was bei der Restaurierung eines historischen Gebäudes alles zu bedenken ist, wird am Beispiel des Hauses Rothenburg 43-44 deutlich. Historiker, Denkmalschützer und ein Architekt haben um die äußere Form des Gebäudes gerungen. Entstanden ist ein einzigartiges Kleinod, das das Straßenbild bereichert.
Daran erinnert dieser Beitrag, der Dank der Mithilfe des Architekten Bernhard Sickmann zustande gekommen ist.
Ihr Henning Stoffers
PS
Einen Beitrag über Sickmanns Jugenderinnerungen aus den 1950er Jahren finden Sie hier.
Inhalt
Geschichtliches
Nachkriegsjahre
Die Planungsphase
Die Bauphase in 5 Schritten
Die Fertigstellung
Überraschender Fund
Der Architekt: Bernhard Sickmann
Auf der Rothenburg (Nr. 44) steht - mit der Frontseite prominent zur Königstraße ausgerichtet - das 1583 errichtete Patrizierhaus.
Über die Jahrhunderte hieß es ,Bi de drei Pielers' (Bei den drei Pfeilern) oder auch ,Guldenarm' (Goldener Arm). Die erste Bezeichnung ist nicht mit Gewissheit erklärbar. Sie mag auf die Pfeiler (es sind aber vier Pfeiler) oder die drei Bögen des Hauses hinweisen. Die andere Bezeichnung gibt Auskunft über eine frühere Nutzung als Wirtshaus.
1774 hat vermutlich ein Brand im Dachgeschoss den Umbau des Stufengiebels erforderlich gemacht. Die Giebelstufen einschließlich der Radzinnen (Sandsteinräder) wurden entfernt. Es entstand ein barocker Schweifgiebel. Der Kunsthistoriker Professor Max Geisberg (1875 – 1943) hat diese Form wie folgt beschrieben: ,Die gesamte geschweifte Silhouette des Giebels und die wellenförmige Linie des oberen Abschlusses sind Verschlimmbesserungen des Umbaues von 1774'.
Die Höhe des Stufengiebels verkürzte sich im Übrigen durch diese Maßnahme um ca. 3 Meter.
Dieses Gebäude ist das einzige Bogenhaus auf der Rothenburg. Den Krieg hat es weitgehend unbeschadet überstanden.
Zwischen den Häusern Rothenburg 41 und 43 entstand nach dem Krieg ein Durchgang zum Domplatz, der zu Ehren von Max Geisberg den Namen Geisbergweg erhielt.
Die Gebäude 43-44 befanden sich in den Nachkriegsjahren in einem erbärmlichen, stark einsturzgefährdeten Zustand und konnten nicht mehr bewohnt werden. Die Fenster waren teilweise ohne Rahmen, ohne Glas oder waren mit Brettern verrammelt.
Die Eigentümerfamilie von der Forst entschloss sich Anfang der 1970er Jahre, das gesamte Gebäude zu erneuern, und zwar mit der Idee, den historischen Giebel zu rekonstruieren. Der Architekt Bernhard Sickmann wurde mit der Planung und Ausführung der Bauaufgabe beauftragt.
Das Genehmigungsverfahren hat sich über mehr als zwei Jahre hingezogen. Das zuständige Landesdenkmalamt war zunächst strikt gegen eine Rekonstruktion des historischen Renaissancegiebels, da es keine exakten Hinweise auf den ursprünglichen Zustand gab. Auch wurde argumentiert, der Barockgiebel von 1774 sei ein historisch gewordener Zustand. Bauherr und Architekt bezogen sich auf bauliche ,Zeitzeugen' wie das Krameramtshaus und andere Renaissancegiebel in Münster.
Weiterhin konnten sie auf den Stadtplan – Vogelschau - von Alerding von 1636 verweisen, in dem der Giebel am Ende der Königstraße deutlich mit einem Stufengiebel zu sehen ist. In Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt konnte schließlich die Rekonstruktion des alten Stufengiebels gelingen.
Nach Beseitigung der Einwendungen der Nachbarn und Erfüllung der Forderungen der beteiligten Ämter wurde die Baugenehmigung 1974 erteilt (PKW-Einstellplätze, Anmietung der Straßenfläche für die Baustelleneinrichtung, Fernwärmeversorgung usw.). Diese Genehmigung galt auch für den Abbruch des gesamten Hintergebäudes.
Anfang 1975 konnte schließlich mit den Bauarbeiten begonnen werden.
1. Schritt
Der historische Stufengiebel wurde mit einem Stahlträgergerüst gesichert. Die statische Berechnung übernahm das Ing. Büro Knoche & Heider aus Münster. Zu jener Zeit waren es die erfahrensten Fachleute. Die Tragfähigkeit der 4 Sandsteinsäulen wurde von der Baustoffprüfstelle in Münster untersucht und für ausreichend bestätigt.
Den Generalauftrag für die schlüsselfertige Erstellung der Baumaßnahme erhielt die Firma Weinrich aus Münster.
2.Schritt
Nun konnte der Abbruch des Hinterhauses beginnen. Alle Holzbalkendecken der Geschosse, die mit dem Giebel und seinen Seitenflügeln verbunden waren, mussten mit aller Vorsicht entfernt werden.
3. Schritt
Vor den Ausschachtungsarbeiten wurde die gesamte Baugrube rundum durch Stahlspundwände gesichert. Die Nachbargebäude besichtigte zuvor ein Gutachter und dokumentierte ihren Zustand (Bestandssicherung). - Das nebenstehende Foto zeigt eindrucksvoll die Baustelle mit den Maßnahmen zur Sicherung.
4. Schritt
Die Baugrube wurde bis zu einer Tiefe von 6,50 m ausgeschachtet, um zwei Untergeschosse zu schaffen. Im untersten Kellergeschoss (Tiefkeller) waren die eigentlichen Kellerräume untergebracht, darüber ein gewerblich zu nutzendes Untergeschoss. Beide Kellergeschosse wurden durch eine Stahlbetonwanne eingefasst. Die Gebäudesohle hatte eine Stärke von 90 cm. Alles mußte wasserdicht errichtet werden, was auch gelang. Der weitere Aufbau der oberen Geschosse ging zügig voran. Mit dem Erstellen der Geschossdecken wurde der alte Giebel immer ,kraftschlüssig' eingebunden.
5.Schritt
Den Auftrag zur Ausführung aller Sandsteinarbeiten, die für die Rekonstruktion des historischen Giebels erforderlich waren, erhielt die Firma Horstmann aus Saerbeck.
Ein Familienwappen der Eigentümerfamilie wurde dem Giebel hinzugefügt, ein vorhandenes Wappen entnommen. Gesimsprofile, Fenstersteinkreuze und Radzinnen wurden erneuert, ebenso das fehlende Mauerwerk der Giebelstufen.
Das Erd - und Untergeschoss wurden gewerblich genutzt. Die ersten Mieter waren Fielmann und der Stoffmarkt. In den beiden Obergeschossen zogen Arztpraxen ein. Im Dachgeschoß befinden sich zwei Wohneinheiten. Ein Personenaufzug im Treppenhaus erschließt alle Geschosse.
Ursprünglich befand sich im Erdgeschoß eine Passage, so wie es in vielen Geschäftshäusern in der Innenstadt üblich war. Man konnte von der Rothenburg durch das Haus bis in die Geisbergstiege gehen. Diese Lösung bot zwar mehr Schaufensterfläche, hatte aber auch große Nachteile. Immer wieder wurden diese stillen Ecken von Stadtstreichern und Obdachlosen genutzt. Mieter haben sich oft darüber beklagt. Mit dem Umbau und der Erweiterung des Ladenlokals Fielmann wurde diese Passage aufgegeben. Der Zugang zum Treppenhaus erfolgt nun über einen Flur entlang der Fassade am Geisberweg.
Im Oktober 1976, nachdem das große Stahlträgergerüst für die Sicherung des Giebels entfernt war, konnte die Baumaßnahme abgeschlossen und in Betrieb genommen werden. Am Tag der offiziellen Eröffnung traten zur großen Freude der Münsteraner Dudelsackpfeifer auf.
Vorbei waren die Belastungen während der Bauphase. Die starke Staubentwicklung bei den Abbrucharbeiten und die Behinderung des Verkehrs gehörten der Vergangenheit an.
Heute kann man die Jahreszahl 1583 im oberen Giebelmauerwerk wieder erkennen. Eine sehr schöne Wetterfahne nach einem Entwurf des Denkmalamtes schließt den Stufengiebel ab. Die Wetterfahne beinhaltet die Initialen der Eigentümerfamilie und das Jahr des Wiederaufbaues: ,VdF 1976'.
Bei meiner Recherche für diesen Beitrag wurde auch der Münster-Plan von 1609 eingesehen. Hier ist das Haus ebenfalls abgebildet; es ist von der Rückseite aus zu sehen. Die Stufen des Renaissancegiebels sind zu erkennen; die Radzinnen sind nicht abgebildet.
Die Darstellung im Alerdinck-Plan findet somit ihre Bestätigung. Bernhard Sickmann hat sich sehr gefreut, dass nach mehr als 40 Jahren dieses Detail zutage getreten ist.
Bernhard Sickmann wurde 1938 in Münster geboren. Der Vater war Schneidermeister.
Nach einer Maurerlehre studierte er Architektur und arbeitete als Diplom-Ingenieur 10 Jahre im Architektenteam Max von Hausen und Ortwin Rave. Dieses Team gehörte zu den vier Architekten, die das münstersche Theater erbauten.
Bernhard Sickmann hat architektonisch an vielen Orten gewirkt. Schwerpunkte seines Schaffens waren insbesondere denkmalpflegerische Aufgaben.
Meine Familie - Vater, Mutter und 5 Kinder - lebte im Dachgeschoss des schönen Gründerzeithauses Hauses Warendorfer Straße 11. Es wurde 1911 erbaut und 1970 abgebrochen.
Im Erdgeschoss wohnte die Familie Kracht mit einer hübschen Tochter... Hier geht's weiter.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Fotos, wenn nicht anders benannt: Bernhard Sickmann
Alerdinck-Plan - Stadt Münster vom 8.5.2015: Kontrollnummer 6222.284.15
Münster-Plan von 1609: Stadtarchiv Bad Homburg
Dank
Ich danke Bernhard Sickmann für die Informationen und Abbildungen. Ein weiterer Dank geht an das Stadtarchiv Bad Homburg v.d.Höhe für die freundliche Bereitstellung des Kartenausschnittes des Plans von 1609.