Dezember 2019
wie wurde vor rund 65 Jahren in der Familie Stoffers Weihnachten gefeiert? Es waren ärmliche Zeiten, und mit Wenigem gab man sich zufrieden.
Meine Erinnerungen daran sind verblasst und nur noch schemenhaft vorhanden. Aber während des Schreibens rückte das eine oder andere Vergessene wieder ins Bewusstsein.
Ihr Henning Stoffers
Wir wohnten in den frühen 1950er Jahren in der beengten Wohnung eines Mehrfamilienhauses in der Südstraße 100.
Eines der wenigen Fotos aus jener Zeit zeigt meine Brüder Johannes und Thomas vor dem Haus Südstraße 100. Rechts ist die Mauer der Train-Kaserne zu sehen. Das Haus musste Jahre später dem Südpark weichen.
Oft führen mich die Erinnerungen an diesen Ort meiner frühen Kindheit zurück.
Weihnachten stand vor der Tür. Ich weiß nicht mehr, was ich mir damals gewünscht hatte. Jedenfalls werde ich gespannt und voller Erwartung gewesen sein, was es vom Christkind geben würde.
Ich spähte durchs Schlüsselloch der abgeschlossenen Wohnzimmertür, hoffend vielleicht das Christkind oder anderes Geheimnisvolles zu sehen. Man hörte auch hin und wieder leises Rumoren aus dem Wohnzimmer.
Dann war es soweit. Das Glöckchen erklang, wir gingen ins geschmückte Zimmer, sangen ungeduldig ,Oh Tannenbaum‘ und stürzten zum Gabentisch.
Für mich war es klar, dass nur das Christkind das Glöckchen geläutet haben konnte - ohne geringsten Zweifel. Wer auch sonst? Denn niemand war im Wohnzimmer. Wir alle standen vor der Wohnzimmertür. Den Zwirnsfaden aber, der unter der Tür zum Glöckchen führte, und an dem mein Vater heimlich zog , den hatte ich nicht gesehen... Später habe ich bei meinen Kindern dieses ,Verfahren' ebenfalls angewandt.
Die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten. Einige hatten sich schief gelegt, weil die billigen, aus Blech gestanzten Kerzenhalter sie nicht in der Geraden halten konnten.
An den Tannenzweigen hing viel schweres Lametta. Die Spitze des Baums zierte eine silberglänzende Kuppel. Eine schlichte Krippe befand sich unter dem Weihnachtsbaum.
Natürlich war der Baum auch mit Süßigkeiten behängt. Die mit Stanniol umwickelten Tannenzapfen aus Schokolade enthielten eine sehr süße Cremefüllung.
Ich war dabei, als mein Vater einige Tage zuvor den Baum für den Christbaumständer anpasste. Eine kleine Axt musste zur Hilfe genommen werden. Ich fasste mit an und legte die abgeschnittenen Zweige und Holzstücke beiseite. An den Geruch des Harzes und an meine harzverklebten Hände erinnere ich mich heute noch.
Ich bekam einen Trecker, rotbraun und unbemalt, geformt aus Konservenblech. Für die Räder waren der Boden und Deckel der Dose verwandt worden. Die scharfen Kanten hatte man umgeknickt, damit die Verletzungsgefahr gemindert war. Was habe ich ihn geliebt!
Zur Schlafenszeit legte ich den Trecker neben mein Bett. Jederzeit griffbereit wollte ich ihn neben mir wissen. Morgens konnte ich es kaum erwarten, mit ihm zu spielen.
Dann gingen wir zum festlichen Hochamt in die Josephs-Kirche an der Hammer Straße. Der Altarraum war mit hohen Tannen geschmückt. Die prächtige Krippe stand liebevoll aufgebaut ebenfalls am Altar. Pfarrer Höing und Kaplan Sonnenschein zelebrierten die Messe. Und als dann einige Weihnachtslieder gesungen wurden, war erst richtig Weihnacht.
Am Heilig Abend war mit Kartoffelsalat und Würstchen traditionell einfache Kost angesagt. Am Weihnachtstag bereitete meine Mutter ein oder zwei Hühnchen zu, und am 2. Feiertag wurden Koteletts gebraten. Mein Vater bekam dann immer das größte Stück, weil er der ,Ernährer' war. Wie lecker war der von meiner Mutter gebackene Stollen mit den vielen Rosinen und einer schlierigen Schicht Marzipan! Nicht zu vergessen sind natürlich die schön kitschig bemalten Schlickerteller, die aus Pappe gepresst waren. Marzipan, Schokolade und andere Süßigkeiten waren gerechterweise gleichmäßig verteilt, denn keiner von uns durfte mehr oder weniger haben.
Den Vogel als absolute Hauptattraktion auf dem Gabentisch schoss in späteren Jahren eine elektrische Märklin-Eisenbahn ab. Nachdem die Lok mit ihren Waggons etliche Runden gedreht hatte - es wurde langweilig -, legte ich einige Lamettastreifen quer über die Schienen. Siehe da, das Lametta verschmiergelte mit kleinen blauen Blitzen, was schön zu beobachten war. Dabei stieg ein leichter, feiner Ozongeruch in die Nase, an den ich mich heute noch erinnere. - Damals enthielt das Lametta Bleianteile, um das Gewicht zu erhöhen. Wer war sich schon der Schädlichkeit bewusst...
Das forschende Experimentieren war in diesen Jahren bei mir stark ausgeprägt. Ich zerlegte alles Mögliche in seine Einzelteile. Ich wollte wissen, wie es drinnen aussah und funktionierte. Dabei gelang es mir nicht immer, die Teile wieder zusammenzufügen. Im Familienkreis wurde ich daher auch ,der Kaputtmacher' genannt.
Ich versuchte auch Schwarzpulver herzustellen. Leider - aber im nachhinein Gott sei Dank - waren die Ergebnisse aus meiner Sicht unbefriedigend. Mehr darüber lesen Sie in meinen Erinnerungen Südstraße 100.
Zu meinem Bedauern kann ich heute nicht sagen, was aus dem geliebten Trecker geworden ist. Wüsste ich es doch zu gern…
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen: Henning Stoffers