Liebe Leserin, lieber Leser,

vor mehr als 200 Jahren erlebt die münstersche Bürgerschaft unruhige Zeiten. Nach den Fürstbischöfen haben neue Herren das Sagen.

 

Nicolaus Antonius Lepping, Kaplan an St. Lamberti, hat als Zeitzeuge in den Jahren 1789 bis 1833 ein Tagebuch geführt. Neben allerlei Straftaten, Wetterereignissen und Unglücksfällen hat er insbesondere die politischen Veränderungen jener Jahre eindrucksvoll beschrieben. Seine Aufzeichnungen habe ich diesem Beitrag zugrunde gelegt.

 

Diese Bildgeschichte behandelt überwiegend die Jahre 1811 und 1812.

 

Ihr Henning Stoffers


Unruhige Zeiten

Der Beginn des 19. Jahrhunderts ist gekennzeichnet von heftigen politischen Umbrüchen. Nach dem Ende der jahrhundertelangen Herrschaft der Fürstbischöfe im Jahre 1801 regieren nach einigen Wirrungen zunächst die Preußen, danach die Franzosen und dann ab 1815 wieder die Preußen.

 

Münster beherbergt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine Vielzahl emigrierter Priester und Bischöfe - darunter ein Kardinal -, Mönche und Nonnen aus Frankreich. Tausende Soldaten verschiedener Nationen machen in diesen Jahren Station in Münster. Viele Kriegsverstümmelte kommen zur Genesung oder zum Sterben in unsere Stadt. Epidemien suchen die Bevölkerung heim. Die Friedhöfe (Kirchhöfe) werden in die inneren Stadtgräben am Hörstertor, am Ludgeritor und am Buddenturm verlegt.

Georgskommende um 1900
Georgskommende um 1900
Ruine der Georgskommende 1947
Ruine der Georgskommende 1947

Die Georgskommende des Deutschen Ordens wird 1809 aufgehoben. Die Gebäude werden als Proviantamt des Militärs genutzt. Heute befindet sich an dieser Stelle ein zweigeschossiger Parkplatz (Am Stadtgraben) .

 

Von 1801 bis 1820 ist der bischöfliche Stuhl verwaist. Kirchen und Klöster werden geschlossen und Ordensgemeinschaften aufgelöst. In diesen Jahren findet die Säkularisierung ihren Höhepunkt.

1811: Chausseebau, Kriegsdienst, Epidemie u.a.

Der Straßenbau von Münster nach Dülmen und Telgte wird betrieben. Der Verlauf einer Chaussee erfolgt in gerader Linie von einer Kirchturmspitze zur anderen, möglichst ohne Umwege. Häuser und Gehöfte müssen weichen. Den Eigentümern wird Entschädigung versprochen. Am Straßenbau beteiligen sich alle Bevölkerungsgruppen. Ein guter Lohn winkt...

Gerader Straßenbau - Regierungsbezirk Münster 1817 (Kartenausschnitt)
Gerader Straßenbau - Regierungsbezirk Münster 1817 (Kartenausschnitt)

Junge Männer werden als Soldaten eingezogen. Entziehen sie sich dieser Pflicht, werden die Eltern mit Arrest oder gar Exekution bestraft.

 

Im Herbst kann ein Komet über 4 Monate mit bloßem Auge beobachtet werden. In dieser Zeit sterben viele Menschen an der Roten Ruhr. Das Totengeläut wird eingestellt, um die Kranken nicht zu beunruhigen. Ebenfalls unterbleibt das übliche Schellen bei der Austeilung der Kommunion an Sterbende.

 

Auch dies geschieht in jenen Tagen: Ein junger Mann steigt in die Überwasserkirche ein und bestiehlt das Gnadenbild der göttlichen Mutter.

1812: Guillotine am Domplatz, Abriss Lambertikirche u.a.

Aussschnitt Alerdinck-Plan 1636
Aussschnitt Alerdinck-Plan 1636

Ende 1811 erlässt Napoleon ein Dekret zur Schließung von Kirchen und Klöstern. Es tritt Anfang Januar 1812 in Kraft. 23 kirchlichen Gebäude in Münster werden geräumt, sakrale Geräte und Einrichtungen kommen zum Verkauf. Den Priestern und Ordensleuten ist der Zutritt zu Kirchen und Klöstern untersagt. Viele Geistliche aus Ahlen, Warendorf und anderen Orten des Münsterlandes gelten als Ausländer und müssen Münster verlassen.

 

Die Jakobikirche auf dem Domplatz wird meistbietend verkauft mit der Bedingung des Abrisses, der auch erfolgt.

Das Lotharinger Kloster im Wiederaufbau in den 1970er Jahren - Nach 1811 verschiedene Verwendungen -  Kaserne, später Stadtarchiv und heute Standesamt
Das Lotharinger Kloster im Wiederaufbau in den 1970er Jahren - Nach 1811 verschiedene Verwendungen - Kaserne, später Stadtarchiv und heute Standesamt
Guillotine
Guillotine

Auch der Abriss von Innenstadtkirchen wird erwogen, unter anderem der Abbruch der Lambertikirche und der Aegidiikirche.

 

Auf dem Lambertikirchplatz ist die Aufstellung eines  Napoleondenkmal geplant. Der Platz soll künftig den Namen Napoleonplatz erhalten. Diese Pläne werden Gott sei Dank nicht realisiert.

 

Etliche Kirchen und Klöster werden in Pferdeställe, Militärdepots oder Kasernen ,umfunktioniert'.

 

Eine Guillotine befindet sich auf dem Domhof (heute Domplatz), und es wird mit ihr gerichtet.

Grafik Wilfried Schroeder
Grafik Wilfried Schroeder
Napoleondenkmal statt Lambertikirche - Fotomontage
Napoleondenkmal statt Lambertikirche - Fotomontage

Soldaten exerzieren an Sonn- und Feiertagen auch während der Gottesdienste auf dem Domhof. Für den Zeitzeugen Lepping ist dies persönlich besonders erschütternd, weil der Domhof vormals ein Ort des Friedens war, an dem kein Soldat sein Bajonett aufstecken durfte.

 

Der Handel von Waren ist stark eingeschränkt und unterliegt strengen Auflagen der französischen Verwaltung.

 

Die Sicherheit und die Ruhe auf Wegen und Landstraßen während der Besatzungszeit werden besonders positiv erwähnt. Gendarmen sorgen dafür.

Und auch dies ist zu lesen...

Schlittschuhlaufen auf dem Aasee 1931
Schlittschuhlaufen auf dem Aasee 1931

Am Neuen Krug wird ein Schlagbaum errichtet. Auf der Strecke bis Wesel folgen elf weitere Schlagbäume

 

Die Windmühle am Ludgeritor wird vom Blitz getroffen und verliert einen Flügel.

 

Im Januar geraten drei Personen bei einer Schlittenfahrt auf der Aa unters Eis und sterben, darunter eine schwangere Ehefrau.

 

,Frauenzimmer' laufen auf dem Eise Schlittschuh; man habe dies zuerst bei Holländerinnen gesehen. Und ,Mannspersonen' fangen an, über die Straßen mit Brillen auf den Nasen zu gehen, obwohl sie nichts zu Lesen haben.

Ende der französischen Besetzung

Mit den verlorenen Feldzügen der Franzosen endete auch die napoleonische Herrschaft. 1814-1815 fand der Wiener Kongress statt. Westfalen wurde Provinz des Königreichs Preußen mit Münster als Hauptstadt. Es folgten Jahre der Neuordnung und Konsolidierung.

Leseprobe: Die Jahre 1818 und 1819 (ausschnittsweise)


Über Nicolaus Antonius Lepping und seine Mittheilungen

Der Chronist Lepping (*1766 - † 28. November 1836 in Münster) hat wertvolle Aufzeichnungen zur Lokalgeschichte Münsters der unruhigen Jahre 1794 bis 1832 hinterlassen. Seine ,Mittheilungen' beschreiben eindrucksvoll das Eintreffen französischer Flüchtlinge und deren weiteres Schicksal und insbesondere die Zeiten des Umbruchs mit all seinen vielfältigen Auswirkungen.

 

Der Westfälischen Merkur veröffentlichte 1883 eine gekürzte Fassung, die auch als Büchlein bei Regensberg erschien. Die vollständige, umfassendere Abschrift seiner Aufzeichnungen liegt vor.

 

Bis auf wenige biographische Angaben am Ende des Buches ist über Leppings Leben nichts bekannt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Lepping als Kaplan von St. Lamberti im Hause Alter Fischmarkt 19.

Kurze Erläuterung

Ich habe mich bei Leppings detailreicher Beschreibung auf einige wenige Aussagen beschränkt. Dennoch dürften die äußerst schwierigen Lebensumstände der Menschen während der Besetzung erkennbar werden. Die Säkularisierung, die Trennung Kirche und Staat, bedeutete auch eine Zäsur, einen tiefgreifenden Umbruch im über Jahrhunderte religiös geprägten Leben der Münsteraner und der Münsterländer.


Quellen

Nicolaus Antonius Lepping: Mittheilungen aus einer kurzgefassten Chronik - Regensberg 1883

Heinrich Geisberg: Kurze Chronik der Stadt Münster - Regensberg 1889

Ausschnitt Alerdinckplan: Vermessungs- und Katasteramtes der Stadt Münster vom 8.5.2015, Kontrollnummer 6222.284.15

Text und Idee: Henning Stoffers

Abbildungen: Archiv Henning Stoffers