was kann ein pensionierter Oberstaatsanwalt erzählen, der in Münster für ,Mord und Totschlag' zuständig war? Ich war neugierig auf den Menschen Heribert Beck, der über viele Jahre Gewaltverbrechen unter die ,Lupe' nahm, zu deren Aufklärung beitrug und mithalf, die Täter ihrer Strafe zuzuführen.
Heribert Beck blickt auf eine langes, bewegtes Berufsleben zurück, und so freue ich mich, ihn an dieser Stelle zu Wort kommen zu lassen.
Ihr Henning Stoffers
Heribert Beck wuchs mit zwei älteren Brüdern in - wie man so sagt - ,kleinen Verhältnissen' auf. Geboren wurde er 1950 in Theiningsen, einem späteren Ortsteil der Großgemeinde Möhnesee. Sein Vater war landwirtschaftlicher Angestellter auf dem Hof seines Schwagers. In der Landwirtschaft wurde wenig verdient, und der Lohn bestand zum größten Teil aus Deputaten, so dass das benötigte Geld für weiterführende Schulen nur unter Opfern und größeren Einschränkungen für die Eltern aufgebracht werden konnte. Die Eltern wollten, dass es ihren Kindern einmal besser gehen sollte, und sorgten für deren höhere Schulausbildung. Die Armut seiner Familie hat Heribert in seiner Kindheit aber gar nicht so richtig bemerkt.
Heribert genoss in seinen jungen Jahren die Nähe zur Natur und zu den Tieren des Bauernhofes. Es wurde viel Fußball gespielt, mit 14 war er bereits Mitglied der Katholischen Jugendgruppe und des Schützenvereins, wie fast alle seiner dörflichen Jugendfreunde. Er half auf dem Bauernhof mit. Wie für alle anderen gehörte der sonntägliche Kirchenbesuch für ihn auch mit dazu.
Nach dem Besuch der Volksschule in Günne (jetzt Möhnesee-Günne) und bestandener Aufnahmeprüfung ging es 9 Jahre aufs Soester Aldegrever-Gymnasium. Nach dem Abitur 1969 wollte Heribert zur Polizei gehen. Alle Hürden waren bereits genommen, als zu guter Letzt bei der medizinischen Untersuchung eine Rückgratverkrümmung attestiert wurde. Es war das Aus für den Polizeidienst.
Heribert ging - bei damals 18-monatiger Wehrpflicht - für 2 Jahre freiwillig zur Bundeswehr und schied im September 1971 als Leutnant der Reserve aus.
Die Wahl des richtigen Studienfachs fiel Heribert Beck zunächst schwer. Das begonnene Studium der Germanistik und der Geografie in Münster lag ihm überhaupt nicht. So fiel nach einem Semester seine Wahl auf die Rechtswissenschaften, die ihn dann von Anfang an in den Bann zogen. Jura war sein Ding und sollte für sein künftiges Leben bestimmend sein.
Im 2. Semester trat er der katholischen, nicht schlagenden und nicht farbentragenden Studentenverbindung KStV Ravensberg bei, der er heute noch angehört.
Für das Studium war eine finanzielle Unterstützung durch das Elternhaus nicht möglich, so dass er seinen Lebensunterhalt vom kargen Bafög mit anfangs 380 DM fristen musste. Allein für die Zimmermiete waren schon 140 DM zu entrichten. Daher musste in den Semesterferien zusätzliches Geld verdient werden - sowohl als Bauhilfsarbeiter als auch als Mitarbeiter bei einer Spezialfirma für Kampfmittelbeseitigung.
1977 bestand Heribert Beck das 1. Staatsexamen und war danach unter anderem beim Landgericht Bochum als Referendar tätig. Nach seinem 2. Staatsexamen trat er Ende 1979 bei der Staatsanwaltschaft Dortmund den Dienst an. Nach dem ersten Probejahr war er für ein weiteres Jahr Richter am Landgericht Bochum und danach wieder Staatsanwalt in Dortmund. Heribert Becks Ziel war aber eine Stelle bei der Staatsanwaltschaft in Münster. In diese Stadt, die er während seines Studiums lieben und schätzen gelernt hatte, wollte er gerne zurückkehren.
1983 war es dann soweit - seine Bewerbung nach Münster hatte Erfolg. Sein erstes Tätigkeitsfeld führte ihn in eine Sonderabteilung für Strafverfahren gegen Rechtsanwälte, die sich nicht ,regelkonform' verhalten hatten.
Auf eigenen Wunsch kam er 1989 in die neugegründete Abteilung für ,Organisierte Kriminalität'. Hier erwartete ihn sein erster großer Prozess gegen eine Rotlichtgröße aus Gronau. Dieser Mann hatte die kleine Stadt lange Zeit in Atem gehalten. Der Prozess dauerte 18 Monate, weil die Verteidigung alle Möglichkeiten der Prozessverzögerung voll ausschöpfte. Zeugen wurden zudem eingeschüchtert, und für Staatsanwalt Beck war dieses Verfahren die erste große Herausforderung seiner Laufbahn.
2002 gab es den Wechsel in die ,Mordabteilung', die er dann von 2011 bis zu seinem Ruhestand leitete. Hinzu kam das Amt des Pressesprechers der münsterschen Staatsanwaltschaft.
Hat Ihr Beruf Sie privat geprägt?
Ich denke, dass mich mein Beruf zutiefst geprägt hat. Dabei nimmt mein Gerechtigkeitssinn auch im Privaten eine besondere Rolle ein. Einige Erfahrungen bei der Bundeswehr waren für mich im Umgang
mit Menschen sehr prägend und wertvoll: die Fairness.
Als Staatsanwalt oder als Richter hat man eine große Machtposition, mit der verantwortungsvoll und sorgsam umgegangen werden muss. Es wäre für mich unerträglich, einen Unschuldigen hinter Gitter zu wissen, für dessen Verurteilung ich (mit-) verantwortlich gewesen wäre.
Haben Sie Mitgefühl oder Verachtung für Straftäter?
Für einen Berufskriminellen der Organisierten Kriminalität gehört ein Strafverfahren zum Berufsrisiko. Diese Leute wissen, was auf sie zukommt, und nehmen dieses mit gewisser Gelassenheit und Pragmatismus hin. Ein Rauschgifthändler weiß genau, was ein Gerichtsverfahren für ihn bedeutet. Die Abwicklung solcher Prozesse ist routiniert und in der Regel nicht emotionsgeladen.
Bei den Tötungsdelikten handelt es sich dagegen in den meisten Fällen um Beziehungstaten. Verschmähte Liebe, das Gefühl, verlassen worden zu sein, und Eifersucht sind oft das Motiv. In gewisser Weise sind solche Taten zwar menschlich nachvollziehbar, aber mit Blick auf das Opfer natürlich in keiner Weise zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang bin ich daher sehr zurückhaltend, was das Mitgefühl für den Täter betreffen könnte.
Sie haben viele Tatorte zeitnah gesehen. Wie lässt sich das ertragen?
Als Staatsanwalt mit der Zuständigkeit für Tötungsdelikte stand ich jährlich allein vier Monate für den Bereitschaftsdienst zur Verfügung. Das heißt, rund um die Uhr zu einem Tatort gerufen werden zu können. So habe ich in meiner Dienstzeit weit mehr als 100 Leichen auf dem Obduktionstisch der Rechtsmedizin gesehen. Hier bin ich dem Tod als nicht umkehrbare und endgültige Tatsache begegnet. Daran gewöhnt man sich. Besonders haben mich jedoch dann die Fälle berührt, bei denen große Gewalt mit entsprechenden schrecklichen Verletzungen bei den Opfern ausgeübt wurde. Feuerwehrleute und Rettungssanitäter werden aber noch psychisch stärker belastet, da sie direkt das Sterben von Menschen erleben müssen.
Neben den von vornherein feststehenden Tötungsdelikten kamen im Laufe der Jahre mehrere tausend Todesfälle hinzu, bei denen die Todesursache zunächst ungeklärt war, und daher die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden muss. Bei einer Frau, die tot in der Badewanne lag, wurde zunächst der Tod durch einen Herzschlag angenommen. Die Leiche war bereits freigegeben und auf dem Wege zur Kremierung, als Verdachtsmomente eines gewaltsamen Todes auftraten. Ich ließ den Leichenwagen stoppen. Bei der Obduktion wurden Unterblutungen im Schulterbereich festgestellt, die durch das Herunterdrücken des Opfers unter das Wasser entstanden waren. Äußerlich waren die Merkmale nicht erkennbar, weil sie sich wegen des warmen Wassers nicht ausbilden konnten. Es war eine Beziehungstat. Ich hatte eine lebenslange Haft wegen Mordes (Tatbestand der Heimtücke) beantragt. Es blieb jedoch bei einer Gefängnisstrafe von 12 Jahren wegen Totschlags. Das Gericht hatte die Heimtücke als nicht zweifelsfrei belegbar beurteilt.
Welche Rolle haben Sie bei der Aufklärung eines Verbrechens?
Die Strafverfolgung bei der Organisierten Kriminaltität macht regelmäßig langfristige Ermittlungen über Monate oder gar Jahre erforderlich. Bei solchen Ermittlungen werden die erforderlichen Maßnahmen von Anfang an und dann fortlaufend zwischen Kripo und Staatsanwaltschaft abgestimmt.
Dagegen kommt es bei Tötungsdelikten, da der Täter häufig im Lebensumfeld des Opfers zu finden ist, nicht selten zu einer relativ schnellen Aufklärung. Die Kommissariate mit ihrem speziell ausgebildeten Personal ermitteln mit großer Sachkunde zunächst selbständig, berichten aber dem Staatsanwalt zeitnah und besprechen mit ihm das weitere Vorgehen. Der Staatsanwalt ist immer Herr des Verfahrens. Ich habe in meiner Dienstzeit die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft durchweg professionell und vertrauensvoll erlebt. Über die Jahrzehnte ist ein tiefes gegenseitiges Vertrauen gewachsen. Nur selten kam es zu Konflikten.
Was machen Sie im wohlverdienten Ruhestand?
Ich lese viel, treibe Sport (Joggen), spiele Skat. Einmal im Jahr geht es mit Freunden auf einen Segeltörn. Dann reise ich gern in ferne Länder. Mich interessieren besonders fremde Kulturen. Ich liebe Geselligkeit und anregende Unterhaltung. Dagegen verabscheue ich Unehrlichkeit , Ungerechtigkeit und Gewalt. Mein Beruf hat mich auch im Privaten gestärkt und gestählt.
Ihr persönlicher Rückblick
Große Genugtuung bereitete mir die Aufklärung zweier besonders schwerer Delikte. Ein Mann hatte innerhalb von zwei Jahren zwei junge Frauen auf schreckliche Weise getötet und zugerichtet. Der Täter konnte ermittelt und einer gerechten Strafe zugeführt werden. Somit konnten vor allem aber weitere Morde durch ihn verhindert werden.
Meinen Beruf würde ich jederzeit wieder ergreifen. Es ist ein sehr interessanter Beruf, auch wenn er ein bequemes privates Leben nicht zulässt, wenn man als Sonderdezernent für die Tötungsdelikte zuständig ist. Bei meiner Rückschau hätte ich im Privaten vielleicht das eine oder andere anders machen sollen, ...wer könnte nach 68 Lebensjahren etwas anderes behaupten?
Staatsanwalt mit der Zuständigkeit für Tötungsdelikte ist sicherlich als Beruf nicht jedermanns Sache. Man muss sich im wahrsten Sinn des Wortes zu diesem Beruf ,berufen' fühlen, sollte über einige berufliche Erfahrung und persönliche Willensstärke verfügen. Weiter ist eine robuste physische und psyische Belastbarkeit erforderlich.
Heribert Beck ist ein in sich ruhender Mensch, der sein Leben und seinen Beruf differenziert, aber positiv reflektiert. Ich habe ihm gern zugehört. Mich berührten seine Geschichten über die vielen tragischen Menschenschicksale.
Quellen
Fotos: Henning Stoffers soweit nicht anders angegeben
Helmut Etzkorn danke ich für die Bereitstellung der Fotos
Text und Idee: Henning Stoffers