vor zwei Jahren drehte Andrea Hansen für die WDR-Lokalzeit Münsterland eine kleine Reportage über meine historische Münster-Sammlung und die dazugehörige Geschichte.
Nach diesem ersten persönlichen Kennenlernen ist es für mich ein großes Vergnügen, Andrea zu interviewen und über sie zu schreiben.
Ihr Henning Stoffers
Zu einem kleinen Frühstück hatte ich Andrea zu mir nach Kinderhaus eingeladen. Unser Familienhund Luna giftete sie zunächst an, aber nach Andreas freundlichem Zuspruch hatte Luna schnell Freundschaft mit ihr geschlossen.
Was das anschließende dreistündige Gespräch besonders ausmachte, war unser schier unerschöpflicher Gesprächsstoff. Andrea ist eine ausgezeichnete Zuhörerin, analysiert in Sekundenschnelle, und die Antwort kommt druckreif und gut begründet über ihre Lippen. - Zu bedauern ist lediglich, dass die dreistündige Gesprächszeit so schnell vergangen ist.
Andrea Hansen kommt 1970 in Oberhausen ,in einfachen Verhältnissen' zur Welt. Der Vater ist gelernter Autoschlosser, die Mutter Kurzwarenverkäuferin, seit der Geburt des ersten Kindes 1950 ist sie Hausfrau. Andrea hat drei Geschwister und ist folglich das Nesthäkchen in der Familie.
Obwohl Oberhausen mitten im Ruhrpott liegt, hat ihr Wohnumfeld einen ausgeprägt dörflichen Charakter; eine kleine Enklave, eingegrenzt von der Eisenbahnlinie (da lagen Gleise ohne Ende – das führte nach Osterfeld, einstmals einer der größten Rangierbahnhöfe des Landes) und dem Rhein-Herne-Kanal. Hier genießt Andrea ihre große Freiheit. Sich selbst sieht als ein typisches Kind des Ruhrgebiets.
Sich selbst sieht als ein typisches Kind des Ruhrgebiets.
Andreas Eltern haben klare Vorstellungen, was für die Kinder und deren späteres Leben wichtig und das Beste ist: Es ist die Bildung, der Schlüssel für ein besseres Leben.
Andrea erinnert sich an die vielen Diskussionen, die in der Familie stattfanden. Irgendein Thema - vor allen Dingen oft ein politisches - kann durchaus zwei Stunden hin und her bewegt werden. So trainiert Andrea bereits in jungen Jahren mehr oder weniger unbewusst die Techniken der Argumentation, den Austausch unterschiedlicher Meinungen und lernt Toleranz zu üben.
Der Kindergarten ist nicht ihr Ding: Sie mag keinen Caro-Kaffee, den sie dort aber trinken muss. Zudem darf sie nicht mit ihrer Freundin in der Kindergruppe sein. Und es gibt rüpelhafte Jungen, die ihr das Leben schwer machen und für deren Streiche sie dann bestraft wird, wenn sie sich darüber aufregt. Das alles widerspricht Andreas Gerechtigkeitssinn. Sie weigert sich nach drei Wochen, weiter in den Kindergarten zu gehen. Als sie sich dann später beschwert, dass es zu Hause nur mit Mama langweilig sei, wird überlegt, ob ein früher Schulbesuch die bessere Alternative sei.
Und so kommt es:
Andrea wird bereits mit fünfeinhalb Jahren eingeschult und macht dreizehn Jahre später 1989 an der Gesamtschule Osterfeld ihr Abitur. Anschließend studiert sie - unterstützt mit BAföG - an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf Germanistik und Medienwissenschaften und zusätzlich Politikwissenschaft.
Dass sie das Studium abschließt, hat für Andrea höchste Priorität. Sie sagt: ,In meinem Leben habe ich nur einmal eine Sache abgebrochen, und zwar den Kindergartenbesuch, und dabei soll es bleiben'. Sie schließt ihr Studium mit dem Magister ab.
Früh keimt in ihr der Wunsch, Journalistin zu werden. Aber der Weg dorthin ist steinig. Als sie sich 14-jährig erkundigt, wie man Journalistin wird, weil ihr das weder in der eigenen Familie noch beim Arbeitsamt jemand sagen kann, brummt der Redakteur sie unhöflich an, sie möge erst einmal trocken hinter den Ohren werden. Als sie 19 Jahre alt ist, hilft der Zufall und Andrea bekommt ihren ersten Praktikumsplatz bei der NRZ (Neue Ruhr/Rhein Zeitung). Auch während der Studienzeit jobbt sie ausschließlich in journalistischen Themenfeldern. Sie arbeitet bei Radio NRW, kurz beim WDR 5 und in der Bibliothek des Europäischen Medieninstitutes. Für Andrea ist es wichtig, dass alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Ausbildung stehen.
Ein Auslandssemester hält sie für nicht finanzierbar – sie denkt gar nicht darüber nach, ob das auch für eine BAföG-Empfängerin machbar ist. In der Rückschau ist dies so ziemlich das Einzige, was sie in ihrem Leben so richtig bedauert. Ansonsten hält sie sich ungern damit auf, über Dinge nachzudenken, die sich nicht ändern lassen.
Am liebsten möchte sie nach dem Studium zunächst im Volontariat beim Rundfunk arbeiten, und zwar primär für einen regionalen Bereich. Schwerpunkt soll möglichst die Politik mit all ihren Zusammenhängen und Verästelungen sein.
Um ein Volontariat zu finden, gibt sie sich ein Jahr Zeit. Klappt es nicht, würde sie den Berufswunsch Journalistin - so hart wie es wäre - aufgeben. Doch sie kommt 1996 innerhalb der selbst gesetzten Frist bei einer freien Fernsehproduktion in Münster unter.
Als freie Mitarbeiterin arbeitet Andrea u.a. beim WDR. In zahlreichen Reportagen ist sie vor Ort im Münsterland, spricht mit Menschen über die alle möglichen Themen. Die Vielfalt in der Region, der Einblick in viele verschiedene Lebenswelten aus allen Schichten der Gesellschaft empfindet sie als Privileg – als Journalistin lernt man immer wieder Neues kennen. Sich in der eigenen Blase einigeln fällt da deutlich schwerer. Sie schreibt für Medien-Magazine und moderiert Diskussionsrunden oder Veranstaltungen – aber nur solche, bei denen ihre journalistische Expertise gefragt ist: „Gute Laune verbreiten und einen Saal zum Kochen bringen, kann ich nicht. Aber auf der Bühne ein Gespräch oder eine Diskussion führen, davor habe ich keine Angst.“
Was Andrea von Jugend an als Berufsziel anstrebte, hat sich (fast) erfüllt. Gut, Auslandskorrespondentin ist sie nicht geworden. Aber dafür hätte sie eben an einigen Weggabeluungen anders abbiegen müssen. Hat sie nicht gemacht: „Und dein Leben ist nun mal die Summe aus deinen Entscheidungen und den daraus folgenden Konsequenzen.“ Aber ihr Hauptziel war eh‘ nicht morgens aufzusuchen und mit schlechter Laune an die Arbeit zu denken – und das hat geklappt: „Ich liebe meinen Job, und zwar fast jeden Tag,“ lacht sie. - Jeden Tag wäre gelogen. Und das macht man als Journalistin ja nicht.
Welche ethischen Maßstäbe legst Du bei Deiner Arbeit an?
Puh, wie soll ich das denn jetzt eloquent in ein paar Sätze packen? Ich mache es mal ganz praktisch: Ich verhalte mich bei der Arbeit so, dass ich es auch aushalten könnte, auf der anderen Seite des Mikros zu stehen. Und ansonsten das, was im Pressekodex steht - dafür haben wir den ja!
Wie siehst Du den Umgang mit der Presse. Stichwort ,Lügenpresse'?
Das Problem mit der Meinungsfreiheit ist heute, dass viele sie falsch verstehen - Meinungsfreiheit heißt, dass jeder seine Meinung sagen darf, aber nicht, dass niemand anders dazu keine anderslautende Meinung haben dürfte. Daraus resultiert bei manchen, dass sie für falsch oder gelogen halten, was nicht ihrer Sichtweise entspricht. Man sollte schon nicht nur eine Quelle für eine Information haben - das gilt für Journalisten bei der Arbeit, aber auch dem Nutzer tut es gut, sich nicht nur Inhalte zu Gemüte zu führen, die die eigene Weltsicht bestätigen, sondern gern auch mal das genaue Gegenteil davon. Grob gesagt scheinen mir Pressefreiheit und Demokratie Güter zu sein, für die Menschen in Ländern, in denen das nicht seit 75 Jahren selbstverständlich ist, kämpfen, und wir schätzen diese Privilegien hier manchmal etwas gering.
Wie stehst Du zu Fehlern und Manipulationen im journalistischen Beruf?
Man kann auf die Frage nicht antworten, ohne die Begriffe klar zu trennen - Fehler können passieren, wie in jedem Beruf. Sollten sie nicht, aber das zu sagen, ist wohlfeil. Wenn sie unterlaufen, sollte man sie transparent korrigieren. Manipulation ist eine ganz andere Kategorie und hat im Journalismus nichts verloren - also wenn wir davon sprechen, dass sie von der Berichterstattung ausgeht. Natürlich kann es sein, dass der Berichtsgegenstand versucht, den Journalisten zu manipulieren oder zu instrumentalisieren - wenn man das mal nicht merkt, ist das wiederum ein Fehler. Und zum Umgang mit denen - siehe oben.
Beobachtest Du einen veränderten Umgang miteinander?
Ja, ich finde, wir leben in hysterischen Zeiten. Es geht schnell sehr aufgeregt bis aggressiv zu - und das Erregungspotenzial ist bei relativ belanglosen Themen genauso groß wie bei grundsätzlichen Fragen. Viele sind empfindsam, wenn es um sie geht, merken aber wechselseitig nicht, wen sie die Grenzen anderer überschreiten.
Ich finde zum Beispiel bemerkenswert, dass viele Leute uns sagen, dass sie nicht gefilmt werden möchten und dann ihr Handy rausholen und von uns ungefragt Videos drehen. Wenn ich das anspreche, reagieren sie oft verwundert und meinen: Stimmt, ist nicht in Ordnung. Aber da kann man doch mit ein bisschen nachdenken selbst drauf kommen, oder? Ich würde mich freuen, wenn jeder sich so verhält, wie er selbst behandelt werden möchte - ich glaube, so was stand schon in meinem Poesiealbum, ist auf jeden Fall eine gute Handlungsanweisung gewesen, von auch immer ich sie habe...
Dein Lieblingsort?
Einer? Den gibt es nicht. Ich mag den Botanischen Garten sehr. Ich bin generell gern draußen unterwegs, besonders bin ich gern am Wasser. Das beruhigt mich enorm.
Hast Du Lampenfieber?
Nicht im klassischen Sinn. Ich bin angespannt im Sinne von konzentriert, aber nicht im Sinne von aufgeregt.
Was macht Dich betroffen?
Vieles: Hass. Rücksichtslosigkeit. Wenn Menschen, noch schlimmer Kinder, schwer krank werden. Krieg und Gewalt. Alles, womit sich Menschen ohne Not das Leben gegenseitig schwer machen - das lässt mich völlig ratlos zurück.
Bist du ehrenamtlich engagiert?
Ja, im Deutschen Journalisten Verband seit vielen Jahren - und dann immer mal wieder bei Projekten, die mich überzeugen.
Wie hast Du Deinen Mann kennengelernt?
Zufällig. Auf einer Party. Und der Rest ist privat.
Was hältst Du von Münster?
Ich sage immer: „Münster ist schön - man darf es nur nicht für die Wirklichkeit halten.“ Aber in den letzten Jahren hat es für mich ein bisschen verloren: Wohnungsmangel, Pendlerströme, alle unaufgeräumten, spannenden Ecken verschwinden: Die Stadt wird gefühlt immer homogener - das finde ich ein bisschen schade.
Was versetzt den Münsteraner in Wallung?
Keine Ahnung - ich kenne so wenige „richtige“ Münsteraner. Und die, die ich kenne, sind tiefenentspannte Zeitgenossen. Die haben sich noch nie so richtig aufgeregt.
Was ist das Besondere an Münster?
Die pragmatische Art vieler Bewohner - sei es das Zupacken nach dem Jahrhundertregen oder das Innehalten nach der Amokfahrt. - Münster ist nicht laut, nicht grell - das mag ich. Manchmal ist es nur ein bisschen selbstverliebt - und das verstellt dann den Blick auf das, was wir hier noch besser machen könnten ;-).
Was ist der Heimatbegriff für Dich?
Erstmal ein Wort, das ganz schön überstrapaziert worden ist in den letzten Jahren. Ich kann nur mit dem Teil des Begriffes was anfangen, der mich definiert, aber nicht mit dem, der ab- oder ausgrenzt. Ich glaube, es hat auch was mit den prägenden Jahren zu tun - Heimat bleibt das Ruhrgebiet - Münster ist mein Zuhause. Und dann gibt es noch diese vermittelte Heimat, die in einem steckt. Mein einer Opa väterlichseits kam aus Schleswig - da oben komme ich auch gut klar, da passe ich irgendwie hin. Und die anderen Großeltern kamen aus Masuren - davon hat mir meine Mutter so viel erzählt, dass ich da unbedingt mal hinfahren musste.
Hast Du einen besonderen Wunsch?
Gesund und zufrieden bleiben. Alles andere kann man kaufen.
Gab es einen besonders bemerkenswerten Zwischenfall bei einer Liveschaltung?
Darüber möchte ich hier nicht reden (lautes Lachen). Aber auf jeden Fall hatte ich am nächsten Tag einen Termin beim damaligen Chef. Er sagte: „Jeder hat einen Freischuss. Das war Ihrer.“ Und dann traf ich in der Kantine einen Kollegen, der sagte: „Also meine Oma fand das sehr erfrischend, als du gestern ,Scheiße' auf dem Sender gesagt hast, weil alles schief gelaufen ist…"
Dein schönstes Interview?
Schön? Hmmm. Lange hängen bleiben eher die weniger schönen Sachen. Besonders sind immer die Momente, in denen Menschen sich öffnen, ein Stück ihrer Lebensgeschichte mit dir teilen. Zeitzeugen haben mich immer tief beeindruckt: Offen über schwere Zeiten zu reden hat so viel Stärke und Würde - da kommt man sehr demütig raus als eine, die noch keinen Krieg überleben musste.
Was ist einmal so richtig daneben gegangen?
Siehe oben - live zu fluchen, ist keine gute Idee.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Andrea einen anderen Beruf hätte ergreifen können als den der Journalistin. Gradlinig, hinterfragend, sowie zielorientiert und dabei sehr sympathisch, so habe ich sie kennengelernt.
Münster beschreibt sie unter anderem als eine leider immer homogener werdende Stadt. Andrea hat mit ihrer Analyse recht, ich kann dies nur unterstreichen.
Durch Andrea bekam ich einen tieferen, umfassenderen Einblick in ihren Beruf. Beeindruckend ist ihre Leidenschaft, ihre Ernsthaftigkeit und ihre Professionalität. Dabei hat sie ihren Humor und ihre Fröhlichkeit nicht verloren.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Fotos, wenn nicht anders angegeben: Andrea Hansen