Juli 2020
wie die Körbe zu Lamberti gehören, gehört Antje Vogel zu Münster. Jetzt habe ich Antje kennengelernt: eine zierliche, freundliche Dame mit markanter Brille und kecker Frisur. Bei einer Tasse Kaffee plaudert sie über ihren Werdegang; von einem Leben - prall und facettenreich.
Wie auch ihr Mann Claus Steinrötter kann Antje ebenfalls unendlich viel erzählen. Beide bereichern Münsters Kulturleben.
Ich freue mich, Antje nun auf meiner Webseite vorstellen zu können.
Ihr Henning Stoffers
Antje Vogel und Claus Steinrötter wohnen im Herzen von Münster. Hoch oben von ihrer Dachterrasse bietet sich ein phantastischer Blick auf die Kirchen und Dächer der Domstadt.
Antje erzählt mir - oft schmunzelnd - von ihrem Elternhaus, ihrer Kindheit und den weiteren Stationen ihres Lebens. Sie könnte ohne Probleme stundenlang in ihren Erinnerungen kramen.
Nach dem Gespräch war noch etwas Zeit für ein Schwätzchen mit Claus Steinrötter. Seine Galerie ist im gleichen Haus, nur einige Etagen unter der gemeinsamen Wohnung.
Die Gene einer ausgeprägten künstlerischen Begabung waren Antje Vogel bei ihrer Geburt im Jahre 1939 in Dortmund in die Wiege gelegt. Vater Carl Wilhelm (CW) Vogel war Maler und arbeitete an verschiedenen Theatern als Bühnen- und Kostümbildner. Die Mutter Anne-Marie studierte an der Folkwangschule Essen Modedesign und Kostümbildnerei.
Vater Vogel wurde Soldat und kam an die Westfront. Er verunglückte schwer in einem Militärfahrzeug, das beschossen worden war. Kurz bevor das Auto in einen Steinbruch stürzte, wurde er aus dem Fahrzeug herausgeschleudert. Büsche verhinderten seinen Absturz in den Abgrund. Russische Zwangsarbeiterinnen retteten den verletzten Mann. Als der Vater später in die amerikanische Gefangenschaft geriet, galten in der Familie die Amerikaner als die Bösen, die Russen dagegen als die Guten.
Antje hat die Kriegsjahre nicht bewusst erlebt, aber sie erinnert sich sehr genau an das, was später in der Familie erzählt wurde. Ein beherrschendes Thema war die Nazi-Zeit. Es ging um die Zustimmung bzw. Ablehnung naher Verwandter zur NSDAP-Mitgliedschaft. Antjes Eltern waren strikte Gegner des Regime. Einige Zerwürfnisse und Brüche innerhalb der Familie waren die Folge.
Antje verband eine enge Beziehung mit ihrem Vater. Er erklärte ihr die Natur, die Pflanzen, zeigte ihr die Vögel. So entwickelte sich bei Antje früh eine große Naturverbundenheit; eine Leidenschaft, die sie ihr ganzes Leben begleitet. Als sie fünf Jahre alt war, entstanden bereits zwei Büchlein mit ihren Zeichnungen. Nichts wurde weggeworfen, und so sind die alten Bilder erhalten geblieben.
Antjes Begabung war von ihrem Vater früh erkannt worden, und er förderte ihr Talent mit aller Kraft. Sie lernte von ihm die verschiedenen Maltechniken, wie zum Beispiel die Hinterglas-, Kohle-, Aquarell- oder Ölmalerei.
1954 zog CW Vogel nach Münster. Er war Ausstattungsleiter an den neuen Städtischen Bühnen geworden. Die Familie folgte ihm ein Jahr später nach.
Für die 15-jährige Antje gestaltete sich der Ortswechsel allerdings problematisch. Im damals katholisch geprägten Münster war dem evangelischen Mädchen der Besuch eines Gymnasiums verwehrt - und somit auch das Abitur; die katholische Marienschule nahm sie nicht auf, andere Gymnasien waren ausschließlich für Jungen bestimmt.
Antje erzählt, wie es damals war:
,Meine Eltern haben auch vom Stein eine Absage mit der Begründung der unpassenden Religionszugehörigkeit bekommen. Nicht für die Sexta, ich war ja schon älter... Tatsächlich wurden dann ein Jahr später von der Sexta an auch evangelische Kinder aufgenommen. Ich kenne auch noch den Spruch "Evangelische Ratten gekocht und gebraten"..... Die allgemeine Stimmung war gegen alles "Fremde". Zur selben Zeit ist übrigens Heidi Siekmann, die ich aber viel später kennenlernte, auch nicht aufgenommen worden weil sie evangelisch ist.'
Sie besuchte daher die damalige Paul-Gerhardt-Schule in der Coerdestraße, eine evangelische Realschule für Jungen und Mädchen.
In jener Zeit gaben die Väter den Ton an, welchen Ausbildungsweg ein Sohn oder eine Tochter zu gehen hatte, ...so war es auch bei Antje. Vom Theater her kannte Vater Vogel den Professor Ludwig Franzisket. Dieser war Mitglied des Extrachors des Theaters und Chef des Westfälischen Museums für Naturkunde. Die beiden Herren vereinbarten, dass Antje bei ihm in die Lehre gehen sollte - zur Ausbildung als Pflanzen- und Kleintierpräparatorin. Und so wurde Professor Franzisket Antjes Lehrherr.
Mit Professor Franzisket hatte Antje einen großen Förderer an ihrer Seite. Auf seinen Wunsch hin besuchte sie parallel zur ihrer Ausbildung - also während der Arbeitszeit - die Werkkunstschule und belegte lediglich das Fach Schrift. Antje wurde nämlich gesagt, dass ihr in den anderen Fächern leider nichts mehr beigebracht werden könne. Welch ein Kompliment! - Dieser Ausbildungsweg war damals ungewöhnlich, heute wird er als ,Duales Studium' bezeichnet.
Im Rückblick sagt Antje, dass die Arbeit im Museum eine sehr schöne Zeit gewesen sei.
In der Folgezeit malte Antje Bilder, die sie hin und wieder verkaufen konnte, zum Beispiel eine Karikatur für die ,Pardon' oder einen Fischkopf mit Gräten.
Eines Tages lernte sie den Galeristen Claus Steinrötter kennen. Aufgrund einer Empfehlung war sie nach einigem Zögern zu ihm gegangen. Antje zeigte ihm ihre Bildermappe. Das war im Jahr 1972.
Claus war von den Bildern angetan. Nach einer Ausstellung waren sämtliche Bilder verkauft. Der erste große Erfolg.
Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Insgeheim war Antje dennoch bereits verliebt, wusste es aber nicht oder wollte es nicht wahr haben.
Beide siezten sich lange Zeit, was damals unter jungen Leuten nicht unüblich war. Als Claus ihr dann das Du anbot, verging nicht mehr viel Zeit bis zur Hochzeit im Jahre 1974. Drei Wochen später kam Kolja zur Welt. Noch während ihrer Schwangerschaft kündigte Antje ihre Arbeitsstelle bei Professor Franzisket.
Per Zufall und über einen Umweg kam Antje zum Schreiben und zu ihrem ersten Buch. Eine Freundin aus Norwegen arbeitete an einem Kochbuch mit vielen Bildern und bat Antje, die Texte zu schreiben, da ihr Deutsch nicht so gut sei.
Antje hatte nebenbei eine kleine Maus mit Bratpfanne und Spiegelei kreiert, die den Leser auf jeder Seite durch das Kochbuch begleiten sollte. Irgendwie passten Antjes Maus und die Zeichnungen der Freundin nicht zusammen. So entstand nach einigen zögerlichen Überlegungen die Idee, dass Antje ihr eigenes Buch machen sollte.
Natürlich musste es ein Kinderbuch werden, das war für sie als junge Mutter mehr als naheliegend. Das von ihr gewählte Thema handelte von der Natur, von Bäumen, Tieren, Vögeln und Samen mit spezieller Anleitung zum Ziehen von Sprösslingen.
Antje gab das weiter, was sie einst als Kind von ihrem Vater gelernt hatte. Ihr Anliegen war es, dieses Wissen ihrem Sohn und anderen Kindern zu vermitteln.
Was ihr Buch besonders attraktiv und unverwechselbar machte - und bis heute noch macht -, ist die liebevolle Gestaltung und die Verwendung der eigenen Handschrift.
Anfangs wollte Wolfgang Hölker das Buch in seinem Verlag nicht veröffentlichen; es passe nicht in sein Programm. Claus Steinrötter konnte seinen Freund Wolfgang Hölker überreden.
Das ,Große Buch für kleine Gärtner' wurde weit mehr als hundertfünfzigtausendfach verkauft und in viele Sprachen übersetzt. Der überaus große Erfolg trug zur Gründung der Sparte Kinderbuch im Coppenrath-Verlag bei.
Der Erfolg setzte Antje unter Zugzwang, weitere Bücher zu schreiben. Inzwischen sind 30 Titel veröffentlicht.
Familiär tat sich 1986 Gravierendes: In die Familie wurden 4 Kinder von verstorbenen Freunden aufgenommen. Nun war plötzlich aus der kleinen Familie eine siebenköpfige Großfamilie entstanden. Antje und Claus stellten die Familie für Jahre in den Mittelpunkt ihres Handelns; Zeit fürs künstlerische Schaffen war daher sehr knapp.
1989 ist das Geburtsjahr des Vereins ,Herzenswünsche e.V.'. Wie es dazu kam? Antjes Freundin
Annette Kettelhack - sie war krebskrank - und Wera Röttgering hatten darüber nachgedacht, wie schwer erkrankten Kindern und Jugendlichen ein langersehnter Wunsch erfüllt werden kann. So ergab es
sich, dass Wera Röttgering den Verein ,Herzenswünsche' gründete.
Annette hatte sich von
Antje das Vereins-Logo gewünscht. Antjes Logo-Bärchen hat sich über die Jahre immer weiterentwickelt: es kann nicht nur fliegen, sondern auch tauchen, Fußball spielen, Rad fahren, Golf spielen, lesen oder sich einfach nur des Lebens freuen. - Antjes Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Im Jahr 2000 wurde Antje ,Inner Wheel'-Mitglied. Inner Wheel ist eine weltweite Frauenorganisation, die soziale Projekte unterstützt.
Für ein Jahr war sie Präsidentin des Clubs und später auch Distriktpräsidentin. Sie wollte an verantwortlicher Stelle einen Beitrag zur Hilfe für ein Projekt in Addis-Abeba leisten.
Aber das war noch nicht das Ende ihrer Karriere in dieser Organisation: Für das Jahr 2013/2014 trat sie als deutsche Repräsentantin bei einem internationalen Treffen auf. Für Antje stelle sich vorher die Frage, was anzuziehen sei: Wie immer, als ,Bunter Vogel', - oder etwa ,seriös?'. Antje entschied sich für ,wie immer'. Alles andere wäre nicht echt - nicht Antje Vogel gewesen.
...Die Zeit der Ämter ist vorbei. Endlich ist wieder mehr Zeit für die Kunst! Ich bin dabei, eine Mappe mit Berühmtheiten zu malen, die Golf gespielt haben, z.B. Maria Stuart. Es gibt zwar keine zeitgenössischen Bilder von ihr, aber verschiedene Dokumente, etwa Rechnungen für Golfschläger und Bälle. Man hat ihr sehr übelgenommen, dass sie Golf gespielt hat, während ihr Mann beerdigt wurde. Nicht übelgenommen hat man ihr, dass sie ihren Mann hat umbringen lassen...
...Ich male mit Aquarellfarben auf 300 g Büttenpapier. Eine sehr
anspruchsvolle Technik ohne Korrekturmöglichkeit. Von den feinsten Linien bis zu großen Flächen male ich alles mit einem Kolinski- Marderhaar-Pinsel Nr. 2. ..
Nach ein, zwei Seiten ist der Pinsel hin und ich brauche einen neuen. Es gibt kaum mehr Illustratoren, die wie ich als Druckvorlagen Aquarelle malen. Fast alle Kinderbücher werden heute im Computer entwickelt. Mit meiner feinen Technik macht das keinen Sinn...
Seit mir ein angefangenes Buch beim Aufräumen in die Hände gefallen ist, hat mich die Malsucht befallen. Ich will dieses Buch fertig machen, unabhängig davon, ob es gedruckt wird oder nicht...
Ganz aktuell habe ich zur Unterstützung für das ,Pelikanhaus', dem geplanten Familienhaus am Clemenshospital, einen Pelikan gezeichnet, ehrenamtlich natürlich. Pelikane finde ich klasse, meiner ist auch ein bisschen bunt, so wie ich immer der ,Bunte Vogel' war.
Als renommierte Kinderbuchautorin erhielt Antje das Bundesverdienstkreuz und weitere Auszeichnungen, wie zum Beispiel Preise der Leipziger Buchmesse.
Antje Vogel zitiert gern Frantz Wittkamp:
Dass alle andern anders sind,
das ist mir längst egal.
Ich weiß, der Rest der Menschheit spinnt,
nur ich bin ganz normal.
Wie steht's um Deine Ideen?
Ideen sind in Hülle und Fülle vorhanden. Oft bin ich schon beim nächsten Projekt, obwohl das vorherige noch gar nicht fertig ist.
Ein unerfüllter Wunsch?
Ja, den gibt es. Schon seit meiner Kindheit wünsche ich mir sehnlichst, einmal nach Japan zu reisen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend...
Wie hältst Du es mit dem Essen?
Ich esse alles gern, nur kein Fleisch.
Du und Claus wohntet über Jahre in der Tuckesburg, dem früheren Zuhause von Hermann Landois. Erinnert noch etwas an den Zoogründer?
Eigentlich nicht, es spukt dort auch nicht. Lediglich die Bodenfliesen und die Eingangstür stammen aus Landois' Zeiten. Inzwischen wohnt unser Sohn Kolja Steinrötter in der Tuckesburg.
Was ist Dein liebstes Werk?
Es ist immer das Letztgemalte.
Wie hat sich Deine Kunst im Laufe der Zeit verändert?
Anfangs habe ich plakativer gemalt, dann bin ich auf Aquarell umgestiegen. Ich male jetzt mit viel feinerer Technik.
Dadurch gewinnen die Bilder an mehr Leuchtkraft. Aber die Technik ist auch bedeutend zeitaufwendiger.
Was wünscht Du für Münster?
Die Stadt möge mehr ihren Anspruch auf Qualität erhalten und stärken. Zum Beispiel bei öffentlichen Bauten sollte stärker auf eine gute Architektur Wert gelegt werden. Auch der Kunst muss ein breiterer Raum eingeräumt werden. Ich freue mich, dass der Eisenman-Brunnen nach Münster kommt.
Wie steht's mit Fehlern?
Richtig viele Fehler habe ich gemacht, aber nur ganz kleine, so dass ich mich an sie nicht mehr erinnern kann.
Was ängstigt Dich?
Die zunehmende Agressivität und Rücksichtslosigkeit erschreckt mich, ebenso die sich ausbreitende Respektlosigkeit.
Wen möchtest Du einmal treffen?
Ich habe schon viele Leute getroffen, interessante und weniger interessante. Einen besonderen Wunsch habe ich: Frank-Walther Steinmeier, unseren Bundespräsidenten, den möchte ich einmal sprechen.
Eine Abneigung?
Gegen Leute, die bei Unfällen gaffen und filmen. Jegliche Gewalt ist mir zuwider.
Woran arbeitest Du derzeit?
Eine Golfer-Mappe ist in der Vorbereitung. Viel Arbeit, aber auch viel Freude.
Was ist das Wesentliche Deiner Kunst?
Meine Unverwechselbarkeit.
Was inspiriert Dich?
Mit offenen Augen durch die Welt gehen. Was man nicht im Kopf hat, kann man nicht aufs Papier bringen.
Wie hältst Du Dich fit?
88 Stufen zur Wohnung. Und das mehrmals am Tag...
Wie lautet Dein Lebensmotto?
Bloß nicht vernünftig werden.
Sympathische und sensible Menschen habe ich kennengelernt: Antje eher dem Neuen zugewandt, kreativ und voller Energie, Claus dagegen in sich ruhend, reflektierend und hinterfragend. Beide ergänzen sich auf ihre eigene, eine besondere Art.
PS
Antje Vogel trifft man oft rund um den Prinzipalmarkt und ganz bestimmt auch im Westfälischen Kunstverein.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen sofern nicht anders angegeben: Antje Vogel
Ich danke
Gilla Stoffers, Heide Krede und Antje Monzlinger für die kritische Durchsicht.