erinnern Sie sich noch an Ihre Tanzstunde? War Ihr Kursus bei Eugen Wichtrup, Rudolf Grebe, Charly Zimmermann, Stefan Bernárd oder bei einer anderen Tanzschule in Münster? - Diese Bildgeschichte widmet sich vorwiegend der Tanzschule Estinghausen, die sich einst auf dem Prinzipalmarkt befand. Daneben habe ich am Schluss einige Erinnerungen aus meiner Tanzstundenzeit niedergeschrieben.
Für das umfangreiche Bildmaterial und die vielen Informationen danke ich Werner Estinghausen jun.
Ihr Henning Stoffers
Tanzschulen gab es schon lange in Münster. Der Besuch eines solchen Institutes war unabdingbar, um als junger Mensch in die ,Gesellschaft eingeführt' zu werden. Hier lernte man neben dem Tanzen auch die Regeln des ,Anstandes' und konnte ganz offiziell erste Kontakte zum anderen Geschlecht aufnehmen.
Im ältesten Einwohnerbuch von Münster aus dem Jahre 1853 sind bereits vier Tanzlehrer aufgeführt. Eine erstaunlich hohe Zahl, zumal Münster damals nur 25.000 Einwohner zählte.
Ein eleganter Herr im Frack und mit Zylinder, eine große Blume am Revers, den Tanzstock lässig in der Hand schwingend: Der Tanzlehrer Werner Estinghausen.
Wie auf den Bildern zu sehen ist, strahlte Estinghausen jede Menge Charme und Lebensfreude aus.
1919 gründete Werner Estinghausen - er war erst 23 Jahre alt - seine Tanzschule in der Ludgeristraße 91. Später ging es an den Alten Steinweg 1. Lange Jahre hatte die Tanzschule in Münsters guter Stube, dem Prinzipalmarkt, eine prominente Adresse gefunden.
In den ersten Jahren nach 1945 war die Tanzschule im Landeshaus, Karlstraße 1, untergebracht. Das vordere Gebäude war weitgehend unzerstört geblieben. Leider wurde es für den Neubau abgerissen.
In jener Zeit mussten die Tanzschüler neben dem zu zahlenden Honorar jeweils 2 Briketts mitbringen, damit der Tanzsaal in der Winterzeit beheizt werden konnte. Dies berichtete Marietta Kranefeld, die dort ihrenTanzkursus machte.
In meinem Archiv befindet sich das obige Tanzkärtchen der Tanzschule Estinghausen. Es war im Jahre 1956, als junge Damen und Herren ihren Tanzkursus machten. Zum Schlussball bekam jede Person ein Tanzkärtchen, in das sich der jeweilige Tanzpartner bzw. die Tanzpartnerinnen eines Tanzes eintrug.
Als ich vor einigen Jahren Toni B. - Tochter eines bekannten Gastwirtes - diese Karte zeigte, freute sie sich sehr, mit diesem kleinen Dokument an ihre Tanzstundenzeit erinnert zu werden. Sie hatte sich damals für den Walzer mit Dieter R. eingetragen.
Für die Teilnahme an einem Tanzkursus musste eine damals wichtige Voraussetzung erfüllt sein: Die Volljährigkeit mit 21 Jahren.
War dies nicht der Fall, benötigte der Tanzlehrer die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.
Bei der nebenstehenden Postkarte an die Tanzschule Estinghausen gab Frau Rudolf Breilmann diese Zustimmung für Ihren Sohn Rudolf.
Welch Überraschung: Es handelt sich um Münsters bekannten Maler und Bildhauer Rudolf Breilmann, den ich seit vielen Jahren kenne und sehr schätze.
Eine Tanzschule zu besuchen, diente oft nur vordergründig dem Zweck, das Tanzen zu erlernen und bestimmte Umgangsformen vermittelt zu bekommen. Die geheimen Wünsche waren aber andere: Man wollte auf diesem Wege Kontakte zum anderen Geschlecht knüpfen.
Diese Kontakte führten oftmals zur Heirat oder zu einer langfristigen Verbindung. Ich habe Werner Estinghausen jun. gefragt, wie viele solcher Verbindungen durch seine Tanzschule entstanden seien. Unzählbar, es werden über die Jahrzehnte sicherlich Tausende gewesen sein, war seine Antwort.
Es stellte sich natürlich die Frage, welche Tanzschule man wählen sollte. In den 60er Jahren gehörten Werner Estinghausen, Rudolf Grebe und Eugen Wichtrup zu den besonders attraktiven Einrichtungen. Weniger gefragt war Stefan Bernárd, der als strenger Tanzlehrer galt. Dann gab es Charly Zimmermann an der Neubrückenstraße: die absolute Top-Adresse in Münster, einfach ,super in'. Hier waren die ,coolsten' Typen beim ,Tanztee' am Wochenende anzutreffen.
Werner Estinghausen sen. starb 1963 mit 67 Jahren. Sein Sohn führte die Tanzschule bis Ende der 60er Jahre weiter.
Kürzlich wurde Werner Estinghausen jun. - hoch in die 70 - von einer Passantin angesprochen, ob er der Tanzlehrer vom Prinzipalmarkt sei. Ihr damaliger Tanzlehrer muss bei der älteren Dame einen sehr nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, so dass sie ihn nach fast einem halben Jahrhundert wiedererkannte. Werner Estinghausen hat sich über diese Begegnung sehr gefreut, obwohl er sich an die Dame - verständlich bei den vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern über die Jahrzehnte - nicht mehr erinnern konnte.
Zu Beginn einer Tanzstunde wurden zunächst die Tanzschritte aus der vorhergegangen Stunde wiederholt. Dann erklärte Herr Bernárd den nächsten einzustudierenden Tanz: Schritt - Schritt - Rumba - Schritt. Oder dieser sonderbare ,Kubanische Laufschritt' war zu erlernen. Dann forderte Herr Bernárd eine Dame oder einen Herrn auf, mit ihm die Schrittfolge vorzuführen. Für uns Herren war dies immer sehr, sehr peinlich...
Nun mussten alle Teilnehmer das Vorgeführte üben. An der einen Wandseite standen die Damen, auf der anderen die Herren. Genausten wurde von den Herren taxiert, welche Dame als Tanzpartnerin zu erwählen sei. Einige Damen standen besonders hoch im ,Kurs', so dass gleich mehrere Herren bei ihnen ihr Glück versuchten. Dann gab es auch das ,Mauerblümchen', deren Tanzpartner sich erst fand, nachdem er woanders abgeblitzt und leer ausgegangen war. Ein umgekehrtes Bild ergab sich bei der Damenwahl. Einige Herren waren sehr gefragt...
Mein herzlicher Dank geht an Frau Bettina Klusemann, die mir die nachstehenden Bilder aus ihrer Tanzstundenzeit zur Verfügung stellte.
Die nachfolgenden Bilder und Dokumente zur Tanzschule Dr. Joseph Oberbach stellte mir Frau Elisabeth Hölscher zur Verfügung. Mein herzlicher Dank geht an sie.
Dr. Josef Oberbach, geboren am 26.8.1908 in Paderborn, studierte an den Universitäten Leipzig, Bonn, Münster und der Kunstakademie Königsberg Zeitungswesen, Medizin, Pädagogik, Kunstgeschichte, und Archäologie. Er promovierte in Kunstgeschichte an der naturwissenschaftlichen und philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zum Doktor der Philosophie.
In den Nachkriegsjahren gründete Dr. Oberbach in Münster eine Tanzschule, die später von dem Tanzlehrer Charly Zimmermann übernommen wurde. Sein weiterer Lebensweg führte ihn nach Süddeutschland, wo er sich als ,Bioplasmaforscher' betätigte. Dr. Oberbach starb im hohen Alter im Jahre 2003.
Viele von Ihnen werden sich gern an ihre Tanzstundenzeit und ihren Tanzlehrer erinnern, waren doch viele Erlebnisse und Eindrücke damit verbunden.
Als ich diese Geschichte schrieb, hatte sich bei mir ein Ohrwurm festgesetzt: Vico Torrianis Schlager ,Lass uns mal ein Tänzchen wagen'.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde diese Musik bei Eugen Wichtrup zum Tanz aufgespielt.
PS
Falls sich jemand auf einem der Bilder wiederkennen sollte, stelle ich gern Kopien zur Verfügung.
Quellen
Fotos: Werner Estinghausen, Bettina Klusemann, Elisabeth Hölscher
Idee und Text: Henning Stoffers