im Januar 2021
vor einigen Jahren traf ich in den Münster-Arkaden* Toni Witte-de Groot. Sie stammt aus der Familie Josef Beisenkötter und ist in der dritten Generation eng mit der Geschichte des ehemaligen Hotels ,Hansa-Haus' verbunden. Von ihr bekam ich für diesen Beitrag freundlicherweise etliche Dokumente und Fotografien ihrer Familie.
An die mehr als einhundertjährige Geschichte dieses Traditionshauses erinnere ich mit diesem Beitrag.
Ihr Henning Stoffers
*Nicht unweit von dort betrieben ihre Großeltern vor 110 Jahren eine Gaststätte mit Brauerei und Biergarten.
Einst beherbergte unsere Stadt zahlreiche Brauereien, Gaststätten und Biergärten. Sie waren fester und integrativer Bestandteil des städtischen Lebens. Eines dieser gastronomischen Unternehmen war das Hotel Hansa-Haus am Albersloher Weg. Die Wurzeln des Hotels sind im Bereich der Innenstadt zu finden, und zwar in der Königstraße. Ende des 19. Jahrhunderts betrieben Theodor und Franziska Beisenkötter dort eine Bäckerei, eine Altbierbrauerei und eine Gaststätte mit Biergarten.
Die Geschichte beginnt mit einem ungewöhnlichen Heiratsantrag. Theodor Beisenkötter ist mit der Bauerntochter Franziska Heitmann aus Gelmer verlobt. Theodor schreibt ihr am 19. April 1898:
,Wie Du weißt, habe ich zum 1. Oktober die Wirthschaft der Wiwte Tillmann ...gemiethet. ...Das Haus ist in einem guten Zustande, die Bäckerei ist gut, läßt sich durch Anlage eines kleinen Gartens noch verbessern. Dann kann ich die Hälfte der Miethe wohl aus der Bäckerei schlagen, um den Rest aus der Wirthschaft und der Brauerei zu machen. Wird wohl nicht allzu schwer sein. Weil ich nun weiß, daß Du besonders für Wirthschaft ein besonderes Interesse hast, ...frage ich Dich, ob Du geneigt bist, mit mir dort anzufangen, ob Du als Frau mit mir einziehen willst.'
Aus seinen Zeilen spricht eine wohlüberlegte, zielgerichtete Planung, die zudem mit einer Heirat gekrönt werden soll. Auf vier Säulen steht Theodors Geschäftsidee: die Bäckerei, die Brauerei, die Gastwirtschaft und die Verbindung mit einer Frau, die an seiner Seite stehen soll. Wie nachfolgend zu sehen ist, nimmt Franziska Theodors Antrag an. Fünf Monate später findet die Hochzeit statt.
Im nahegelegenen Möbelmagazin in der Königstraße 4 wird die Einrichtung erworben. Detailliert ist alles mit den jeweiligen Preisen festgehalten und quittiert.
Zur Hochzeit am 22. September 1898
Das frischverheirate Paar bezieht das Tillmannsche Haus, und am 3. Oktober 1898 - es ist ein Montag - wird die Gaststätte an der Königstraße 35 eröffnet. Ein ausgetüfteltes Festprogramm sieht folgenden Ablauf vor:
Am Vortag läuten sämtliche Glocken. Abends führt ein Fackelumzug zur Gaststätte. Böllerschüsse sind der krönende Höhepunkt. Am nächsten Tag ziehen die Gäste in Badehose und Zylinder zum Vormannschen Haus. Anschließend wird ein Doppelalt-Fass angestochen.
Diese äußerst kreative und publikumswirksame Eröffnung wird Tagesgespräch in Münster gewesen sein. Wir wissen heute nicht, ob die Glocken der nahegelegenen Ludgerikirche und andere Kirchenglocken wirklich geläutet haben. Ebenfalls lässt sich nicht klären, ob das Doppelalt als Freibier an die Gäste ausgeschenkt wurde. Aber eines wird sehr deutlich: Theodor und Franziska Beisenkötter verstehen, wie sie ihre Gastwirtschaft und Brauerei in Münster bekannt machen.
Die Ansichtskarte im Jugendstil von etwa 1905 zeigt am linken Bildrand die Brauerei und Gastwirtschaft Theodor Beisenkötter an der Königstraße 35. Später entstand in nächste Nähe der Gaststätte das Apollo-Theater.
Auf der Ansichtskarte ist oben links das sternförmige Zunftzeichen der Brauer abgebildet. Hopfenranken und ein Bierkrug verzieren das Emblem. Die sechs Ecken des Sterns stellen die fürs Bierbrauen notwendigen Elemente dar. Die beiden miteinander verbundenen Dreiecke symbolisieren zugleich als Davidstern das Judentum. |
Theodor hat das Brauhandwerk bei seinem Bruder Johann erlernt, der in der Breiten Gasse eine Bäckerei und eine Brauerei betreibt. Von 1898 bis 1909 braut Theodor nunmehr im Tillmannschen Haus sein ,Mönsterk Aolt', ein Bier, das in dieser Zeit in Münster und dem Umland hauptsächlich üblich war.
Das Bier wird aus einfachen, kleineren Gläsern getrunken. Es gibt aber auch den Bullenkopp (siehe nebenstehende Abbildung) oder das Bennätzken. Diese Tongefäße fassen ca.sechs bzw. ca. drei Liter. Solche Krüge wurden auch dazu verwandt, das Bier vom Brauhaus abzuholen, um es zuhause zu trinken. |
Theodor Beisenkötter sitzt im Kreis seiner Stammgäste bei einem gemeinsamen Ausflug ins Stevertal bei Schapdetten. Eine Herrengesellschaft, behütet, wohlsituiert, bei einem Glas Altbier. Es mögen Lehrer, Beamte, Handwerker und Angestellte gewesen sein. Theodor trägt über dem Bauch eine große Uhrenkette. Sein Blick verrät Aufmerksamkeit.
Wie sehr Theodor Beisenkötter es versteht, seine Stammkundschaft an sich zu binden, zeigt folgendes Beispiel: 1903 wird der Verein der Kakteenfreunde bei den Beisenkötters gegründet. Theodor ist eines der Gründungsmitglieder, und so wird seine Gaststätte Stammlokal des Vereins.
Die Geschäfte von Theodor und Franziska Beisenkötter gehen im Tillmannschen Haus prächtig. Es ist an der Zeit, nach etwas anderem, etwas größerem Ausschau zu halten.
Im Herzen Münsters - in der Königstraße 9 - liegt die Altbierbrauerei Carl Mühlenhoff. Das Anwesen bietet seinen Gästen neben umfassenden Räumlichkeiten eine großzügige Gartenanlage mit altem Kastanienbestand.
Wie modern das Haus für die damaligen Verhältnisse ausgestattet ist, zeigt der Hinweis, dass für Gäste und Bewohner Wasserklossets vorhanden sind. Gerade einmal rund 30 Jahre sind erst vergangen, dass die Wasserleitungen und die Abwasserkanalisation nach Münster kamen.
Theodor und Franziska Beisenkötter vergrößern sich, indem sie 1909 die Brauerei Carl Mühlenhoff in der Königstraße 9 pachten. Hier bietet sich die Möglichkeit zu einer weiter wachsenden Geschäftsentfaltung.
Für Schützenfeste, Hochzeiten und andere Festlichkeiten bieten die Räumlichkeiten für viele Besucher großzügig Platz. Im Tillmanschen Haus wäre dies nicht möglich gewesen.
Im Biergarten proben die Musiker der Dreizehner Kapelle (Dreizehner = 13. Infanterieregiment) fleißig zur Freude der Gäste. Die Aegidiikaserne der Dreizehner liegt an der Aegidiistraße - nicht unweit der Gaststätte.
1901 ist die Straßenbahn nach Münster gekommen. Ein Gleispaar führt durch die Königstraße direkt an der Altbierbrauerei vorbei.
Die Straßenbahn nutzen die Bürgerschützen und fahren mit sechs festlich geschmückten ,Elektrischen' direkt zur Gaststätte. Sie werden musikalisch durch die Dreizehner begrüßt.
Wie sehr man in der Altbierbrauerei feiert, zeigt der nebenstehende Ausschnitt einer alten Ansichtskarte: Im Fenster stehend prosten sich einige Gäste zu. Am Bierfass im Vordergrund hängt ein Schild mit der Aufschrift ,Altbier'. Wer die im Torbogen stehende Dame ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Vielleicht ist es die Chefin Franziska Beisenkötter.
Der 1. Weltkrieg bricht aus und bringt einschneidende Änderungen für die Bevölkerung mit sich. Die Versorgungslage mit Lebensmitteln verschlechtert sich dramatisch. Die Auswirkungen des Kriegsgeschehens ist auch fern der Fronten zu spüren. Inzwischen sind Großbrauereien entstanden - in Münster zum Beispiel die Westfalia- und die Germania-Brauerei. Ein großes Sterben der Kleinbrauereien hat begonnen. Auch Theodor Beisenkötter stellt den Braubetrieb ein.
Was aus der Altbierbrauerei wurdeDas Grundstück von Carl Mühlenhoff erwirbt die Kreissparkasse Münster und geht später in das Eigentum der Stadt über. Heute befindet sich dort die Garageneinfahrt zu einem Einkaufszentrum zwischen der Ludgeristraße, der Rothenburg und der Königstraße. Es sind die Münster-Arkaden, die 2006 eröffnet wurden.
Nichts erinnert mehr an die Altbierbrauerei und deren Geschichte... |
Der erste Weltkrieg ist beendet, als im Jahre 1920 Theodor und Franziska das Hotel-Restaurant ,Hansa-Haus' am Albersloher Weg 1 erwerben. Die Lage des Gebäudes ist optimal, zumal gegenüber der Bahnhof der Westfälischen Landeseisenbahn mit viel Publikumsverkehr liegt.
Theodor Beisenkötter ist inzwischen eine stadtbekannte Persönlichkeit, dessen kommunalpolitischer Rat gefragt ist. Er stirbt 1931 mit 66 Jahren, Franziska folgt ihm 3 Jahre später nach.
Von den drei Kindern aus der Ehe Beisenkötter-Heitmann übernimmt Sohn Josef das Hansa-Haus. Seine Frau Toni ist eine geborene Micklinghoff, deren Familie den Gasthof Deutscher Vater in Handorf betreibt. Später einmal - nach Josefs Tod 1967 - werden seine Frau Toni und deren Tochter Toni Witte-de Groot das Hotel leiten. - Aber zuvor bricht der 2. Weltkrieg mit all seinem menschlichen Leid und seinen verheerenden Zerstörungen aus.
Es ist der 13. September 1944. Ein Bombenangriff legt das ,Hansa-Haus' in Schutt und Asche. Einige Außenmauern mit leeren Fensterhöhlen sind stehen geblieben. Als höchster Punkt des Hauses ragt ein Schornstein einsam empor.
Josef Beisenkötter war Soldat und kehrt aus dem Krieg zurück. Josef und Toni stehen vor den Trümmern ihres Hauses, ihrer Existenz. Sie beginnen den Neuanfang mit einer einfachen Baracke, die ihnen als Wohnung dient.
Blick vom Hansa-Haus auf die zerstörte Nachbarschaft 1941
Josef und Toni Beisenkötter beginnen mit dem Wiederaufbau und setzen mühsam Stein auf Stein. Zunächst entsteht ein notdürftig eingerichtetes Restaurant mit einer kleinen Pilsstube. Diese Entscheidung hat einen einfachen, pragmatischen Grund, denn hieraus sollen die dringend benötigten ersten Einnahmen geschöpft werden.
Das kleine Speiselokal mit einem Schankraum wird 1948 eröffnet. Die Speisekarte vom 15.6.1948 könnte vom ,Küchenmeister Schmalhans' stammen. Nur einfache Kost steht auf dem Zettel. Ein Fleischgericht wird vergeblich gesucht. Und noch etwas fällt auf. Für jede Speise müssen neben dem Geldbetrag zusätzliche Lebensmittelmarken abgegeben werden.
Bereits zwei Jahre später ist das erste Obergeschoss fertiggestellt und bietet mit 9 Zimmern und 12 Betten Platz für die ersten Hotelgäste.
Die Nachkriegsjahre bringen einschneidende Änderungen im nächsten Umfeld mit sich. Der Bahnhof der Westfälischen Landeseisenbahn wird zum Hauptbahnhof verlegt. Gäste aus dem ehemals benachbarten Bahnhof können nicht mehr erwartet werden. Aber in der nahegelegenen Halle Münsterland finden in den 1950er bis in die 1980er Jahre die beliebten 6 Tage-Rennen statt. Aus diesem Anlass ist die Gaststätte micht nur an 6 Tagen, sondern auch an 6 Nächten geöffnet.
1963 beginnt der Aufbau der restlichen Etagen des Hansa-Hauses. Geplant sind weitere Hotelzimmer und 15 Drei- und Vierzimmer-Wohnungen. Neben dem Restaurant wird ein Aufenthaltsraum mit Frühstückszimmer für die Hotelgäste eingerichtet. - Es entsteht ein moderner Zweckbau im Stil der 1960er Jahre. Von der üppigen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts mit Türmchen und Erkern ist nichts geblieben.
Es sind die Jahre des Wirtschaftswunders. Aber es sind auch noch die trutschigen Zeiten einer aus heutiger Sicht queren Moral und Sitte. Einem unverheirateten Paar ein Hotelzimmer zu überlassen, kann wegen Kuppelei strafbar sein. Also lässt sich Josef Beisenkötter im Zweifelsfall hin und wieder den Trauschein zeigen. Nichts Ungewöhnliches in diesen Jahren...
1967 werden das Restaurant und die Bierstube verpachtet. Im gleichen Jahr stirbt Josef Beisenkötter. Toni Beisenkötter (†2003) und hauptsächlich Tochter Toni Witte-de Groot übernehmen die Leitung des Hotels bis zur Schließung im Jahre 2006.
Inzwischen sind die Räumlichkeiten an das Studentenwerk vermietet. Das Haus ist nunmehr Wohnheim für Studentinnen.
Von der Südstraße 100 - meinem Elternhaus - war der Fußweg bis zum Hansa-Haus nicht allzu weit. Dort befand sich nämlich das Objekt meiner Wünsche: Hugo Stutz hatte sich in den ersten Nachkriegsjahren im zerstörten Gebäudekomplex der Beisenkötters eine Werkstatt eingerichtet. Er unterhielt eine Verkaufsstelle für Mopeds, und zwar von einer besonderen französischen Marke, dem Vélosolex. Dieses Moped war für uns Jugendliche Ende der 1950er Jahre der Inbegriff des Besonderen, der gesteigerten Individualität.
Der Preis von rund 350 DM war natürlich für mich unerschwinglich. Wie gern hätte ich solch ein Vélosolex gehabt...
Ohne Unterstützung von Toni Witte-de Groot wäre dieser Beitrag nicht zustande gekommen. Beispielhaft zeigt sich hier, wie mit Fleiß, Beharrlichkeit, Solidität und Kreativität Werte geschaffen, Existenzen erhalten und schwere Zeiten überstanden werden.
Was auch wichtig ist: Ein Stück Münster-Geschichte kann vor dem Vergessen bewahrt werden, und darüber freue ich mich besonders.
Quellen
Zur Geschichte der münsterschen Altbierbrauer:
Walter Werland
Informationen und Abildungen, soweit nicht anders benannt:
Toni Witte-de Groot und Theo Beisenkötter
Text und Idee:
Henning Stoffers