Den Mörtel mit Blut anrühren

Mein Vater war ein Bauunternehmer, der Grundsätze hatte, heimatverbunden und tief religiös war. Er arbeitete stets mit dem gespitzten Bleistift, den Rechenschieber in der Hand und auch im Kopf; niemals kaufte er sich Notizblöcke, er nutzte stets die Rückseiten der geöffneten Briefpost, hielt uns kurz aber gab uns immer Alles, was wir brauchten und konnte überraschend großzügig sein. Er bot uns Möglichkeiten an, durch kleine Arbeiten, etwas Geld zu verdienen - im Gegensatz zu vielen Kindern, die auch damals schon Taschengeld bekamen. Natürlich suchte er seinen Profit aber gleichzeitig haben sich seine Worte bei mir eingegraben, die ich heute, in der hektischen Geschäfts und Arbeitswelt, so sehr vermisse. “Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ oder “Der mit dem du handelst, muss auch leben und verdienen.“. Sein Gerechtigkeitssinn ließ bei uns 5 Kindern nie den Verdacht aufkommen, er würde einen von uns bevorzugen wollen.

 

Jetzt lese ich gerade in der Biografie über Theo Breider (Internetseite von Henning Stoffers) und viele Erinnerungen kommen in mir auf. Es heißt dort über ihn, dass er die Lüge hasste und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte, dass er seine Heimat über alles liebte, tief gläubig war aber auch sein Talent nutzte, um viel (die Bockwindmühle, den Mühlenhof und vieles mehr) für unsere schöne Stadt zu erreichen. Der Oberbürgermeister Beckel sagte damals, dass niemand, ohne Raub und Mord, in Münster jemals soviel Geld (für die Stadt) geschnorrt hat.

 

Hier kreuzen sich meine Erinnerungen an meinen Vater und Theo Breider. Die eben beschriebenen Tugenden treffen auf beide zu, beide waren auch in ihre Weise Originale und haben unglaublich viel geschaffen und hinterlassen; so ist es auch kein Wunder, dass sie sich begegneten. Obwohl mein Vater niemals verschwenderisch war, schaffte es Theo Breider doch immer wieder, ihn davon zu überzeugen, dass er Wagen und Geräte, Arbeiter und Material für die Errichtung von Gebäuden auf dem Mühlenhof – natürlich kostenlos - bereitstellen müsse. Als Kind habe ich es nicht verstanden aber heute erkenne ich die Ähnlichkeiten im Charakter der Beiden, und so ahne ich wie es dazu kam.

 

Eines Tages sollte der Boden im „Gräftenhof“ nach Anleitung uralter Dokumente neu verlegt werden. Benötigt wurde eine Mischung aus Zement, Sand und Ochsenblut (daher die markant rote Farbe des Bodens). Ich war Ohrenzeuge, als Theo Breider das meinem Vater erklärte. Insgeheim hoffte ich damals, dass er sich nun aber endlich auch einmal einen „Korb“ einhandeln würde. Meine Hoffnung war vergebens; auch mit diesem Anliegen hatte der erste „Baas des Mühlenhofs“ wieder Erfolg. Mein Vater besorgte das Blut und stellte auf seine Kosten die Arbeiter ab, die dann genau nach alter Rezeptur den Mörtel mit Blut anrührten. Ich habe es damals nicht verstanden, dass er (was so gar nicht zu ihm passte), diesem Mann fast hörig war. Heute lese ich (in Henning Stoffers Biografie) über ihn, dass er zwar viele persönliche Tugenden (s.o.) hatte. aber einmal auch unumwunden zugab:

“Wer keinen Wind macht, kann auch keine Mühle bewegen.“


Norbert Nientiedt

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