten preußischen Provinz Westfalen erhoben. Die Stadt wird zum Zentrum des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in der Region. 1872 bis 1884 tobt in Preußen der Kulturkampf, der in Münster besonders heftig geführt wird.
Der Staat versucht, den Einfluss der katholischen Kirche stark zu beschneiden, was natürlich im streng katholischen Münster zu Widerständen führt. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wird 1875 sogar der Bischof verhaftet, der daraufhin nach Holland ins Exil geht. Der Kulturkampf erzeugt in Münster eine starke Identifizierung der Bevölkerung mit der Kirche, wodurch die eigentlich beabsichtigte Beschneidung ihres Einflusses nicht von großem Erfolg gekrönt ist. Münster erhält in dieser Zeit den Beinamen "nordisches Rom". Die Stadt erhält mit der Eisenbahn und dem Dortmund-Ems-Kanal Anschluss an das Umland und vergrößert sich räumlich und personell sehr schnell. Im Jahre 1815 leben 15.000 Menschen in Münster; 1870 sind es bereits 25.000. Mit einer Einwohnerschaft von 100.000 wird Münster 1914 erstmalig Großstadt.
Im ausgehenden 18. Jahrhundert hat sich parallel zum Dülmener Raum auch eine Verzweigung der Familie Limke, über Saerbeck/Greven kommend, in Münster angesiedelt. Gemäß einem Eintrag im Kirchenbuch St. Georg in Saerbeck und Kontrolleintrag in St. Martinus in Greven heiraten am 20. September 1784 Joannes Wilhelmus Antonius Limke und Anna Gertrudis Lehmann, beide leben zunächst in Greven. Nach einem Umzug nach Roxel sind ihre ersten beiden Kinder dort geboren, weitere sechs Kinder nach einem erneuten Umzug nach Gievenbeck.
Das vierte Kind ist der spätere Zimmermann Joannes Wilhelmus Limke (*1793), der im Jahre 1817 Therese Rose aus Münster heiratet und mit ihr später acht Kinder hat.
Entsprechende Matrikel im Kirchenbuch KB006 der Kirchengemeinde Liebfrauen (Überwasser) in Münster belegen, dass die Familie auch dauerhaft in Gievenbeck eigene Ländereien bewirtschaftet. Die in den Eintragungen benutzte Berufsbezeichnung Ökonom zeichnet Joannes Wilhelmus als Landwirt auf eigenem Land aus.
Einer ihrer Söhne ist der im Jahre 1833 geborene Heinrich Limke, der als viertes Kind seiner Eltern das Drechslerhandwerk erlernt. Er heiratet dreißigjährig im Jahre 1863 Elisabeth Henkhaus (25) aus Münster. Das Ehepaar bekommt kurz hintereinander vier Kinder, wobei das vierte Kind, ein Mädchen, am 20.01.1869 unter der Geburt verstirbt. Bereits einen Tag später erliegt leider auch Elisabeth den Folgen dieser Geburt. Heinrich ist damit früh Witwer und heiratet, mittlerweile 37 Jahre alt, in zweiter Ehe im darauffolgenden Jahr (1870) Helena Uhlenbrock (25) aus Münster und hat mit ihr von 1871 bis 1883 acht Kinder. Wegen der damals noch unzureichenden hygienischen und medizinischen Verhältnisse versterben vier Kinder davon bereits im Kleinkindalter.
Heinrich ist zunächst Kunstdrechsler und später Meerschaumpfeifen-Schneider und macht sich mit diesem zu der Zeit exklusiven Handwerk selbstständig.
Er nennt sich fortan Meerschaumpfeifen-Fabrikant oder später auch einfach Kaufmann. Laut Einträgen in den historischen Melderegistern der Stadt Münster zieht Heinrich im Jahre 1862 zur sogenannten Leischaft Aegidii 160 (heute: Rothenburg 9), wo er auch seine erste Frau Elisabeth Henkhaus kennenlernt. Die junge Familie wohnt zunächst dort und verzieht 1866 innerhalb der Leischaft zur Adresse Aegidii 164 (heute: Rothenburg 5). Nach dem Tod von Elisabeth, seiner ersten Ehefrau, und Wiederverheiratung mit Helena Uhlenbrock zieht die neue Familie im Jahre 1873 zur schon damals sehr prominenten Adresse Prinzipalmarkt 32.
Im Jahre 1875 kauft er das 1602 erstellte, prachtvolle Giebelhaus im Baustil der Spätrenaissance am Prinzipalmarkt und betreibt unter der exklusiven Adresse ein Geschäft für “Galanterie & Luxuswaren“. Die Familie Heinrich Limke wohnt auch in dem Gebäude, was das damalige Melderegister der Stadt Münster belegt.
Als Kaufmann am Prinzipalmarkt in Münster gehört Heinrich Limke zum Großbürgertum, vielleicht sogar zu den Persönlichkeiten der Stadt. Zu den Galanterien und Luxuswaren zählen in der Zeit u. a. Schmuck, Zigarren aus Übersee, Gehstöcke, Silberwaren, Elfenbein- und Porzellanfiguren, Puder- und Riechdosen, Knöpfe, Armbänder, Fächer, Tücher und nicht zuletzt als Spezialität von Heinrich die Meerschaumpfeifen.
Der Name Meerschaum wird 1788 von Abraham Gottlob Werner geprägt und ist die wörtliche Übersetzung der lateinischen Bezeichnung spuma maris, die auf die seifige, poröse Natur des Steins anspielt. Der wissenschaftliche Name Sepiolith wird 1847 von Ernst Friedrich Glocker geprägt und ist die griechische Bezeichnung für Sepien-Stein. Dieser Name spielt auf den kalkhaltigen Schulp der Sepien an, der, wie Meerschaum, leicht und porös ist. Sepiolith wird vor allem zur Herstellung von Meerschaumpfeifen abgebaut. Es dient aber auch zur Herstellung von Schmuckstücken, wie Armbändern, Halsketten und anderem.
Im 19. Jahrhundert ist Wien die Metropole der Meerschaumpfeifenerzeugung. Zu den klassischen Fundorten des Rohmaterials zählt allerdings die Türkei, genauer die Provinz Eskişehir mit ihren tertiären Tonerde-Lagerstätten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Türkei haben dazu geführt, dass Meerschaum nicht mehr als Rohmaterial exportiert werden darf.
Er muss in türkischen Werkstätten zu Pfeifen oder Schmuck verarbeitet werden. Nur sogenannte Halbfabrikate dürfen damals das Land verlassen, um in anderen Ländern mit einem Mundstück versehen und poliert zu werden.
Heinrich verstirbt bereits mit 50 Jahren (1884). Zu dem Zeitpunkt sind seine Kinder noch minderjährig, so dass seine Frau Helena (Helene genannt) das Geschäft allein weiterführt. In den weiteren Jahren schickt sich keines der Kinder an, das Geschäft zu übernehmen. Helene Limke entscheidet sich daher, in der Verwandtschaft einen Nachfolger für den Betrieb zu suchen. Dieser scheint in Anton Limke aus Lüdinghausen zunächst gefunden. Anton Limke, geb. am 24.08.1870 in Dülmen, ist der Sohn des Bruders Wilhelm meines Urgroßvaters Franz Anton Limke. Damit ist die verwandtschaftliche Verknüpfung der Ahnenlinien der Familien Limke zwischen Dülmen und Münster nachweislich.
Im Jahre 1895 zieht Anton, 25-jährig und gelernter Weber, gemäß einem Eintrag im Melderegister der Stadt Münster von Lüdinghausen in das Haus von Helene Limke an den Prinzipalmarkt 32. Nach nur neun Tagen verlässt er jedoch Münster wieder und geht auf Wanderschaft. Es kann vermutet werden, dass er für eine Geschäftsübernahme doch nicht geeignet scheint. Die genauen Umstände sind leider nicht mehr ermittelbar.
Helene Limke führt das Geschäft allein weiter, gibt es 1905 am Prinzipalmarkt auf und zieht für nur kurze Zeit (1905-1906) mit dem Geschäft zur Salzstraße 52, wo sie es letztlich mangels Nachfolge und aus Altergründen aufgibt und ihre Berufstätigkeit einstellt. Das Gebäude am Prinzipalmarkt wird verkauft.
Mit Aufgabe der Geschäftstätigkeit bleibt Helene in Münster wohnen und ist in den darauffolgenden Jahren an vier weiteren Adressen in der Stadt gemeldet, zuletzt und bis zu ihrem Tod am 26. Januar 1922 in der Rudolfstraße 2
Das Gebäude Prinzipalmarkt 32 erlebt eine wechselvolle Geschichte. Erbaut im Jahre 1602 im Renaissance-Stil. Als Hausbesitzer nennt der Kunst- und Kulturhistoriker Prof. Max Geisberg (1875-1943) in seinem Standardwerk (Bau- und Kunstdenkmäler “Stadt Münster“, Bd. 3 Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, 1934) die Familie Schmeddinck um 1720. Ab 1787 wird das Haus durch fast hundert Jahre als Weinhandlung genutzt. Der erste in der Reihe der Weinhändler ist der Ratsherr Osthues, gefolgt von dem Weinhändler und Ratsherrn Greshoff. Bis 1875 ist dann Christoph Bernhard Heinrich Laackmann Weinhändler und Besitzer des Hauses. Von 1875-1905 führt die Familie Heinrich Limke das Luxuswarengeschäft und nach 1905 ist viele Jahrzehnte der Buchhändler Heinrich Thiele Eigentümer und Betreiber des Hauses. Thiele hat nach 1945 auch dafür Sorge getragen, dass das völlig kriegszerstörte Haus wiederaufgebaut wird.
Heute ist das Gebäude Prinzipalmarkt 32 immer noch im Besitz der Familie Thiele. Das Ladenlokal ist an ein Modefachgeschäft verpachtet. Mein Kontakt zur heutigen Eigentümerin hat leider nichts Näheres über die Geschäftstätigkeit von Heinrich Limke ergeben. Es gibt auch keine Unterlagen mehr in der Gebäudeakte, ebenso nicht im Stadtarchiv Münster. Die Wirren des zweiten Weltkriegs haben bedauerlicherweise Unmengen von Material vernichtet.
Für weiterführende Hinweise zu dem Galanterie- & Luxuswarengeschäft von Heinrich Limke wäre ich sehr dankbar.
Quellen
Text: Wildfried Limke
Redaktion: Henning Stoffers