im Mai 2021
Dr. Jochen Dirichs fragte mich, ob ein Beitrag über den Maler Helmut Gockel veröffentlicht werden könne. Gockel sei ein Maler der gemalten Poesie gewesen und habe Münster aus einer anderen Perspektive mit Strahlkraft auf die Leinwand gebracht.
Ich musste gar nicht überzeugt werden und habe den folgenden Text von Herrn Dr. Dirichs mit Dank sehr gern übernommen.
Ihr Henning Stoffers
Helmut Gockel lernte ich anlässlich der „exponata ‚86“ kennen – der zweiten von drei „exponata“-Ausstellungen „Kunst aus Westfalen in Münster“. In der Bürgerhalle des Rathauses als einem der Ausstellungsorte hing sein Bild „Münster-Collage“ – eine eher unechte Collage, da nicht aus mehreren Materialien bestehend, sondern „nur“ aus Öl. Auf die Leinwand gebracht hatte der Künstler verschiedene Charakteristika der Stadt Münster in unterschiedlichen Maßstäben.
Mir gefiel das Opus auf Anhieb; es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Anderen gefiel das Bild offenbar auch: Zufällig am selben Tag war auch mein Vater im Rathaus. Abends rief er mich an: „Im Rathaus hängt ein schönes Bild.“ Er meinte das obige. Wichtiger war mir, dass die „Münster-Collage“ auch meiner Frau gefiel. Am nächsten Tag „jagte“ ich sie in ihrer Mittagspause ins Rathaus: Volltreffer!
Am darauffolgenden Tag zog ich – „bewaffnet“ mit einem Zollstock – erneut ins Rathaus. Argwöhnisch beäugt vom Aufsichtspersonal – war da etwa ein Attentat auf das Kunstwerk geplant? – maß ich 150 x 120 cm.
Zu Hause angekommen habe ich – sozusagen noch in Hut und Mantel – den Platz inspiziert, an dem die Collage schon seit zwei Tagen in meinen Gedanken hing. Aber bei aller Emotion und allem Enthusiasmus – für diese Stelle war das Bild einfach zu groß. Für 150 x 120 cm bot sich auch keine andere geeignete Stelle an, ohne dass das Bild alle anderen Einrichtungsgegenstände in näherer oder weiterer Entfernung erschlagen hätte. Was tun?
Abends griff ich zum Telefon. (Bei Helmut Gockel saß zu diesem Zeitpunkt ein dienstlicher Kollege - ohne dass wir voneinander wussten -, dem das Bild offenbar auch gefiel und den ich schon als „Konkurrenten“ um die „Münster-Collage“ wähnte. Für seine Behausung war das Bild – wie ich am nächsten Tag im Büro erfuhr – allerdings auch zu voluminös. Für ihn hat Helmut Gockel dann „Dom mit Wochenmarkt“ gemalt.) Nach telefonischem Vortrag dessen, was der Leser bis hierher vernehmen konnte, machte der Künstler den Vorschlag, ihn in Münster-Nienberge zu besuchen. Er könne, wenn gewünscht, ein ähnliches Bild in anderen Dimensionen malen. Dieser Besuch hat nicht lange auf sich warten lassen; Helmut Gockel, meine Frau und ich waren uns dann in seinem Atelier schnell einig.
Aber dann kam’s: Als ich mich nach ein paar Wochen nach dem Stand der Dinge erkundigte, meinte Helmut Gockel, dass sich das Werk in einem Entwicklungszustand befinde, der nach „Zwischenabnahme“ durch meine Frau und mich rufe. Wir machten also unseren zweiten Besuch in Nienberge: Meine Frau fand Gefallen; ich stand etwas sprachlos da. Warum? Kompositorisch, farblich – für meinen Geschmack alles o.k.. Dennoch – zwei Dinge störten mich außerordentlich: Außer Domtürmen, Spitze der Lambertikirche, Riesenrad, Aasee, Rathaus im Flaggenschmuck, Prinzipalmarkt mit Flaneuren und westfälischem Bauernhaus mit Kopfweide hatte der Künstler auch den Überwasserkirchturm und Kuh mit Kalb vor dem Bauernhaus auf die Leinwand gebannt. Neben Dom und St. Lamberti noch Überwasser – das war mir doch etwas viel „schwarz“ für Münster. Und vor dem Bauernhaus hätte ich statt des Rindviehs lieber ein Pferd als Symbol Westfalens gesehen. Meiner Frau dagegen gefiel alles wunderbar: Die Rindviecher fand sie sehr gut getroffen, und die Überwasserkirche war aus ihrer Sicht ein „Muss“, denn in dieser Kirche war sie zur Erstkommunion gegangen. Es kam dann zwischen meiner Frau und mir zu einem – Gott sei Dank nur verbalen – Schlagabtausch. Den schlichtete nach einigen Minuten Helmut Gockel, indem er entschied: „Rindvieh bleibt, Überwasser wird übermalt.“
Da meine Frau und ich uns einig waren, dass man einen Künstler – auch wenn es sich um eine Auftragsarbeit handelt – nicht „vergewaltigen“ soll – haben wir diesen „Schiedsspruch“ sofort akzeptiert.
Das Bild hat bei uns einen Ehrenplatz. Helmut Gockel hat sein Werk noch begleitet, als es bei uns schon an der Wand hing: Er hat durch Übermalen die Stadtfarben der am Rathaus hängenden Fahne noch in die richtige Reihenfolge gebracht.
Diese – nunmehr auf die Maßstäbe unserer Wohnung zurechtgestutzte – etwas kleinere „Münster-Collage“ (100 x 80 cm) war Auslöser einer freundschaftlichen Verbindung, die bis zu Helmut Gockels Tod gehalten hat. In dieser Zeit hat unser erster „Gockel“ viel „Nachwuchs“ bekommen, weil Helmut Gockel ein generöser Mensch war: Zu Kaffee-Einladungen brachte er statt eines Blumenstraußes immer eines seiner neuen Werke mit – in Motiv und Größe variierend. Aber unsere „Münster-Collage“ ist auch nach den vielen Jahren immer noch eines unserer Lieblingsbilder: Es war eben unser erster „Gockel“, zudem mit einer netten Episode verbunden (s.o.).
Die größere, 1986 im Rathaus ausgestellte „Münster-Collage“ ist anlässlich der Ausstellung „Kunst in der Verwaltung“ (1988 in der damaligen Oberfinanzdirektion Münster) nach einem „sanften Hinweis“ an meinen ehemaligen Chef für die künstlerische Ausgestaltung des Bildungszentrums der Bundesfinanzverwaltung in Münster angekauft worden.
Unsere kleinere „Münster-Collage“ hat der Industriefotograf Hans Eick auf Empfehlung von Helmut Gockel und mit unserer Zustimmung für den von der Verkehrsverein Münster GmbH herausgegebenen Kalender „Münster 1988“ (Künstler sehen eine Stadt: Münsterische Ansichten mit Pinsel, Zeichenstift und Fotolinse) fotografiert. In diesem Kalender wurden zwölf aktuellen Münster-Fotos motivgleiche Gemälde aus mehreren Jahrhunderten gegenübergestellt.
Aber – wer war eigentlich Helmut Gockel?
Am 4. Oktober 1915 in Münster geboren, machte Helmut Gockel nach der Schulzeit eine Lehre bei einem Kirchenmaler in Münster. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre studierte Gockel in Düsseldorf; er machte die Bekanntschaft des Malers Carl Busch, der ihn als Bühnenmaler und –bildner an das Städtische Theater in Münster empfahl. Erste Ausstellungen fanden 1939 statt – in Münster u.a. in den Kunststuben Coppenrath und im damaligen Landesmuseum.
Nach einem Kriegseinsatz in Norwegen, der Gockel zu vielen Impressionen dieses Landes inspirierte, fanden ab 1946 wieder Ausstellungen statt – die erste (gemeinsam mit dem norwegischen Maler Einar Berger) in Barcelona. Danach war Gockel nur noch freischaffend tätig. Aufträge erhielt Gockel deutschlandweit u.a. auch von vielen kirchlichen Einrichtungen, weil er neben Ölbildern auch Glasbilder und Glasfenster schuf, so u.a. für die Kreuzkirche in Münster, für Kirchen in Lünten bei Vreden, Gronau, Olfen, Schmedehausen und das Kloster Gerleve. Eines seiner schönsten Mosaiken befindet sich im Treppenhaus der Sebastian-Apotheke in Münster-Nienberge.
Seit 1953 war Helmut Gockel Mitglied der Künstlergemeinschaft „Schanze“ in Münster. Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen im In- und Ausland folgten. Seine Werke kauften u.a. Banken, Versicherungen und Behörden; viele Bilder befinden sich im Privateigentum.
Noch zu erwähnen sind zwei Publikationen, die einen guten Überblick über das Schaffen Helmut Gockels geben:
Die eine ist der Ausstellungskatalog, der 1995 anlässlich der Einzelausstellung in der damaligen Oberfinanzdirektion Münster erschienen ist. Auf neunzig Seiten sind dort überwiegend Eindrücke von Landschaften und Reisen insbesondere nach Norwegen und in die Toskana wiedergegeben. Den begleitenden Text hat Dr. Johannes Hasenkamp verfasst, der damalige Chef-Feuilletonist der „Westfälischen Nachrichten“, der auch in das Werk Gockels anlässlich der Ausstellungseröffnung am 21. November 1995 eingeführt hat.
Die zweite Publikation ist eine 130 Seiten starke „Broschüre“, die nach Helmut Gockels Tod erschienen ist und zu der der münsterische Bildhauer Hubert Teschlade das Vorwort verfasst hat. Unter Koordinierung von Arnold Stelzig und Erna Wieden, der langjährigen Lebensgefährtin Gockels, erinnern sich Freunde, Bekannte, Verwandte, Nachbarn und Sammler an den Künstler durch verschiedene Beiträge, die Helmut Gockel wieder lebendig werden lassen. Komplettiert werden diese Beiträge durch Fotos, Abbildungen von Werken aus dem Nachlass und eine Auswahl von Presseartikeln seit 1939. Der Erstellung dieser Gedenkschrift vorausgegangen war ein gemeinsamer Erinnerungsabend des o.a. Personenkreises am 20 September 2004 im Pfarrzentrum St. Sebastian in Münster-Nienberge, anlässlich dessen um Beiträge für die o.a. Gedenkschrift geworben wurde und Hubert Teschlade seinen Film über Helmut Gockel präsentiert hat.
Helmut Gockel ist am 28. Mai 2003 in Münster gestorben.
Wer interessiert ist, ein Werk von Helmut Gockel zu erwerben, kann sich unter „emrochau@t-online.de“ melden.
Quellen
Text und Abbildungen: Dr. Jochen Dirichs
Redaktion: Henning Stoffers