Liebe Leserin, lieber Leser,

Renate Rave-Schneider ist Autorin und Radio-Moderatorin, ...und verhaftet mit Münsters Kulturszene. Schreiben und Literatur sind ihre Leidenschaft.

 

Meinen ersten Kontakt mit Renate Rave-Schneider bekam ich bei der Suche nach Informationen über Busso Mehring. Dank ihrer Mithilfe hat sie zum Gelingen seines Lebensbildes beigetragen. - Nun freue ich mich, ihre Erinnerungen an die damals neuen Aasee-Kugeln hier veröffentlichen zu können.

 

Ihr Henning Stoffers


Renate Rave-Schneider

Als die Kugeln in den Aasee rollen sollten

Foto ca. 1977: Privatarchiv von Renate Rave-Schneider
Foto ca. 1977: Privatarchiv von Renate Rave-Schneider

Es ist einer dieser lichtvollen Sommerabende im Juni, wir haben das Jahr 1977. Gestern ist die erste Skulpturen-Ausstellung hier eröffnet worden, sie soll die westfälische, als konservativ geltende Stadt für moderne Kunst öffnen, sie soll Münster als Kunst - und Wirtschaftsmagnet stärken und Touristenströme in die Stadt bringen, die Hotelbetten und Geschäfte hier füllen.

 

Doch zunächst mal werden die Künstler und Gehilfen, die die Kunstwerke im Bereich des Aasees und der Promenade installieren, von vielen älteren Einheimischen mit Argwohn beäugt oder mit einem Kopfschütteln registriert.

 

Da liegen sie auf den Aasee-Wiesen, drei überdimenisonal große Billardkugeln des Künstlers Claes Oldenburg, aus schlichtem grauen Beton, 3,5 Meter groß im Durchmesser, etwas versetzt - ja, wie wirken sie. Wollen diese Kunstwerke hier nun fest verankert sein oder streben sie nicht selber nach Veränderung?

Die Kugeln um 1990
Die Kugeln um 1990

Es ist Freitagabend, der 10. Juni 1977, ein warmer und ausgesprochen schöner Sommerabend. Nur einige Schäfchenwolken zeigen sich am noch blauen Abendhimmel um 21 Uhr. Heute ist am Aasee und um den Aasee herum alles auf den Beinen, was jung und hip ist, was für moderne Kunst ist oder dagegen, ob Student oder Angestellter, ob in Beschäftigung oder arbeitslos.

Foto 2016: Privatarchiv von Renate Rave-Schneider
Foto 2016: Privatarchiv von Renate Rave-Schneider
Picknick - April 2011
Picknick - April 2011

In der Mensa an der nahen Bismarckallee tobt lautstark ein Feten-Publikum. Von der Promenade dringen Trommelwirbel, auf dem Wasser selber sind Stimmern aus diversen Segelbooten zu hören, ja, Musik liegt in der Luft.

Die Wiesen rund um die neu installierten Betonkugeln sind sowieso bevölkert - es wird gelagert, gegrillt, getanzt. Und die unterschiedlichsten Personen-Gruppen finden sich ein, dazwischen auch Leute aus der Kunstszene und Studis in leichten, wallenden Gewändern: Orange-rot mit Malas, die Bhagwan–Anhänger auszeichnen, Leute in engen Jeans mit ausgestellten Hosenbeinen und solche in Shorts und Hotpants. Sie haben Schellenkränze, Flöten und Trommeln dabei, und schnell formiert sich ein Grüppchen, das beginnt, sich um die Kugeln herum in Bewegung zu setzen.

Intuitiv begebe ich mich dazu, ich trage ein langes Chiffon-Kleid in bleu und lila, es hat Flügelärmel und wird nach unten hin weit, es gibt mir die Möglichkeit, meine Hände wirkungsvoll zu erheben und diese weithin sichtbar auszustrecken. Mir ist so , als wenn all diese Menschen aus dem Pulk mich bitten, für dieses Event die Regie zu übernehmen, und so tanzen wir – zu Klängen von Jethro Tull um die Kugeln herum, wir machen eine Polonaise, wir machen einen Eiertanz, wir öffnen den Kreis und schliessen ihn wieder, jeder tanzt für sich, wir beginnen mit Figuren werfen, wir kreisen um die Kugeln und rufen dabei: Rollt sie in den Aasee, rollt die Kugeln in den Aasee. Es ist nicht aggressiv gemeint, sondern es ist halt eine Kunst-Aktion.


Quellen

Text und Idee: Renate Rave Schneider

Redaktion: Henning Stoffers

Fotos, sofern nicht anders angegeben:

Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank Thie - Stadtarchiv)