im Juni 2021
vor einiger Zeit veröffentlichte ich einen Brief, den Ernst-August Schmelter seinem Enkel schrieb. Eindrucksvoll berichtet er von den Verbrechen und dem Unrecht während der Nazijahre in seinem nächsten Umfeld. Es ist die eindringliche Mahnung, die Greueltaten und das Unrecht jener Zeit nicht zu vergessen.
Ernst-August Schmelter habe ich in diesen Tagen persönlich kennengelernt. Dass ich nun die Geschichte seines Lebens schreibe, ist für mich eine ehrenvolle und gern getane Aufgabe.
Ihr Henning Stoffers
An einem Vormittag besuche ich Ernst-August Schmelter in seinem Haus. Wie immer bin ich etwas neugierig, wenn ich auf einen Menschen treffe, dem ich noch nicht begegnet bin.
Sein Name ist mir von Kindesbeinen an ein Begriff. Das Fotogeschäft Schmelter befand sich jahrzehntelang unübersehbar nahe der Lambertikirche in der Salzstraße.
Wir finden schnell eine persönliche, herzliche Beziehung zueinander. Ernst-August hat Fotoalben, Prospekte, Zeitungsausschnitte und andere Erinnerungsstücke ausgebreitet und erzählt aus seinem Leben - einem Leben, prall und ereignisreich.
Ernst-August Schmelter wird am 15.5.1936 in Münster geboren. Die Eltern Josef und Maria betreiben seit 1939 ein erfolgreiches Fotogeschäft in der Hammer Straße 5. Nicht weit entfernt davon befinden sich die Wohnung und das Labor für die Filmentwicklung.
Die Familie ist mit der katholischen Kirche eng verbunden. Als Kaplan Reinhold Friedrichs ins KZ verschleppt wird, versucht Josef Schmelter beim münsterschen Gauleiter Dr. Alfred Meyer zu intervenieren. Erfolglos. Bei einem erneuten Versuch wird ihm gesagt, er solle das lassen, sonste lande er beim nächsten Mal ebenfalls im KZ.
Die Familie ist sehr glücklich, als sie 1945 erfährt, dass Reinhold Friedrichs das KZ überlebt hat.
Noch im Jahre 1945 erhält er die Ernennung zum Domkapitular.
Der 10.10.1943 ist ein sonniger Herbsttag. Ernst-August ist mit seinem älteren Bruder Reinhold (Peter ist noch nicht geboren) und dem Kindermädchen der Familie zu einem Jugendsportfest ins Preußenstadion gegangen, als Vollalarm gegeben wird. Sie flüchten in den Schützenhof-Bunker. Um sie herum sind weinende und betende Menschen. Der Bunker wackelt in seinen Grundfesten, als Bomben in der Nähe explodieren.
Beim Verlassen des Bunkers sehen sie rechts und links der Hammer Straße zerstörte, brennende Häuser.
Bange fragen sie sich, ob die Eltern den Bombenangriff überlebt haben. Sie haben sich - Gott sei Dank - unbeschadet in Sicherheit bringen können.
Am 12.9.1944 werden durch eine schwere Bombardierung die Wohnung, das Fotogeschäft und das Labor völlig zerstört. Die Familie hat ihr Hab und Gut - wie viele andere Menschen auch - auf einen Schlag verloren. Sie stehen vor dem Nichts.
Die Familie findet in einem kleinen, vom Vater gekauften Holzhaus in Greven-Westerode eine Unterkunft. Ernst-August geht dort zur Volksschule. Alle acht Klassen werden in einem Raum unterrichtet.
In Greven gründet Josef Schmelter für drei Jahre ein Fotogeschäft. 1948 kehrt die Familie zurück nach Münster.
In schweren Zeiten erlebt Ernst-August seine Kindheit und Jugend. Es sind die Jahre des Krieges, der Zerstörung, der Stunde Null und des Wiederaufbaus.
Diese Zeit und insbesondere sein verehrter Vater Josef als Vorbild haben ihn fürs Leben geprägt. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: das konservative, katholische Elternhaus mit seinen moralischen Werten.
Nach Münster heimgekehrt besucht Ernst-August das Hittorf-Gymnasium.
In Münster sind Wohnung, Fotogeschäft und Labor unwiederbringlich verloren. Ein Neuanfang muss gemacht werden, um die Existenz der Familie zu sichern. Hier beweist Josef Schmelter Kreativität, Verhandlungsgeschick und Vorausschau - und er hat eine glückliche Hand.
Er führt mehrere Gespräche mit Major Hubble vom Military Gouvernement am Schlossplatz. Mit Erfolg!
Bereits vier Monate nach Kriegsende erhält Josef Schmelter am 16.8.1945 ein Dokument, das Grundlage für seine neue Geschäftstätigkeit wird. Ihm wird die Aufgabe erteilt, Krankenhäuser, Kliniken und Untersuchungsstationen in Westfalen mit Mikroskopen, Leicas, Projektoren, Röntgenfilmen usw. zu beliefern.
Josef Schmelter sagt hierbei sinngemäß: Der Wiederaufbau verlangt großen Einsatz. Deutschland hat kein Geld für Foto- und Kinoprodukte. Wir müssen uns auf den Krankenhaussektor konzentrieren, also auf Röntgenfilme und Mikroskope.
Zwei Monate später werden die Firmen Leitz Wetzlar, Agfa Leverkusen, usw. mit obigem Dokument verpflichtet, Josef Schmelter Warenkontingente bereitzustellen.
Diese Dokumente sind in jener Zeit besondere und vertrauensvolle Auszeichnungen. Es ist der Beginn des Krankenhaus-Geschäftes der Firma Josef Schmelter. Der Grundstein ist gelegt, und fortan gilt der Firmen-Slogan ,Mikro-Röntgen'.
In den ersten 3 Nachkriegsjahren ist die Firma noch in Greven am Marktplatz etabliert.
Josef Schmelter baut 1948 das vollständig zerstörte Geschäftshaus Salzstraße 61 wieder auf. Zuvor hat er von der Erbengemeinschaft Schöning aus Paderborn einen 50jährigen Pachtvertrag erhalten. Die Geschäftseröffnung ist im Jahre 1949.
Mit der Währungsreform 1948 kommt auch der Handel mit Foto- und Kinoprodukten wieder in Gang. Die Geschäfte in Deutschland blühen auf. Josef Schmelter darf sein Unternehmen in der Salzstrasse 61 ,Leica Spezialhaus Leica' nennen. Ein besonderes Privileg.
1953 wird das Haus Hörsterstrasse 54 nach dem Grundstückserwerb wieder aufgebaut. In diesem Gebäude finden ein großes Fotolabor sowie die Verwaltung des Geschäfts ihren Platz.
Es sind die ersten Jahre nach dem Krieg. Die Tuberkulose ist eine typische Infektion in dieser Zeit, an der auch Josef Schmelter schwer erkrankt.
Josef Schmelter stirbt 1955 mit erst 48 Jahren.
1949 tritt der ältere Sohn Reinhold in das elterliche Unternehmen ein. Ernst- August folgt ihm 1953 und zeigt mit seiner Begeisterung für die Fotoprodukte ein außerordentliches verkäuferisches Talent.
Die Söhne Reinhold und Ernst-August, 21 und 19 Jahre alt, führen das Unternehmen mit ihrer Mutter und 65 Mitarbeitern weiter.
Ernst-August übernimmt innerhalb der Firma Schmelter den Bereich Krankenhaus, Röntgenfilm und Elektromedizin. Es wird sich als eine für die Zukunft bedeutsame Weichenstellung erweisen.
Der Krankenhaus-Kundenkreis der Firma Schmelter verläuft über ganz Nordrhein-Westfalen. Dafür ist Ernst-August allein verantwortlich.
1960 heiratet er Ellen Beitelhoff, die in der elterlichen Firma Heinrich Beitelhoff (Werkzeug- und Maschinen-Großhandel) im Finanzwesen tätig ist.
Ernst-August Schmelters Interesse ist besonders auf die Krankenhaus-Organisation ausgerichtet. Er besucht Hospital-Messen und bekommt Gespür für die Abläufe innerhalb dieser Einrichtungen.
Mitte der sechziger Jahre hat er die Idee, für die Kommunikation in Krankenhäusern ein zentrales Nachrichtensystem aufzubauen. Alle Kurzzeitinformationen sollen innerhalb des gesamten Hauses an einer Stelle zentral zusammenlaufen. Geboren ist ein zeitmultiplex arbeitendes, leitungssparendes Kommunikationssystem, das pro Station über Busleitungen gesteuert wird.
Ernst-August verlässt die elterliche Firma und gründet 1967 mit Walter Claas das Unternehmen ,Schmelter-Claas Hospital-Electronic' in
Harsewinkel. In der Doppelspitze sind Ellen Schmelter für die Finanzen und Ernst-August Schmelter für den Vertrieb zuständig.
- 1965 gründet Walter Claas seine Firma ,Simprop-Electronic'.
Der Erfolg bleibt nicht aus, da der Name Schmelter auf dem Hospital-Sektor in NRW bekannt ist und zu vielen Krankenhäusern beste Kontakte bestehen.
Reinhold, Christoph und Peter Schmelter
Reinhold Schmelter gründet später das DMI Deutsches Mikrofilm-Institut in Münster-Roxel. Sein Sohn Christoph Schmelter
macht daraus ein Großunternehmen mit 1.000 Mitarbeitern. Jede 2. stationäre Patientenakte in Deutschland wird von DMI digital verarbeitet und archiviert. Auch Philipp Schmelter, Sohn von Peter Schmelter, der ebenso auf dem Hospital-Sektor tätig ist, gründet das Unternehmen Bewatec in Telgte, das Marktführer für Patienten-Infotainment ist.
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Das erste mit einem Com-Center ausgestattete Hospital ist das 600-Betten Zentral-Krankenhaus ,Links der Weser' in Bremen. Alle Patientenrufe und alle Kurzzeitinformationen zwischen Ärzten und Schwestern werden über eine Zentrale vermittelt.
Es sind alle wichtigen Räume des Hauses mit dem Center verbunden. Exakt nach dem Grundriss der Stationen sind die Tasten angeordnet. Mit nur einem Tastendruck - man nennt es ,Knöpfchen mit Köpfchen' - und die Informationsverbindung ist hergestellt.
Man erkennt am Pult den Patientenruf, den Notruf, den Diagnostikruf, die Anwesenheit einer Schwester . Und all diese Funktionen über das gesamte Haus .
Das Center ist in 3 Schichten Tag und Nacht mit einer Kommunikations-Schwester besetzt.
Das Bremer Krankenhaus wird auf dem Sektor Kommunikation zum Vorbild der modernen Hospital-Organisation. Seitdem gibt es in der Fachsprache die Trennung zwischen Kurzzeitinformationen und Langzeitgesprächen.
Auf die zeitmultiplexe Com-Center Übertragungstechnik wird ein Bundespatent erteilt - eine Geschäftsidee ist zur Realität
geworden.
1977 zieht Schmelter+Claas in einen modernen Neubau. Telgte wird neuer Unternehmensstandort.
Dort sind die Bereiche Entwicklung, elektronische und mechanische Fertigung, Vertrieb und Verwaltung in dem Gebäudekomplex zusammengelegt. Auch eine große Ausstellungsfläche ist vorhanden.
Im festlichen Rahmen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft wird das neue Gebäude seiner Bestimmung übergeben. Auch
ausländische Gäste sind extra angereist.
Walter Claas stirbt 1979. Ernst-August Schmelter übernimmt seine Anteile.
Die drei Töchter Nicole, Kirsten und Monica treten in die Firma ein. Sie sind tätig in den Bereichen Export, Finanzen, Verwaltung.
In 18 Ländern werden die Com-Center in den größten Kliniken installiert.
In Deutschland sind es über 200 Projekte und im Ausland mehr als 100. Griechenland, Saudi-Arabien, USA, Südafrika und viele andere
Länder gehören zum Kundkreis. Schmelter+Claas arbeitet des weiteren mit großen Firmen wie Siemens, ITT und Telenorma zusammen.
Eletrocondutore und andere Fachfirmen führen jeweils die Installation der gesamten Schwachstromtechnik durch und übernhmen auch auch die Installation der Com - Center Anlagen.
Wie kommt ein Unternehmer in kurzer Zeit zu den vielen internationalen Kontakten? An zwei Beispielen wird dies deutlich:
Ernst-August besucht die Hospital-Tagungen in aller Welt. Zum Beispiel nimmt er 1984 in Prag an einer Veranstaltung der europäischen Krankenhäuser teil und knüpft Kontakte zur Charité der damaligen DDR. Unter der Fahne mit Hammer und Sichel hält Ernst-August einen Vortrag über sein zentralisiertes Nachrichten-System und zeigt einen hierfür extra produzierten Film.
Es kommt zu einem Treffen mit dem DDR-Generalbaudirektor Prof. Gißke, Architekt des 1.000 Betten Klinikums Charité in Ostberlin. Gißke
ist 1986 Ehrengast auf der Interhospital in Düsseldorf.
Der erfolgreiche Kontakt nach Saudi-Arabien entsteht über ein Partnerunternehmen, das US-Unternehmen Hill-Rom Batesvill Indiana, das wiederum gute Kontakte in die arabische Welt hat. Durch Kooperation mit dieser US-Firma kann Schmelter-Claas erfolgreich auch in Saudi-Arabien wirken. In Kooperation mit Hill-Rom wird auch das US-Army Hospital Berlin mit Com-Center ausgestattet.
Ernst-August Schmelter verkauft 1987 seine Firma Schmelter+Claas an die BOC Group London. Noch heute ist das englische Unternehmen mit dem Namen Tunstall in Telgte Orkotten erfolgreich tätig.
Als Gründerunternehmer blickt Ernst-August Schmelter mit Freude und Dankbarkeit auf sein Lebenswerk. Ohne den Einsatz seiner Familie wäre
vieles nicht möglich gewesen.
Ernst-August Schmelter: Über meine LebensankerMein Vater war mein großes Vorbild, dem ich viel verdanke. Obwohl ich ihn früh verloren habe, hat er mein Leben stark beeinflusst. Ich werde ihm immer ein ehrendes Gedenken bewahren. Direkt daneben hat meine liebe Frau Ellen mit ihrer ausgeprägten Harmonie und Gerechtigkeit ihren Platz. Wir haben uns mehr als 60 Jahre lang geliebt, unterstützt und ergänzt. Im April 2021 ist sie verstorben. Ellen fehlt mir sehr.
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Ernst-August Schmelter hat in diesen Tagen sein 85. Lebensjahr vollendet. Aus kleinen Anfängen in schwieriger Zeit ist im Münsterland ein internationales Unternehmen entstanden.
Die vielen Geschichten und Anekdoten, die er zu erzählen weiß, würden den Rahmen dieser Seite sprengen. Das eine oder andere wird an gesonderter Stelle veröffentlicht.
Quellen
Informationen und Abbildungen: Ernst-August Schmelter
Redaktion und Text: Henning Stoffers