diese Geschichte führt Sie in das alte Münster der Jahre 1910 bis 1915. Professor Geyser fotografierte die Stadt nebst näherer Umgebung aus seinem persönlichen Blickwinkel. Da es sich nicht um die damals übliche ,Ansichtskartenfotografie' handelt, haben diese Bilder ihren besonderen Reiz.
Lassen Sie sich 100 Jahre zurück versetzen.
Ihr Henning Stoffers
PS
Die erstmals 2014 veröffentlichte Geschichte habe ich vollständig überarbeitet und textlich erweitert.
Vor einigen Jahren bot mir ein Auktionshaus einige Blätter eines Fotoalbums an. Das Wenige, was zu sehen war, hatte mein Interesse geweckt. Ich wurde nicht enttäuscht: 47 Fotos, teils von exzellenter Qualität, zeigen Münster in den Jahren von 1910 bis 1915, vermutlich fotografiert von Professor Joseph Geyser.
Weiterführende Angaben über die Herkunft der Bilder gab es nicht. So wurde gerätselt, wer der Fotograf der Aufnahmen gewesen sein mag.
Auffällig war, dass ein Haus mehrfach aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen worden war. So lag die Vermutung nahe, dass nur der Besitzer dieses Hauses auch der Fotograf gewesen sein musste. Die Straße und die Hausnummer konnten ermittelt werden: Es ist die Gertrudenstraße 37 im Kreuzviertel - im Volksmund auch Professorenstraße genannt.
Jetzt ging es darum herauszufinden, wer dort gewohnt hatte.
Das Einwohnerbuch aus dem Jahre 1909 gab Auskunft. Eigentümer und Bewohner war der Philosophie-Professor Dr. Joseph Geyser. Er lehrte an der hiesigen Universität von 1904 bis 1917.
Von den insgesamt 47 Fotografien wird an dieser Stelle eine kleinere Auswahl gezeigt. Bei einer Bildgröße von 10 x 8 cm ist es erstaunlich, wie gestochen scharf die Aufnahmen sind.
Auch der Erhaltungszustand ist ausgezeichnet. Es sind auch nach mehr als 100 Jahren keine Alterungsspuren zu erkennen. - Die Fotografien wurden erfreulicherweise meistens säuberlich mit Angaben zum Aufnahmeort und Aufnahmedatum beschriftet. Leider fehlte bei der nebenstehenden Aufnahme die Ortsangabe.
Bei diesem Foto vermutete ich den Standort im Umkreis von Marienthal, der Wienburg oder der Gasselstiege.
Das Rätsel klärte sich wie folgt: Vor einiger Zeit hatte ich Frau Marietta Kranefeld † (Gaststätte Kranefeld auf der Grevener Straße) kennengelernt. Und als ich ihr diese Aufnahme zeigte, war die Freude groß. Es ist das Haus ihrer Familie an der Gasselstiege. Heute steht an dieser Stelle das obige Mehrfamilienhaus.
Geysers Spaziergänge führten ihn in den Jahren 1910 bis 1915 hauptsächlich in die nördlich vom Kreuzviertel gelegene Umgebung. Entlang der Grevener Straße, der Gasselstiege oder der Kanalstraße ging es in Richtung Kinderhaus. Natürlich wurde auch innerstädtisch fotografiert, und so sind uns einzigartige Fotos vom alten Münster erhalten geblieben.
An der Grevener Straße lag die neu errichtete Artilleriekaserne. Das linke Gebäude ist noch nicht ganz fertiggestellt. Davor sind viele Personen zu sehen. Es dürfte sich um Kriegsgefangene handeln, die dort untergebracht waren.
Links: Französische Gefangene auf der Grevener Straße
Die Aufnahme wurde in Höhe der Germania-Brauerei von der Gasselstiege aus in Richtung Grevener Straße gemacht. Im Hintergrund sind die Alleebäume der Grevener Straße zu erkennen. - Nichts erinnert mehr an Münsters letzte Mühle.
Die detailreiche Aufnahme zeigt die Baufälligkeit der Mühle, die 3 Jahre später einstürzte und ganz abgerissen werden musste. In der Senke - früher wurde hier Sand abgebaut - ist ein Garten angelegt. Gut zu erkennen sind die Stangenbohnen, die Anfang Oktober kurz vor der Ernte stehen.
Das Gebäude mit Fachwerk rechts neben der Mühle wurde Ende der 1950er Jahre abgerissen.
Das Haus musste den Erweiterungsbauten der Germania-Brauerei weichen.
Die Senke ist inzwischen aufgefüllt. An dieser Stelle steht ein Rewe-Supermarkt mit vorgelagertem Parkplatz. Es gibt heute keinerlei Spuren der früheren Bebauung und Nutzung mehr. - Näheres über Münsters letzte Mühle finden Sie hier.
Die Kopfweiden stehen auch heute noch an gleicher Stelle. Sie sind inzwischen deutlich dicker, knorriger und altersschwach geworden, und der Weg hat eine Teerdecke erhalten.
Die Lage der Gebäude konnte bisher nicht ermittelt werden. Für Hinweise bin ich dankbar.
Die beiden Gebäude sind auch heute noch - deutlich verändert - vorzufinden. Zur Wienburg: In dem kleinen Erker rechts von der Bildmitte befindet sich ein Plumpsklosett.
Das Ziel der Wanderung ist erreicht. Fotografiert wurde vom heutigen Wangeroogeweg (Sportplatz) aus in Richtung Grevener Straße. - Die Kinderhauser Kirche ist im Hintergrund gut zu erkennen.
Um welche der hier abgebildeten Personen es sich handelt, ist heute nicht mehr feststellbar. Wir können vermuten, dass es die Eheleute Geyser sind.
Wir sehen Fotos, die u.a. kurz vor dem 1. Weltkrieg und in den ersten Monaten nach Kriegsausbruch aufgenommen wurden. Noch herrscht eine gewisse Kriegsbegeisterung angesichts der ersten Erfolge.
Münster hat gerade eine Einwohnerzahl von 100.000 erreicht; eine prosperierende Provinzialhauptstadt, geprägt von großen Behörden, vielen militärischen Einrichtungen, neu entstandenen gewerblichen Unternehmen und natürlich einer Universität, der Geyser als Ordinarius angehörte.
Die Fotografien zeigen eine alte Stadt, deren jahrhundertealte Geschichte in den Bildern zu erahnen und zu spüren ist. Die Bilder strahlen Ruhe und Gelassenheit einer längst vergangenen Zeit aus. Aber dies sollte sich in den kommenden Jahrzehnten drastisch ändern.
Der auf dem rechten Foto abgebildete Kastanienbaum (am Eingang zur Bäckergasse) hat den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden und steht - etwas zerzaust - auch heute noch an dieser Stelle.
Gut zu erkennen ist die Wäsche, die rechts zum Trocknen aufgehängt ist. Stimmt das Datum auf dem Foto, fiel der Waschtag auf einen Samstag.
Damals gab es die 'kleine Wäsche', die meistens wöchentlich oder zweiwöchentlich stattfand. Der Waschtag für die 'große Wäsche' war einmal im Monat.
Trügerisch geruhsame Idylle im Schlossgarten und an der Werse. Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Kriegsbeginn.
Hätte Professor Geyer nicht den Aufnahmeort notiert, wäre heute eine Ortsbestimmung unmöglich gewesen. Bei diesem Bild genügte lediglich sein Hinweis ,Gasthaus Wirtschaft Pelkum', um anhand des Einwohnerbuches von 1909 die Örtlichkeit herauszufinden: Gaststätte Pelkum vorm. Greinert. Heute das an der Roxeler Straße gelegene Restaurant Bakenhof.
Die Kriegsbeute wird bestaunt.
Dieses Foto entstand von der Promenade aus, auf der Höhe des ehemaligen Finanzamtes Münster-Innenstadt in Richtung Münzstraße-Buddenturm.
Der Buddenturm, ein alter Wehrturm, wurde damals noch als Wasserspeicher genutzt. Die Zinnenkrone ist mittlerweile durch das ursprüngliche Ziegeldach ersetzt worden.
Quellen
Text und Umsetzung: Henning Stoffers
Fotos: Archiv Henning Stoffers