im Dezember 2021
nachdem ich Cornelia Kupferschmid in dem beeindruckenden Stück ,Der Ordner' mit Hannes Demming gesehen hatte, wollte ich sie gern kennenlernen und zum Interview einladen. Das verabredete Treffen im Oktober 2020 musste coronabedingt abgesagt werden. Umso mehr freue ich mich, dass es nun endlich stattfinden konnte.
In diesen Tagen klingelt Cornelia fröhlich und gutgelaunt an der Haustür. Unkompliziert und zwanglos finden wir schnell den Draht zueinander, und die Zeit vergeht wie im Fluge.
Ihr Henning Stoffers
Cornelias Wurzeln sind in Süddeutschland zu finden. Sie wird am 30.5.1972 in Böblingen - zwei Jahre nach ihrem Bruder - geboren. Der Vater arbeitet als EDV-Kaufmann bei einem Computer-Unternehmen, die Mutter ist Hausfrau. Cornelia ist gerade einmal drei Jahre alt, als die Ehe der Eltern geschieden wird. Sie passen nicht zueinander. Das damals übliche Rollenverständnis zwischen Mann und Frau steht dem ausgeprägten Selbstbewusstsein der Mutter entgegen.
Ulm wird zunächst neuer Wohnort der kleinen Familie. Als die Mutter wieder heiratet, ist Cornelia 14 Jahre alt. Mit der Heirat ist der Umzug ins 40 km entfernte Warthausen - einem kleinen Dorf bei Biberach - verbunden.
Der neue Mann in der Familie findet bei den Kindern zunächst keine Akzeptanz und wird als Störfaktor empfunden. Das ändert sich aber im Laufe der Jahre, und heute sagt Cornelia, dass sie ihn über alles liebt.
Cornelia besucht weiterhin in Ulm das neusprachliche Kepler-Gymnasium. Hier wohnt auch ihre geliebte Großmutter, und hier verbringt sie die meiste Zeit ihrer Kinder- und Jugendjahre.
Die Großmutter - sie hat sechs Kinder zur Welt gebracht und ist geschieden - arbeitet als Garderoben-und Einlassdame beim Theater. Zuständig ist sie für das linke Parkett. Die kleine Cornelia prüft Einlasskarten, hilft bei der Annahme und Herausgabe der Garderobe und findet immer wieder Gelegenheit, Theateraufführungen zu erleben. Sie sitzt dann im Parkett. In einer kleinen Aussparung der 2. Reihe steht ihr Stuhl mit einem Sitzkissen. Letzteres ist notwendig, weil sie so klein ist.
Von Kindesbeinen an sieht sie alles, was ein Theater bieten kann. Sie erlebt, was sich hinter der Bühne tut. Und auf den Brettern, die die Welt bedeuten, spielt sie in Kinderstücken mit, zum Beispiel als Huhn in Max und Moritz oder als Ratte im Nussknacker-Ballett.
Bereits in dieser Zeit der Kindheit erlebt Cornelia die Bühne als tiefe Erfüllung des persönlichen Glücks.
Das Theater ist nicht nur normaler, sondern insbesondere auch prägender Teil ihres Alltags geworden. Cornelia sagt rückschauend, dass in dieser Zeit der Grundstein für ihr späteres Leben gelegt worden ist. Es war die Initialzündung ihrer künstlerischen Begabung.
Nach dem Abitur geht Cornelia für ein Jahr nach Madrid. Als Au Pair lebt sie dort in einer Familie und genießt die spanische Lebensart der Leichtigkeit, die in Deutschland mehr oder weniger fremd ist. Von ihrer Gastmama hört sie folgenden Satz, der beide Nationen treffend beschreibt: ,Die Deutschen denken das Leben - die Spanier leben das Leben.'
Nach einem Jahr in Madrid kehrt Cornelia zurück nach Deutschland. Das Theaterspielen steht zunächst nicht auf dem Plan.
In Freiburg studiert sie Germanistik und Romanistik mit dem festen Ziel, nach zwei Jahren nach Madrid zurückzukehren. Es kommt jedoch anders als geplant. Sie tritt in einer Theatergruppe der Uni auf, lernt großartige Mitspielerinnen und Mitspieler kennen. Und hier stellen sich auch die Weichen für ihr künftiges Leben: Ein Freund macht Cornelia auf eine Freiburger Theaterschule aufmerksam, die Intensivkurse anbietet. Sie meldet sich an, spricht vor, wird sofort angenommen und tritt ein in ein neues Leben fürs Theater. Das Uni-Studium ist vergessen.
Vier Jahre lang besucht sie die Schauspielschule. Es ist die Zeit der persönlichen Entwicklung, der Selbsterfahrung, der Reflexion und der kritischen, facettenreichen Konfrontation mit sich selbst. Dazu gehören insbesondere auch die Feedbacks der begleitenden Lehrer. Dieser lange Reifungsprozess - der im Übrigen nie endet - gehört zum Erlernen des Bühnenfachs.
Nachdem die Schauspielschule abgeschlossen ist, schreibt Cornelia ihre Bewerbungen, um ein Engagement an einer Bühne zu erhalten oder zumindest vorsprechen zu dürfen. Dabei spielt Münster eine besondere Rolle, weil hier Anfängerpositionen ausgeschrieben sind. Ihren Bewerbungsbrief öffnet sie nochmals, um ihn persönlicher zu halten. Sie darf vorsprechen und wird mit den Worten verabschiedet, dass es viele Bewerberinnen gebe und eine Entscheidung noch ausstehe. Und siehe da, das Schicksal spielt mit: Am 1.4.1998 ruft der Generalintendant Thomas Bockelmann an. Cornelia ist so verdutzt, dass sie einen Aprilscherz vermutet, was Bockelmann freundlich verneint. Endlich, sie hat ein Engagement am Theater Münster...
In der Theaterwelt sind befristete Verträge üblich. Nach Beendigung eines Engagements wird eine neue Anstellung gesucht, sei es in München, Hamburg, Lüneburg oder anderswo. Es wird eine Art Nomadenleben geführt.
So ist es auch bei Cornelia, als die Entscheidung zum beruflichen Ortswechsel von Münster ansteht, ...wäre da nicht die Liebe. Zunächst denkt sie, es gäbe nur das eine oder das andere - die Bühne oder die Liebe. Sie erkennt, dass es keines Ortswechsels bedarf, denn Münster bietet eine vielfältige Kunstszene.
Cornelia spielt als Gast am Boulevard-Theater, dem Wolfgang Borchert Theater, dem Theater Münster und dem Kammertheater Der Kleine Bühnenboden. Ihre erste eigene Produktion hat sie im Theater im Pumpenhaus. Heute arbeitet sie als freie Theaterschaffende und künstlerische Leiterin der Theaterlabels: Fetter Fisch - Performance I Theater, FreiFrau und dem Stadtensemble in Münster wie auch als Dozentin für Kommunikation und performative Stückentwicklung.
Dem privaten Glück steht nichts entgegen. Ihr künftiger Mann ist Vermieter ihrer Wohnung. Man lernt sich bei einem Essen kennen. Aus gegenseitiger Sympathie wird Liebe und beide heiraten. Zwei Mädchen werden geboren, die inzwischen 13 und 17 Jahre alt sind.
Wen möchtest Du einmal kennenlernen - vielleicht gemeinsam auf der Bühne?
Ich liebe es, mit Menschen auf der Bühne zu arbeiten, die diese mit einem anderen künstlerischen Blick betrachten – gerade komme ich aus einer Arbeit mit einem Choreografen, der Geschichten mit
dem Körper und nicht mit dem gesprochenen Wort erzählt. Irrsinnig anstrengend, aber großartig. - Ich könnte die Antwort gar nicht auf einen einzigen Menschen reduzieren, eher darauf, dass ich
sehr gerne immer wieder Neues kennenlerne und ausprobiere.
Interessiert es Dich, einmal im Fernsehen aufzutreten?
Unfassbar gerne würde ich das machen. Am Allerliebsten als Tatort - Kommissarin und eine Hauptrolle in einem russischen Epos. Ich hatte einmal im Münster Tatort drei Sätze und kam im Abspann an erster Stelle – mein langer Name hat fast nicht ins Kästchen gepasst. Vielleicht kommt das ja in einem anderen Leben…
Welches Theaterstück war besonders erfolgreich?
„MutterHabenSein“, eine freie Produktion unter der Regie von Carola von Seckendorff haben wir über 100 x gespielt und wir werden weiterspielen, bis wir alle alt und grau sind. Mit „The BIG
Picture“, eine Produktion für Menschen ab 13 Jahren toure ich gerade durch alle wesentlichen Festivals im deutschsprachigen Raum, was großartig ist. Wir übersetzen die Produktion jetzt ins
Englische, da wir bereits Anfragen aus Polen, Belgien und den USA haben.
Und was ich nie vergessen werde: Frühlings Erwachen, meine erste große Rolle im Theater Münster, das zu spielen war ein Fest!
Der größte Misserfolg?
Misserfolge gibt es immer wieder – Produktionen, Abende, die Unzufriedenheit über das eigene Spiel. So schmerzhaft diese sind trifft aber auch hier zu: Aus diesen Misserfolgen lernt man einfach
am meisten…
Gibt es eine Person, die Du besonders verehrst?
Ich habe gerade einen Text von Carolin Emcke gemeinsam mit Carola von Seckendorff gespielt – diese Frau verehre ich sehr.
Und ich verehre meine Omi und was sie mir für mein Leben an Offenheit, Liebe und Neugierde mitgegeben hat, wie auch die Liebe für die Bühne.
Ach, und noch so viel mehr Menschen, die der Welt mit Mut begegnen und Verantwortung übernehmen.
Hast Du Angst, im Text stecken zu bleiben.
Absolut! Davon träume ich regelmäßig und vor Vorstellungen vermeide ich bewusst, an den Text zu denken. Dieser sitzt im Unterbewusstsein und kommt. Wenn ich vorher darüber nachdenke und er mir
dann nicht einfällt, kann ich davon ausgehen, dass er mir im entscheidenden Moment auf der Bühne auch nicht einfällt. Schrecklich!
Nimmst Du die Reaktionen der Zuhörerschaft während Deines Spiels wahr und beeinflussen sie Dich?
Die Zuschauenden sind entscheidender Bestandteil des Spiels und beeinflussen mich wesentlich. Ich liebe das Spiel mit dem Publikum und die immer wieder neu entstehenden „Begegnungen“ bei jeder
Vorstellung. Diese sind nicht planbar und ein absolutes Geschenk.
Deine Lieblingsspeise?
Früher: Dampfnudeln meiner Oma mit selbstgemachter Vanillesoße. Wie gerne würde ich das mal wieder essen…
Heute: Tortilla de patatas (habe ich aus Spanien mitgebracht) und Saltimbocca von meinem Papa
Dein Lieblingsbuch?
In letzter Zeit: Benedict Wells – Vom Ende der Einsamkeit, großartig!
Was gefällt Dir an Münster und was nicht?
Münster ist groß genug, um eine wunderbare Kulturszene zu haben und sich zu vernetzen. Es gibt großartige Künstler*innen hier und
ein Kulturamt, dem die Kultur und die Menschen extrem wichtig sind.
Allerding ist Münster dann manchmal auch sehr klein und in tradiertem, gewohntem Denken verhaftet, da wünschte ich mir ein größeres Denken, mehr Reibung und Inspiration.
Werden Deine Kinder vielleicht auch einen künstlerischen Beruf ergreifen?
Ich glaube nicht…
Hättest Du Dir einen anderen Beruf als den der Schauspielerin vorstellen können?
Lange Zeit hätte ich mir vorstellen können, Ärztin zu werden und beispielsweise bei Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. Ich dachte immer wieder, es wäre absolut sinnvoll, Menschen zu helfen. Vielleicht kann ich das mit meinem Beruf ja trotzdem, eben nur ganz anders..
Wie beurteilst Du Münsters Theaterkultur?
Diese Stadt hat eine unfassbar rege, international erfolgreiche, großartige, freie Theaterszene. Weit vorne sind da für mich die Aufführungen im Pumpenhaus und auch die Menschen, mit denen ich im Rahmen des Stadtensembles arbeiten darf. Für eine Stadt dieser Größe empfinde ich dies als ungewöhnlich.
Cornelia Kupferschmids Leben haben zwei starke und selbstbewusste Frauen geprägt: die Mutter und die Großmutter. Insbesondere der Einfluss der Großmutter hat Cornelias Lebensweg bestimmt. Ohne diese Prägung wäre Cornelia nicht Schauspielerin geworden. Vielleicht würde sie heute an einer Schule unterrichten oder wäre Lektorin eines Verlages.
Es war mir eine große Freude, mit Cornelia diese Gespräche führen zu dürfen.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen, soweit nicht anderes angegeben: Cornelia Kupferschmid