im Juni 2018


Carola von Seckendorff - Schauspielerin + Regisseurin

Das Kennenlernen

Pünktlich um 16 Uhr steht Carola von Seckendorff (CvS) vor der Haustür. Eine zierliche Frau mit gewinnender, sympathischer Ausstrahlung und Lachfältchen in den Augenwinkeln tritt ein.

 

Wir hatten uns zum Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen verabredet. Ich war neugierig. Zwar hatte ich sie seit mehr als 20 Jahren hin und wieder auf der Bühne erlebt, aber nicht als privaten Menschen.

 

Das Eis ist schnell gebrochen. Wir sitzen in der warmen Maisonne und plaudern über die Dinge, die bewegen und interessieren.

Im Gespräch am 29.5.2018

Foto Edda Klepp
Foto Edda Klepp

Was ist besonders wichtig in Deinem Leben?

Neben meiner Familie haben die Schauspielerei und das freie Arbeiten den höchsten Stellenwert. Die damit verbundene Kreativität ist mein Lebenselixier. Besonders reizen mich neue Aufgaben und insbesondere experimentelles Arbeiten, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Und es ist gut, dass ich eine feste Anstellung beim Theater Münster habe, da sonst Vieles nicht machbar wäre.

 

Welche Ziele hast Du?

Ich möchte mich ständig weiter entwickeln und lebenslang lernen. Ich möchte meine Ideen umsetzen und an meinem künstlerischen Ausdruck arbeiten. Die Karriere hat für mich keinen Stellenwert.

Woran arbeitest Du gerade?

Es ist gerade eine intensive Phase. Das Projekt ,24H-Münster' ist in der Vorbereitung. Es ist ein spannendes Projekt und absolut neu In Münster, aber einige Hindernisse sind noch zu überwinden.

Mit Cornelia Kupferschmidt (unser gemeinsames Label: Freifrau) trete ich am Friedenstag auf: ,Geiz ist geil - Annäherung an die Kinderarbeit'. Und dann laufen die Vorproben für das Stück ,Eine Art Liebeserklärung'. Hier verliebt sich eine Lehrerin in einen Schüler. Ihre scheinbare Rationalität ist im freien Fall, außer Kraft gesetzt und es endet für die Beteiligten schmerzhaft.

Fällt Dir das Auswendiglernen von Texten schwer?

Ach ja, mit zunehmendem Alter wird's schwieriger. Aber es gibt kleine Tricks, die hilfreich sind. Am liebsten sind mir Stücke, bei denen improvisiert werden kann, wie zum Beispiel bei meinem Lieblingsstück ,Welche Droge passt zu mir?'. Die größte Freude macht mir das Publikum, auf das ich spontan reagieren kann. Der lebendige Austausch mit Menschen ist meine Droge.

 

Dein größter Erfolg ?

Im Wolfgang-Borchert-Theater spielte ich im ,Jubiläum' die Mitzi, ein spastisches Mädchen. Das hat den Verantwortlichen vom Theater Münster so gut gefallen, dass ich ein Engagement bei der hiesigen städtischen Bühne bekam. 

Ich habe das große Glück, unkündbar,  trotzdem wohlgelitten und in einem guten Austausch mit der Theaterleitung zu sein. Und somit bildet das eine gesicherte Basis für meine Ausflüge in das freie Arbeiten und manchmal verknüpft sich das sogar. Alles keine Selbstverständlichkeit in einem Schauspielerleben.

Foto Bayram Tarakci
Foto Bayram Tarakci

Und natürlich das Stück ,Welche Droge passt zu mir'. Mehr als 100 Vorstellungen gab es bisher. Ich genieße meine Freiräume und die Publikumsnähe.

 

Regie zu führen ist meine Passion, da da meine Kreativität, meine Ideen und meine Leidenschaft im Team zu arbeiten am meisten Platz findet. Ich kann als Verantwortliche einem Stück die Prägung geben, wie ich sie mir vorstelle.

 

Ich hoffe sehr, dass das Projekt ,24 H-MS' ein großer Erfolg wird, und ...für mich ein Höhepunkt meines Schaffens wird.

 

Eigentlich sind für mich die größten Erfolge, die Arbeiten, mit denen ich mich am meisten identifizieren kann, und wenn die dann auch noch ihr Publikum finden, bin ich glücklich.

 

Ach, zu nennen wäre da doch noch unbedingt „MUTTERHABENSEIN“, das erste Stück unter meinem Label. Das spielen wir jetzt seit drei Jahren, schon zum 60. Mal und das war jetzt auch gerade auf dem Fringe Festival der Ruhrfestspiele eingeladen.

Dein größter Mißerfolg?

Was ich versemmelt habe (Pause)? Nun, es ist lange her. Ich war junge Schauspielerin und spielte die Iphigenie auf Tauris. Zum Schluss bekam ich einen Aussetzer. Nichts fiel mir mehr ein, eine Souffleuse gab es nicht, die mir mit Stichworten hätte helfen können. Und der NEUE Intendant, mit dem ich nun ein Jahr zu tun hatte, war anwesend und beurteilte mich. Ich habe geheult und hätte mich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen. Aber wie man sieht, ich hab's überlebt.

Worüber ärgerst Du Dich?

Ich ärge mich schnell, spontan und heftig, sei es im Straßenverkehr, bei Machtmissbrauch, bei Unehrlichkeit und über Ignoranten und Kommunikationsverweigerer. Und ich kann mich über mich selbst ärgern, zum Beispiel über die eigene Ungeschicklichkeit. Und fluchen kann ich auch, dass meine Kinder sagen: ,Aber MAMA...'.

 

Gibt es einen magischen Punkt im Leben?

Ja, die Geburt meiner Kinder war das aller, aller Magischste, das Unfassbarste, das Sinnstiftende meines Lebens. Es gab auch einen absoluten Tiefpunkt im Leben, der mir - in der tiefsten Talsohle -  letztendlich eine neue Sicht aufzeigte. Nicht mehr passiv sein, sondern agierend das Schicksal in die Hand nehmen, nicht schöpfend aus dem Leid, sondern aus dem Leben. Die buddhistische Lehre war mir sehr hilfreich in dieser Krise.

Was hättest Du anders machen sollen?

Nix.

 

Deine Lieblingsspeise?

Momentan Spargel, gern Saisonales. Unmöglich: fettes Fleisch, Austern*, Graupen*, Sauce Hollandaise und Sauerbraten*.

(*hier hat der Autor eine andere Meinung)

Dein Lieblingslokal?
Der Schoppenstecher.

Dein Hobby?

Mein Beruf.

 

Was verbindet Dich mit Münster?

Hier habe ich meine Wurzeln geschlagen, die Kinder bekommen und einen tollen Freundeskreis gewonnen. Noch nie habe ich an einem Ort so lange gelebt wir hier in Münster.

 

Was sollte sich in Münster ändern?

Mehr Geld für die Kultur, mehr Kooperation zwischen den Kunstschaffenden und der Politik.

Ein ganz persönlicher Wunsch?

Frieden, den Augenblick wertschätzen, Ruhe finden.

Der Mensch

Floh im Ohr“ in der Regie von Christian Brey - Foto Oliver Berg
Floh im Ohr“ in der Regie von Christian Brey - Foto Oliver Berg

Wer Carola noch nie auf der Bühne gesehen hat, kann nur schwerlich ihre enorme Energie und kreative Wandlungsfähigkeit erahnen. Im Privaten ist sie nicht die matronenhafte, frustrierte Hannah aus ,Welche Droge passt zu mir' oder die exzentrische, verzweifelnde Petra in ,Die bitteren Tränen der Petra von Kant'. Vielmehr ist sie eine quirlige, freundlich aufgeschlossene, aber auch nachdenkliche, reflektierende Person. Und was mir außerdem auffiel, dass sie auf der Bühne größer wirkt, als sie in Wirklichkeit ist.

Der Kaufmann von Venedig - Regie Stefan Otteni - Foto Oliver Berg
Der Kaufmann von Venedig - Regie Stefan Otteni - Foto Oliver Berg

Carola lebt mit ihrem Mann Peter (Theaterwissenschaftler und Sofwareentwickler) und zwei heranwachsenden Kindern im Kreuzviertel. Natürlich spielt auch in ihrem privaten Leben das künstlerische Wirken eine große Rolle, und so gibt es in diesem Sinne keinen absoluten ,Feierabend'. Aber ein negatives Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf lässt Carola erst gar nicht entstehen. Man hat sich eingerichtet und arrangiert, dass Mutter oft tagsüber und abends nicht daheim ist. Es gibt keine Rollenteilung. Alle sind in der Familie aufgehoben. Jeder in der Familie hat seinen Raum und seine Freiheit, man stützt sich gegenseitig.

Schlussbemerkung

Das Schreiben über Carola von Seckendorff ist mir leichter gefallen, als ich zuvor dachte. Sie hat es mir mit ihrer Offen- und Direktheit nicht schwer gemacht. Und es hat mir Freude gemacht, mit ihr zu sprechen. Dank und Kompliment an Carola.

Stationen

1965 geboren in Frankfurt/ Main

 

1984 – 1985 Pantomime-Ausbildung bei Fe Reichelt in Frankfurt/Main

 

1984 - 1985 Studium der Theaterwissenschaften in Frankfurt/Main Regie und Produktion von OFF-Theaterprojekten

 

1988 – 1991 Schauspielstudium in der „Schule des Theaters“ im Theater „Der Keller“/Köln

 

1991 – 1993 Landestheater Burghofbühne / Dinslaken

Als Marlene in: Die bitteren Tränen der Petra von Kant - Regie Bernadette Sonnenbichler - Foto Oliver Berg
Als Marlene in: Die bitteren Tränen der Petra von Kant - Regie Bernadette Sonnenbichler - Foto Oliver Berg

1993 – 1996 Wolfgang Borchert Theater/Münster

 

seit 1996 Ensemblemitglied der Städtische Bühnen Münster

 

seit 2002 Sprecherin in der Westdeutschen Blindenhörbücherei

 

seit 2006 eigene Regiearbeiten

 

seit 2010 Lehrauftrag an der Musikhochschule Münster

 

Juni 2011 Preis der Musik- und Theaterfreunde für hervorragende darstellerische Leistungen


Quellen

Fotos: Carola von Seckendorff, Henning Stoffers, soweit nicht anders benannt

Text und Idee: Henning Stoffers