viele Jahre stand ein stadtbekannter und sehr beliebter Polizist auf dem damals beidseitig befahrenen Prinzipalmarkt. Er regelte den starken Autoverkehr. Karl-Heinz ,Bubi' Gieseler hieß der Schutzmann, der zur Freude der Autofahrer, Radfahrer und Passanten mit Liebenswürdigkeit, Fröhlichkeit und Hilfsbereitschaft seinen Dienst verrichtete.
Seine Tochter Marion Hölscher hat mir aus seinem Leben erzählt. Ich freue mich, mit diesem Beitrag an Bubi Gieseler erinnern zu können.
Ihr Henning Stoffers
Karl-Heinz Gieseler wird 1925 in Münster geboren. Der Vater Ignatz ist im 1. Weltkrieg auf einem U-Boot zur See gefahren und arbeitet später als Fahrer beim Lebensmittelhändler Hill. Die Mutter Maria stirbt früh.
Es sind die schweren Jahre der abklingenden Inflation und der politischen Umbrüche, in der er seine Kindheit und Jugend erlebt. Karl-Heinz bekommt in dieser Zeit seinen Beinamen ,Bubi', den er sein Leben lang behält. Bubi lässt sich als Metallflugzeugbauer ausbilden. Als 18-Jähriger kommt er zur Luftwaffe und überlebt das Kriegsende unbeschadet.
Nach dem Krieg kann Bubi in seinen erlernten Beruf nicht zurückkehren. Metallflugzeugbauer werden nicht mehr gebraucht.
Mit 20 Jahren bewirbt er sich bei der Polizei, wird angenommen und durchläuft einige Ausbildungslehrgänge.
Seinen Dienst nimmt er bei der damaligen Stadtkreispolizei in Münster auf. Drei Jahre ist das ,Überfallkommando' sein Arbeitsplatz. Diese kleine Polizeieinheit mit der ,Grünen Minna' greift bei Raubüberfällen und ähnlichen Taten ein.
Seine Dienststelle ist die Wache Münster Mitte am Alten Steinweg, die für den Innenstadtbereich und somit auch für den Prinzipalmarkt zuständig ist. Bei seinen ersten Streifengängen Ende der 1940er Jahre begleitet ihn britisches Militär.
Der Prinzipalmarkt und der Domplatz sind für Autos bis 1968 in alle Richtungen befahrbar. Die erhebliche Zahl der Autos, Fahrräder und die vielen Passanten machen den Einsatz eines Polizisten erforderlich, der den Verkehr regelt.
Vor dem Rathaus bekommt Karl-Heinz ,Bubi' Gieseler für viele Jahre seinen Arbeitsplatz und wird ein beliebtes münstersches Original.
Der Verkehr wird schon in diesen Jahren durchweg mit automatischen Ampeln geregelt. Aber eine Ampelanlage in Münsters guter Stube kommt nicht infrage.
Karl-Heinz ,Bubi' Gieseler und Henri Karbe werden für den reibungslosen Verkehrsablauf verantwortlich. Per Körper- und Armstellung wird signalisiert, wer anhalten muss, fahren oder den Zebrastreifen überqueren darf. Wird den Weisungen nicht ausreichend Beachtung geschenkt, kommt die Trillerpfeife zum Einsatz. Die Hand wird zugleich mahnend erhoben.
Bubi, so wird er allgemein genannt, ist eine liebenswerte Institution unserer Stadt geworden. Aber auch unter diesem Namen wird Bubi bekannt: Müpopo. Die Abkürzung steht für: ,Münsters populärster Polizist'.
Bubi wird würdiger Nachfolger des Hauptwachtmeisters Heinrich Klingenberg. Der ,lächelende Schutzmann' - so wurde er genannt - hatte ebenfalls seinen Posten vor dem Rathaus und kam bei einem Bombenangriff während des Dienstes ums Leben.
In den Nachkriegsjahren bürgert sich ein neuer Brauch ein:
Vor Weihnachten legen Autofahrer um Bubi herum kleine und große Präsente als Dank und Anerkennung ab. Dies alles wird von vielen Passanten als besonderes Schauspiel beobachtet. Man weiß inzwischen: am Heilig Abend gibt's auf dem Prinzipalmarkt immer etwas zu sehen...
Nach einigen Stunden türmt sich um Bubi und Kollegen herum ein Berg von Geschenken. Oft ist es eine Germania-Bierkiste, eine Flasche Wein, eine Flasche Mariacron, ein Weihnachtsbaum oder ein üppiger Präsentkorb. Die kleinen Gaben werden gern angenommen und gehen an soziale Einrichtungen wie Altenheime oder Krankenhäuser. Ab und zu verbleibt ein Pülleken bei den Beamten, sofern dies zuvor höhererseits genehmigt ist.
Ein etwa 14jähriger Pfadfinder wird von Bubi angehalten. Der Junge trägt eine kurze Lederhose, seitlich steckt das übliche Fahrtenmesser mit einem Horngriff. Zu seiner Pfadfinderkluft gehört auch das Halstuch mit Knoten. Am Lenker flattert ein Fähnchen - wie es in dieser Zeit Jugendliche gern mögen.
Er ist mit seinen Freunden - sie stehen wartend auf der anderen Straßenseite - auf einer Fahrradtour, was sich an den beiden Gepäcktaschen am Fahrrad leicht erraten lässt.
Ist der Junge vielleicht in einer Einbahnstraße in die falsche Richtung gefahren oder hat sich verkehrswidrig verhalten? Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren...
Bubi lässt sich Ausweispapiere zeigen, prüft sie und entlässt den Jungen mit einer freundlichen Ermahnung - wie zu vermuten ist. Etliche Passanten beobachten gebannt die Szene.
Ende 1968 wird der Prinzipalmarkt zur Einbahnstraße erklärt. Die drastisch zugenommene Verkehrssituation macht dies erforderlich. Ein Polizist, der den Verkehr regelt, ist nicht mehr notwendig.
Letztmalig steht Bubi am Heiligen Abend 1968 auf seinem angestammten Platz vor dem Rathaus und lässt die milden Gaben wie einen Wall um sich herumlegen. - Es ist sein Abschied vom Prinzipalmarkt. Ein Stück Lokalgeschichte endet. Münster verliert eine seiner liebenswerten ,Merkwürdigkeiten'.
Bubi arbeitet nunmehr vom Schreibtisch aus. Seine Dienststelle ist weiterhin die Wache Mitte am Alten Steinweg. 1985 geht er in den Ruhestand.
Die sportliche Betätigung gehört zu seinem Alltag. Er erhält zehnmal das Goldene Sportabzeichen und nimmt Prüfungen später auch selbst ab.
Bubi spielt in Vereinen Fußball und Faustball. Nebenbei ist er in einem Kegelverein aktiv. Eine weitere Leidenschaft ist die Jagd, an der er als ,Edel-Treiber' teilnimmt. Dazu erzählt Franz Feldhaus von der Gaststätte Stuhlmacher, wie Bubi bei den Treibjagden eifrig mitgemacht hat.
Bubis größte Leidenschaften sind aber sein Beruf und insbesondere seine Familie.
Karl-Heinz ,Bubi' Gieseler heiratet 1947 seine Margret, die ebenfalls aus Münster stammt. Sie trägt ein weißes Brautkleid, er zeigt sich elegant in der damals üblichen schwarzen Uniform der Polizei. Marion wird ihr einziges Kind.
In den 1960er Jahren kann erstmals in die Ferien verreist werden. Mit einem kleinen Fiat fährt die Familie nach Südtirol. Später folgen Urlaube in den Niederlanden. Nach Bubis Pensionierung wird Willingen bevorzugt. Zum einen ist der Ort nicht allzu weit entfernt, und zum anderen sind die Winter dort schneereich, was für Bubi einen besonderen Reiz hat.
Bubis Tochter Marion lernt Dieter Hölscher kennen. Sie ist gerade einmal 15 Jahre alt. Bubi und Dieter verstehen sich bestens. Dieter sagt rückblickend ,Bubi war ein wunderbarer Schwiegervater und väterlicher Freund.'
Fragt man Marion, was ihren Vater besonders auszeichnete, antwortet sie ohne Zögern: ,Seine Tatkraft, seine Stärke und sein Humor, die Liebe und die große Geborgenheit, die er vermittelte.' Zeit seines Lebens hat er sich nicht als Polizist, sondern immer als Schutzmann bezeichnet. Marion sagt: ,Er war nicht nur beruflich Schutzmann der Menschen, sondern auch Schutzmann der Familie.' Mit großer Freude und Liebe nimmt Bubi am Aufwachsen seiner Enkelkinder teil, die ihn von Herzen als großartigsten Opa erleben.
Am 3.10.2003 erkrankt Bubi unheilbar und stirbt kurze Zeit später am 25.12.2003.
Marion und Dieter Hölscher danke ich für die geführten Gespräche, die mir Bubi als Menschen näherbrachten. Ich danke ebenso für die vielen zur Verfügung gestellten Fotos. Auch heute - lange nach seinem Tod - ist zu spüren, welchen Platz Bubi in seiner Familie einnahm.
An anderer Stelle habe ich über ihn geschrieben:
,Leider hatte ich nicht die Ehre, mit Bubi einmal ins Gespräch zu kommen. Ich hätte mich schon direkt vor seinen Augen verkehrswidrig verhalten müssen. Dann hätte er keinen Verweis erteilt oder mich gar zur Kasse gebeten, nein, er hätte mich freundlich ermahnt...'
So war Bubi.
Beim Lesen Ihres liebevollen Artikels über „Bubi“, insbesondere als ich das Photo von „Bubi“ hinterm Schreibtisch in der Wache am Alten Steinweg sah, fiel mir Folgendes ein: Ende 1976 lernte ich meine langjährige Lebensgefährtin Margot kennen, die am Roggenmarkt wohnte und einen Käfer fuhr. Bei diesem Model war es, wie Sie sicher wissen, kein Problem, sich selbst -wenn der Schlüssel noch steckte- auszuschließen…
Eines Tages war es (ihr oder vielleicht auch mir) wieder mal passiert, Werkzeug zum vorsichtigen Aufhebeln des Dreieckfensters war nicht vorhanden. Deshalb bin ich kurzerhand zur Wache am Alten Steinweg gelaufen, habe dem älteren, rundlichen Polizisten dort erklärt, was mein Problem war, gefragt, ob er eine Idee hätte. Ich weiß es noch genau: Milde seufzend öffnete er seine Schreibtisch-Schublade und überreichte mir das nötige Einbruchwerkzeug. Kein Ausweis, keine Halterabfrage, kein Pfand… nur pragmatische Hilfe. Das einzige war seine Bitte: „Bring es mir aber zurück“. Hab ich auch sofort nach erfolgreichem Öffnen des Käfers. Seit ich das Photo gesehen habe, bin ich sicher: Das war damals Herr „Bubi“ Gieseler.
...auch wenn Sie die Newsletter eingestellt haben, möchte ich Ihnen gerne ein Foto aus dem Jahr 1958 schicken, das meinen Vater Heinz Wissing zeigt. Auch er hat seinen Dienst bei der Schutzpolizei auf dem Prinzipalmarkt versehen, bis er im Oktober 1959 zur Kriminalpolizei wechselte.
Hier zeigt er, wie er mir mal gesagt hat, einer niederländischen Besucherin den Weg.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Bildmaterial: Familie Marion Hölscher
Weitere Bilder finden Sie hier