Liane Hall lernte ich vor etwa 15 Jahren kennen. Und das kam so: Mein Portemonnaie mit Geld und Ausweisen war mir aus der Tasche gefallen. Lianes Sohn hatte es zu meiner großen Erleichterung gefunden.
Liane und ihr Mann Michael sind Besitzer eines Fitnessstudios in Münsters Norden. Meine Frau, die dort regelmäßig trainiert, empfahl mir, unbedingt Liane zu interviewen. Warum? Die Antwort gibt Ihnen die nachfolgende Geschichte.
Ihr Henning Stoffers
Im Vorgespräch sagte Liane, man könne nichts über sie schreiben, was berichtenswert wäre. So interessant und spannend sei ihr Leben bisher nicht gewesen, dass andere Menschen darüber lesen würden.
Ja, diese Einschätzung habe ich im Laufe verschiedener Interviews oft gehört. Aber immer wieder hat sich diese Meinung nicht bewahrheitet. So ist es auch bei Liane, die einen nicht immer einfachen Lebensweg gegangen ist. Was sie auszeichnet sind ihre ausgeprägte positive Lebenseinstellung und ihr Humor.
Die Berliner Mauer ist noch nicht gebaut, als der 17jährige Metzger Gerhard Hofmann aus Chemnitz die DDR verlässt. In Oldenburg lernt er Liane kennen. Beide arbeiten in der gleichen Fleischfabrik.
Als ihr Baby im November 1961 zur Welt kommt, sind die Eltern mit 21 bzw. 19 Jahren noch sehr jung. Das Geld ist knapp. Zudem bekommt Gerhard nur einen reduzierten Lohn, obwohl er genauso viel arbeitet wie seine älteren Kollegen. In jenen Jahren wird der volle Lohn erst gezahlt, wenn das 25. Lebensjahr erreicht ist.
Die Namensfindung für das Baby gestaltet sich einfach: Lianes Mutter hat blonde Haare und blaue Augen. Warum soll das Baby ihr nicht auch darin später ähneln? Zudem lief Ende der 50er Jahre der Film ,Liane, das Mädchen aus dem Urwald' mit einer blonden Hauptdarstellerin. So wird beschlossen, das Baby ebenfalls Liane zu nennen. Aber die Natur ist unberechenbar; die kleine Liane hat dunkle Haare und ähnelt mehr dem Vater als der Mutter.
Lianes Kindheit ist geprägt von früher Selbständigkeit und großer Sparsamkeit. Ihre Eltern arbeiten ganztägig. Sie ist als sogenanntes Schlüsselkind früh auf sich alleingestellt. Nach der Schule putzt und saugt sie das Haus, wärmt sie das Essen auf, beaufsichtigt ihren kleinen Bruder, macht die Schulaufgaben und geht zum Spielen nach draußen. Darunter leidet Liane nicht, sie arrangiert sich mit der Gegebenheit.
Es sind die Jahre des Wirtschaftswunders - auch für die junge Familie Hofmann: Am Rande Oldenburgs wird mit dem Bau eines Eigenheims begonnen. Das wenige Geld wird mühsam für das Häuschen zusammengespart. Das Haus baut der Vater in Eigenleistung - er ist stolz darauf. Bald steht ein Moped vor der Tür und später das Auto.
Liane kommt in die Grundschule. Sie ist ein aufgewecktes Mädchen, ein kleiner Wirbelwind, selbstbewusst und gern laut sprechend. Die Lehrerin mag sie nicht besonders und empfiehlt Liane lediglich für die Hauptschule.
Damit gibt sich Liane nicht zufrieden, sie fühlt sich ungerecht behandelt und nimmt an der Aufnahmeprüfung der Realschule teil. Das Ergebnis: Ihr wird bescheinigt, dass sie fürs Gymnasium geeignet ist.
Liane erinnert sich gern an ihre glückliche Kindheit und an ein liebevolles Elternhaus. In nächster Nähe ist viel Natur, und Kühe weiden in der Nachbarschaft. Sie spielt mit dem Nachbarjungen gern ,Vater, Mutter, Kind' und hat dabei als Mutter viele, viele Kinder. Ihre kleine Welt ist, so wie sie ist, für Liane in Ordnung.
Selbständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit sind für Liane wichtig. Bereits mit 13 Jahren verdient sie sich eigenes Geld beim Kaufhaus Real. 275 DM sind es im Monat, die ihr fürs Putzen gezahlt werden.
Mit 14 belegt Liane einen Tanzkursus und lernt ihre erste große Liebe kennen. Vom selbstverdienten Geld macht sie ihren Führerschein und kauft sich einen VW-Käfer.
Mit fast 18 Jahren bekommt Liane von der Freundin ihrer Mutter eine Einladung nach Athen. Dort begegnet sie dem sieben Jahre älteren Ken und folgt ihm nach Los Angeles. Ken ist Arzt und gehört mit seiner Familie zum Jet-Set von LA. Für Liane ist dies eine fremde, unbekannte Welt. Als sie erzählt, dass ihr Vater in der Fleischbranche arbeitet, ist er für die Leute - wie selbstverständlich - Besitzer von Fleischfabriken. Liane fühlt sich wie eine Landpomeranze - das ist nicht ihre Welt! So hat sie eine Erfahrung gemacht, die wichtig für ihr weiteres Leben ist.
Zum Zeitpunkt des Abiturs verlässt Liane Oldenburg nach Münster. Sie hat noch keine Vorstellungen über ihr Berufsziel. Aber eines weiß Liane sicher: Sie möchte eingenständig sein, eine Familie gründen und Kinder haben.
Als sie sich darüber im Klaren ist, folgt der entscheidende Schritt:
Liane meldet sich bei der Timmermeister-Schule an, jobbt nebenbei fürs Schulgeld und die Lebenshaltungskosten und wird nach dreijähriger Ausbildung staatlich geprüfte Sport- und Gymnastiklehrerin.
Es ist ein Tag im Jahre 1984, eigentlich ein Tag wie jeder andere, aber er endet tragisch.
Lianes Freunde, Gene und John aus den USA, warten auf sie. Die beiden Freunde vertreiben sich die Zeit, trinken Alkohol und geraten aus nichtigem Anlass in einen harmlosen Streit, als Gene plötzlich das Bewusstsein verliert und am Erbrochenen erstickt.
Für Liane und John ist der Tod des Freundes ein albtraumhaftes Geschehen, haben sie doch erstmals das Sterben im näheren Umfeld erlebt. John kehrt in die USA zurück. Münster hat er nie wieder besucht - es wäre für ihn zu schrecklich gewesen.
Die Jahre der beruflichen Qualifikation beginnen. Liane möchte Erfahrungen sammeln und etwas Eigenes auf die Beine stellen. Sie ist jung, optimistisch, neugierig und nicht ängstlich, Neuland zu betreten, auch wenn finanzielle Risiken damit verbunden sein könnten.
Sie arbeitet in verschiedenen Fitnessstudios und Massagesalons. Sie gibt Jane-Fonda-Aerobic-Kurse. Nebenbei entdeckt Liane das Bodybuilding und nimmt an Meisterschaften teil.
1992 lernt Liane Michael Hall kennen, sie heiraten 1996. Das neue Fitnessstudio ,Hall of Sports' wird 1993 eröffnet, und zwar gegenüber dem heutigen Standort. Und bei den Halls stellt sich zwischenzeitlich großes Glück ein: Liane wird Mutter von zwei Jungen. Lianes langgehegter Kinderwunsch hat sich erfüllt
Liane und Michael leiten mit Verve gemeinsam ihr Unternehmen. Aktuell muss die Corona-Pandemie bewältigt werden. Beide sind optimistisch, dass auch diese Hürde genommen werden kann.
Bodybuilding war für Liane eine ihrer Lieblingssportarten.
Als Chefin eines Fitnessstudios hast Du viel mit Menschen zu tun. Was freut Dich?
Es ist wunderbar, jeden Tag aufs Neue die Vielfältigkeit meiner Besucher zu erleben. Mir kommt es darauf an, jedem Einzelnen über den Sport Lebensqualität zu vermitteln, und dies auch bis ins hohe Alter.
Ich beobachte seit vielen Jahre, dass unser Unternehmen ganz nebenbei auch für viele neue Partnerschaften gesorgt hat. Der Sport führt eben Menschen zusammen, und darüber freue ich mich.
Was ärgert Dich?
Das Kleinkarierte, negatives Denken und Zaghaftigkeit.
Gab es Tiefschläge?
Es gab Krankheit in der Familie. Dann waren die Anfänge der Firma nicht immer ganz einfach, ein traumatischer Todesfall im Freundeskreis und andere traurige Erlebnisse. Mein Leben hatte bis zum heutigen Tag jede Menge Höhen und Tiefen. Aber eines ist wichtig: meine positive Lebenseinstellung, dass alles sich wieder zum Guten wenden wird.
Was bedeutet Münster für Dich?
Familie und Freunde, Arbeit und Münster - dies alles ist mein Lebensmittelpunkt. Das eine wäre ohne das andere nichts.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest, der wäre?
Die Gesundheit meiner Familie. Ich habe viel Krankheit und Tod im näheren Umfeld erlebt, so dass ich sehr gut weiß, wie wichtig die Gesundheit ist.
Dein schönstes Erlebnis?
Es sind zwei schönste Erlebnisse: Die Geburt meiner beiden Söhne. Es war ein tief emotionales Erleben. Mein großer Wunsch nach Kindern und Familie
hatte sich erfüllt.
Eine Anekdote?
Was mir spontan einfällt, ist die Frage meines Jüngsten, wo denn Zentra-lasien liegt. Ich war völlig irritiert. Was meint er nur? Dann hatte ich es; er hatte die Silben falsch verbunden; Zentralasien war gemeint.
Wie erlebst Du das Älterwerden?
Ganz entspannt. Ich fühle mich wohl in meiner Haut, bewege mich (dies schon von berufswegen), habe viele soziale Kontakte und erfreue mich an vielen Dingen des Lebens. Und: Ich lebe gern.
Deine Lieblingsspeise?
Ich liebe Schokolade. Esse aber nur wenig davon, ich genieße. :-)
Was macht Dich traurig?
Lügen, dummes Gerede. Es gibt Menschen, denen es Freude macht, Zwietracht zu säen oder die ihre eigenen Unzulänglichkeiten bei Dritten ablassen. Mein Wunsch: Du hast ein Problem? Dann sprich die Person an, die es betrifft. Andere interessiert es nämlich nicht.
Was bedeutet Corona für Dich?
Stress!!! Ich verstehe die Sorgen und Ängste einzelner und versuche in meinem Job, dies zu berücksichtigen, so wie alle sich unter diesen Umständen mit der Situation arrangieren. Und trotzdem habe ich den Eindruck einer Massen-Depression.
Kannst Du aus ,der Haut fahren'?
Ja, bei Ungerechtigkeit und Agressivität gehe ich wie ein HB-Männchen in die Luft. Mein Wunsch: Habt Respekt voreinander und toleriert unterschiedliche Meinungen.
Was hättest Du einmal werden wollen?
Ich wollte Ärztin werden. Aber so wie es geworden ist, ist es gut.
Liane Hall habe ich als eine Frau mit einem ausgeprägten humorigen und offenen Wesen kennengelernt. Sie gehört zu den Menschen, die um sich herum eine besondere Wohlfühlaura verbreiten. Dabei verbergen sich im Hintergrund Ernsthaftigkeit und Tiefgang. All dies sind Eigenschaften, die ihre Persönlichkeit ausmachen.
Diese unkomplizierte, sehr angenehme Natürlichkeit habe ich bei unserem Gespräch erlebt. Ich danke Liane für das Kennenlernen.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen wenn nicht anders benannten: Liane Hall