Liebe Leserin, lieber Leser,

über die Türmer von St. Lamberti und die Geschichte des Turmes habe ich bereits geschrieben. Diesen Turm einmal zu besteigen, hatte sich bisher leider nicht ergeben.

 

Nun ging ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Wie es dazu kam, und welche Eindrücke ich hatte, erzähle ich in dieser Bildgeschichte.

 

Ihr Henning Stoffers


Teatime bei der Türmerin

Wie es begann

Martje Saljé vor dem Turmeingang
Martje Saljé vor dem Turmeingang

Vor einiger Zeit lernte ich Martje Saljé - die Türmerin von St. Lamberti - kennen. Das war kein Zufall, denn unsere Interessen sind gleich: Münsters Geschichte. Und so kam es zu einem regen und interessanten Gedankenaustausch.

 

Wie es mit einer Toilette im Turmzimmer sei, sind es die echten Täuferkäfige und könne der Turm einmal bestiegen werden? Dies sind die Fragen, die ihr oft gestellt werden.

 

Als ein Freund sie wegen einer Turmbesteigung etwas keck ansprach, gab es die Auskunft, dass strikte (haftungsrechtliche) Regelungen gelten, wonach ein Turmaufstieg nur besonderen Gästen der Stadt, Historikern und Journalisten vorbehalten sei - er würde leider nicht darunter fallen. Aber für Henning dürfte es eine Zustimmung geben.

Der Turmaufstieg

Ansicht vom Drubbel
Ansicht vom Drubbel

Es ist soweit, ein schöner, außergewöhnlich heißer und sonniger Frühsommertag. Da es erst spät dunkel wird, freue ich mich auf eine tolle Aussicht. Wir sind um 20:30 Uhr vor dem Turmeingang verabredet.

Die Turmspitze
Die Turmspitze

Mir ist es etwas blümerant zumute, denn wie mein Asthma auf die zu bewältigenden 298 Stufen und 75 Meter reagieren würde, ist ungewiss. Und außerdem habe ich auch noch Höhenangst...

 

Dann kommt Martje pünktlich und frohgemut angeradelt. Einige Passanten erkennen die Türmerin, und es ergibt sich sofort ein fröhlicher Dialog. Natürlich wollen die Leute auch gleich mit auf den Turm, was aber leider nicht geht.

Eine enge Wendeltreppe führt uns vorbei an dem Zugang zur Orgelempore.

 

Der eiserne Handlauf, den es in den 1920er Jahren noch nicht gab, erweist sich beim Hochsteigen als sehr hilfreich. Es wäre sicher nicht gut, wenn man hier stolpern würde.

 

Gäbe es keine elektrische Beleuchtung, wäre es im Turmaufgang auch tagsüber stockdunkel, da es keine Fenster gibt. In den früheren Jahrhunderten werden die Türmer eine Laterne bei sich gehabt haben. Eine Fackel wäre wegen der Feuergefahr nicht ratsam gewesen. Offenes Feuer war über die Jahrhunderte verboten.

Bei den Käfigen der Täufer

Blick auf den Prinzipalmarkt
Blick auf den Prinzipalmarkt
Blick auf den Stadthausturm und die Ludgerikirche
Blick auf den Stadthausturm und die Ludgerikirche

Nun haben wir das erste Etappenziel erreicht. Mein Blick geht an den Käfigen der Täufer vorbei in Richtung Prinzipalmarkt.

 

Dann schaue ich auf die sich in nächster Nähe befindenden Käfige, die seit Jahrhunderten am Kirchturm hängen. Sie waren in den vergangenen fast 500 Jahren Zeuge einer wechselhaften Vergangenheit: Kriege, Zerstörungen, Leid, Wiederaufbau, Freude und dem nicht versiegenden Optimismus der Bürgerschaft für die Zukunft der Stadt.

Der Klöppel mit Öse
Der Klöppel mit Öse
Die Käfige der Täufer mit den brennenden Lichtern der Baumgarten-Installation
Die Käfige der Täufer mit den brennenden Lichtern der Baumgarten-Installation

Eindrucksvoll und erhaben hängt in der Turmmitte die alte Rats- und Brandglocke, die bei der Wahl des Oberbürgermeisters heute noch gebeiert wird. Auch sehe  ich die Öse am Ende des Klöppels, durch die ein Seil gezogen wird, um den Klöppel gegen die Glocke schlagen zu lassen.

Die Rats- und Brandglocke
Die Rats- und Brandglocke

Die Türmerstube

Nach einigen nicht gezählten Stufen erreichen wir die Türmerstube. Ein vielleicht 20 qm großer Raum, gemütlich eingerichtet und mit einer besonderen Atmosphäre. Neben dem Türmer-Horn sind noch andere Instrumente vorhanden, denn Martje hat sowohl Geschichte als auch die Musikwissenschaften studiert, und so ist es nicht verwunderlich, dass sie leidenschaftlich gern musiziert.

 

Dann erzählt sie von dem Juli-Unwetter 2014. Der Sturm hatte die Fensterscheiben ihrer Stube eingedrückt und der Regen konnte ungehindert eindringen. Ihr war ganz bange vom Getose des Windes und sie war sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, den Turm zu verlassen. Einen Rat bei der Feuerwehr konnte sie nicht einholen, da das Telefon ausgefallen war. Ihr Pflichtbewusstsein hielt sie vom vorzeitigen Verlassen des Turmes zurück.

Tuten

Es ist inzwischen 21 Uhr geworden. Bei der Feuerwehr hatte Martje ihren Dienstantritt bereits gemeldet. Auch hatte sie das Mundstück ihres Horns sorgfältig poliert. Nun blickt Martje prüfend über die Stadt, ob irgendwo eine verdächtige Rauchfahne eines Brandes zu sehen ist. Nach dem letzten Glockenschlag tutet sie in ihr Horn, und zwar in die Himmelsrichtungen Süden, Westen und Norden. Der Osten wird strikt ausgelassen.

 

Warum? Vor vielen Jahren hätte sich ein reicher Bürger des östlichen Münsters über den Lärm der Tuterei beschwert und für das dauerhafte Unterlassen einen hohen Geldbetrag gespendet. So soll's gewesen sein ...oder vielleicht auch nicht, denn es gibt weitere sagenhafte Deutungen. 

 

Nach dem Tuten beugt sich Martje über die Brüstung. Die untenstehenden Passanten rufen und winken ihr zu - Martje winkt zurück.

Es geht noch höher

Atemberaubende Perspektive in die Turmspitze
Atemberaubende Perspektive in die Turmspitze

Oberhalb der Türmerstube gibt es eine weitere Plattform. Von hier führt eine eiserne Wendeltreppe weiter in die Turmspitze. Betreten verboten - nur für absolut schwindelfreie Menschen, die sich um den Bauzustand oder um die weiter oben eingebaute Technik kümmern müssen.

 

Ein fantastischer Ausblick bietet sich von dieser Stelle.

Wer mag sich hier verewigt haben?
Wer mag sich hier verewigt haben?

Wir sind jetzt auf einer Höhe von 75 Metern. Es ist still, kaum dringt Straßenlärm herauf. Ab und zu klingt leise Musik vom Schlossplatz herüber.

 Der Ort ist losgelöst vom Alltag, ein Ort der Ruhe, etwas Mystisches ist zu spüren. Man mag sich gar nicht lösen... - Aber heute ist auch ein besonders schöner Tag, windstill und angenehm warm. Bei Wind und Wetter wird es hier weniger angenehm sein.

Der Aasee - klein und versteckt wirkend
Der Aasee - klein und versteckt wirkend
Mauritzkirche
Mauritzkirche

Teatime bei der Türmerin

Wir sind wieder in der Türmerstube angelangt. Martje schenkt Tee in kleinen Bechern aus - eine spezielle Mischung, nur für sie hergestellt. Dann greift sie zur Gitarre und singt ein Lied, einfühlsam und berührend.

 

Nun geht es treppab, natürlich deutlich schneller als umgekehrt... Vorbei an den Käfigen der Täufer, in denen inzwischen die drei Lichter der Installation von Lothar Baumgarten brennen. Einige Fotos mache ich noch, ...dann trete ich durch die Pforte des Turmeingangs ins Freie und ich habe wieder den gewohnten Boden unter den Füßen.

 

Ich habe Martje an ihrem Arbeitsplatz erlebt - sympathisch, engagiert, den Menschen zugewandt, begeistert von ihrer Aufgabe. Es war ein Erlebnis, an das ich mich gerne erinnern werde, und hierfür danke ich der Türmerin.


Sonnenuntergang
Sonnenuntergang

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Die Türmer von St. Lamberti


Quelle

Henning Stoffers: Fotos und Text