im Herzen des Kreuzviertels hat seit vielen Jahren ein Feinkostgeschäft mit vielen Delikatessen seinen Stammplatz. Es gehört zu den seltenen seiner Art, die es heute noch gibt. Christoph Jauch ist der Inhaber, der viel über sich, sein Unternehmen und sein Umfeld zu erzählen weiß.
Corona war der Grund, dass wir unser bereits vor etlichen Monaten geplantes Treffen verschieben mussten. So freue ich mich, dass unser Gespräch endlich zustande gekommen ist.
Ihr Henning Stoffers
Christoph Jauch wird 1950 in München geboren. Die Mutter Maria Ullmann (1905-1995) ist Malerin und Grafikerin. Der Vater Walter Eberhard Stuart Jauch (1910-1990) hat ein Engangement als 1. Geiger an der Staatsoper, die zu dieser Zeit wegen der Zerstörung im Prinzregenttheater untergebracht ist.
Schon kurze Zeit nach der Geburt zieht die Familie nach Mittenwald und weiter an den Starnberger See. Der Vater hat in München ein Zimmer genommen, da nach den abendlichen Vorstellungen keine Möglichkeit einer Rückreise zur Familie besteht.
1956 kommt das erste Auto in die Familie: ein weinroter Borgward Hansa.
Ein schmerzliches und prägendes Erlebnis ist für den jungen Christoph die Trennung der Eltern im Jahre 1957. Die Familiengerichte übertragen das Sorgerecht der Mutter, dann dem Vater und letztlich wieder der Mutter. In diesen Jahren besucht Christoph für jeweils nur kurze Zeit diverse Volksschulen - bedingt durch die Engagements der Eltern an verschiedenen Orten. Zwei Jahre lang lebt Christoph in einem Internat in der Schweiz. Rückblickend sagt er heute, dass diese Zeit die schönste gewesen sei.
Mutter und Sohn finden 1959 in Münster ein neues Zuhause. Als Christoph das gelbe Ortseingangsschild sieht, fragt er, was der Zusatz ,Provinzialhauptstadt' bedeutet. Die Mutter winkt ab, das brauche er sich nicht zu merken, es sei bedeutungslos. Christoph erlebt seine Mutter zeitlebens als einen schwierigen, dominanten Menschen.
Sie wohnen in der Münzstraße in der Nähe des Hauses, das im markanten Bauhausstil erbaut ist. Christoph erinnert sich an dessen Besitzer, der damals einen Mercedes 220 S fährt. Etwas Besonderes und Bemerkenswertes in der damaligen Zeit.
1961 kommt Christoph aufs Paulinum. Der allseits beliebte Hans ,Jonny' Wegmann ist sein Klassenlehrer. Besonders beeindruckt ihn sein Musiklehrer Bernhard Antonius Maria ,Bambusmann' Bußmann, der als begnadeter Pianist Beethoven wunderbar interpretieren kann.
Die klassische Musik ist für Christoph ein wichtiger Teil seines Lebens, was auch aufgrund seiner familiären künstlerischen Herkunft nicht verwunderlich ist.
Die Zerrissenheit der Familie, die vielen Orts- und Schulwechsel haben ihre Spuren hinterlassen und wirken sich auf Christophs schulische Leistungen negativ aus. Er verlässt das Paulinum und geht zum Hittorfgymnasium. Dort wird Christoph stellvertretender Schulsprecher und bewirkt - wie er augenzwinkernd verrät - die Einrichtung einer Raucherecke für Schüler. Nichts Außergewöhnliches in dieser Zeit.
Christoph wird ein engagiertes Mitglied in dem katholischen Jugendbund Neudeutschland. Im Jugendheim in der Grünen Gasse knüpfen sich zwischen den Pennälern Freundschaften, die heute noch Bestand haben.
Christoph verlässt das Hittorf - ohne Abitur - und beginnt im Kaufhaus Horten seine erste berufliche Tätigkeit, und zwar in der Gemüse- und Obstabteilung. Eigentlich soll dies nur eine Übergangslösung sein, denn seine Mutter wünscht, dass er Schreiner wird. Aber diese Idee stößt bei dem Linkshänder auf absoluten Widerstand. Christoph entdeckt seine Leidenschaft fürs Kaufmännische.
Die Warenkunde in ihrer Vielfältigkeit, wie zum Beispiel die Verderblichkeit von Obst- und Gemüse, die Logistik für zeitnahe und zeitfernere Angebote, das Erspüren der Kundenbedürfnisse, das Kennen und Verstehen der Erzeuger und Zwischenhändler üben in ihrem Zusammenspiel einen großen Reiz auf Christoph aus.
Mit dem Eintritt in die Berufswelt stellt sich Christoph auf eigene Füße. Er verlässt sein Elternhaus und trennt sich von Fotos und Erinnerungsstücken seiner Kindheit. Es ist nicht nur ein symbolischer Abschied, es ist eine Zäsur. Ein Tor zu einem neuen Leben öffnet sich.
Bei Horten in Münster bleibt Christoph nicht lange. Sein zuständiger Verkaufschef Hagen Straßl sagt ihm, er müsse auch in anderen Häusern arbeiten, um Karriere zu machen. Christoph geht in die Horten-Niederlassung in Ulm. Als Münsteraner stellt er mit Verwunderung fest, dass mittags in der Kaufhauskantine Bier getrunken wird. Dies ist zwar in Bayern durchaus üblich, aber auch im württembergischen Ulm? Es muss wohl an der Nähe Ulms zur bayerischen Landesgrenze liegen.
Mit Hagen Straßl - sie sind inzwischen Freunde geworden - übernimmt er in München bei einem großen Supermarkt die Obst- und Gemüseabteilung. Straßl ist für den Einkauf, Christoph für den Verkauf verantwortlich. An Wochenenden werden allein 30.000 Schälchen Erdbeeren verkauft. Die Zahl macht deutlich, welche Mengen umgesetzt werden.
Nach mehreren Wechseln ist Südtirol die Endstation. Christoph fühlt sich hier wohl, man spricht deutsch, aber doch ist das Italienische zu spüren.
Die Lehr- und Wanderjahre sind vorbei. Christoph kehrt 1977 nach Münster zurück und eröffnet in der Studtstraße 50 einen Kellerladen für Obst- und Gemüse. Er bietet weit und breit als Einziger Frischware an. Der Aldi im Kreuzviertel führt in diesen Jahren noch kein frisches Obst und Gemüse.
Nach diesem guten Start folgt 1980 der Umzug in die Hoyastraße. Das Sortiment wird um Käse, Molkereiprodukte und Würtemberger Wein erweitert. Nebenbei hat er nachmittags einen Stand auf den Wochenmärkten in Handorf und Wolbeck. Und 30 Jahre lang fährt er frühmorgens zum Dortmunder Großmarkt, um frische Produkte einzukaufen. Sein Arbeitstag hat 12 und mehr Stunden...
Christoph lernt seine Frau Gisela kennen, die als Studentin in seinem Geschäft arbeitet. Sie stammt aus einer einfachen, vielköpfigen Bergarbeiter-Familie. Das Bestreben ihrer Eltern ist darauf ausgerichtet, dass aus den Kindern ,einmal etwas wird', und dieses ist ihnen mit den Hochschulabschlüssen gelungen.
Christoph schaut auch neugierig über den Tellerrand, was es an Neuheiten gibt. 1988 sieht er in den USA eine Salatbar. So etwas gibt es in Deutschland bisher nicht. Zurückgekehrt nach Münster kauft er schweren Herzens für 18.000 DM diese Salatbar, hoffend, dass es keine Fehlinvestition ist. Seine Sorgen sind unbegründet, schon nach kurzer Zeit ist die Geldausgabe vergessen. Auch heute ist die Salatbar seit mehr als 30 Jahren noch im Einsatz.
Inzwischen hat Christoph seine berufliche Tätigkeit auf sechs Stunden heruntergeschraubt - sein erster ,Vorruhestand' mit mehr als 70 Jahren.
Mit Herzblut engagiert sich Christoph für die Politik. Als Mitglied der FDP ist sein Anliegen, freiheitlichen Einschränkungen energisch entgegenzuwirken. Da zeigt sich Christoph durchaus streitbar mit Durchhaltevermögen, insbesondere wenn es um den Abbau von bürokratischen Hemmnissen und die mögliche Einschränkung der Freihheit geht.
Eines Tages ist Daniel Bahr (später Gesundheitsminister der FDP) als Kunde in seinem Geschäft. Man kommt ins Gespräch, und Christoph wird Mitglied der FDP.
Christoph über sich: ,Manchmal seriös - manchmal auch ein bisschen verrückt - aber immer geradlinig und verdammt liberal - und immer mit offenem Visier!'
Dein liebster Fußballverein?
Der 1. FC Nürnberg. Bereits mein Vater liebte diesen Verein. Und da bin ich als bekennender Fan in seine Fußstapfen getreten. Ich leide mit, wenn der Verein verliert oder wie jetzt in der Tabelle unten steht.
Gibt es Anekdoten aus der Schulzeit?
In den 1960er Jahren waren wir - wie es heißt - aufsässig und gegen bürgerliche Konventionen. Das war wohl nicht ganz so. Als unser verehrter Schulleiter Schmülling einmal den Reißverschluss seiner Hose nicht hochgezogen hatte, und ein Hemdzipfel herausragte, wagte keiner von uns, ihn darauf aufmerksam zu machen.
Was wäre Dein Wunschberuf?
Letztlich muss ein spannender Beruf sein und Spaß machen - ich bin mit meinem sehr zufrieden!
Was würdest Du heute anders machen?
Eigentlich nichts, weil mir mein Leben viel Abwechslung und sehr gute Freunde gebracht hat.
Deine Lieblingsspeise?
Da ich ja mit Lebensmitteln handele bin ich gutem und frischem Essen insgesamt zugetan.
Was denkst Du über die Politik?
Ich war und bin ja immer auch ein politischer Mensch gewesen, ab 1972 (Willy-Wahl) in der SPD, ab 2008 in der FDP, die ich ab den beginnenden 90ern bereits gewählt habe. Daniel Bahr hat mich dann
vollends überzeugt. Posten und Mandate haben nie sehr interessiert.
Gibt es Lieblingskunden, Nörgelkunden?
Gottlob haben wir einen Stamm von langjährigen und freundlichen Kunden, und die typischen Nörgler sind nicht darunter.
Was erzählt man sich im Laden?
Wir reden über das Tagesgeschehen und über unsere Pläne und Wünsche.
Über die Höhen und Tiefen im Kaufmannsberuf?
Mein schönstes Erlebnis war der Gewinn des ,Servicefreundlichsten Geschäfts Münsters' in 2006 (Prof. Meffert.) - Manchmal war es schon schwer und nicht immer ein Zuckerschlecken, aber mit
neuen Idee auch beherrschbar.
Hast Du einen Nachfolger für das Geschäft?
Nein, noch nicht.
Dein Hobby?
Die haben sich während meines Lebens verändert, Lesen, klassische Musik genießen, Freundschaften pflegen und heute natürlich auch ,Social Media', denn das kann sehr interessant sein.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest, der wäre?
Eines Abends ins Bett gehen, und am Morgen tot aufwachen. ;-)
Ich habe einen Menschen erlebt, der seinen Beruf mit Begeisterung liebt. Diese Leidenschaft ist beim Erzählen zu spüren, wenn er von den vielen Voraussetzungen, Abhängigkeiten und Schwierigkeiten erzählt, bevor das Produkt die Ladentheke erreicht. Christoph ist gern mit Menschen zusammen, und seine lange Lebenserfahrung kommt immer wieder - mit gewürztem Humor - zum Vorschein.
Es ist ein Vergnügen, sich mit Christoph zu unterhalten. Vieles wird für ihn nicht einfach gewesen sein, aber dies merkt man ihm nicht an.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen, soweit nicht anders angegeben:
Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv)