die Geschichte des münsterschen Karnevals reicht mindestens bis in das 16. Jahrhunderts zurück. Bereits in den Aufzeichnungen ,Geschichte der Wiedertäufer' werden die damaligen Karnevalsbräuche erwähnt. Ältere auskunftsgebende Dokumente sind leider während der Täuferherrschaft vernichtet worden, so dass nur Vermutungen angestellt werden können.
Ein kleiner Streifzug führt Sie 60 Jahre durch die Geschichte des Karnevals im 20. Jahrhundert.
Ihr Henning Stoffers
Als der Karneval in Münster noch ,Vasselawend‘ hieß, ließen es die Narren und Närrinnen hier so richtig ,die Sau raus‘. ,Männer in Weiber-, und Weiber in Männerkleidern‘ zogen durch die Straßen. Zutiefst entrüstet waren die Chronisten über ,Ausschweifung und Torheit‘ und bemerkten entsetzt: ,Sie saufen, fressen und schwelgen von Fastelabend bis Fastnacht‘.
Auch heute ist der Karneval für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und auch ein Höhepunkt eines jeden Jahres. In Kriegs- und Nachkriegsjahren fiel der Karneval aus, wie auch in diesem Jahr, allerdings coronabedingt. Auch die Umzüge an Rosenmontagen mussten öfters abgesagt werden, weil Orkane angekündigt waren.
Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren die ,Blütezeit' der Ansichtskarte. Alles, was sich verkaufen ließ, wurde fotografiert und ist heute bedeutend für historische Betrachtungen. So auch diese Ansichtskarte, die den ,Kleinen Rath' der Münsterschen-Carnevals-Gesellschaft zeigt. Die abgebildeten Herren haben sicherlich einige Sekunden bei der Auslösung der Kamera in ihrer Positur unbeweglich verharren müssen. Die Anordnung der Personen und deren Kostümierung hat sich im Vergleich zu heute wenig geändert.
Am Rathaus ist im Jahre 1911 der von vier Pferden gezogene Prinzenwagen angekommen. Die Menschen stehen aufs engste gedrängt. Erstaunlich wenige Frauen sind unter den Zuschauern auszumachen. Gefeiert wurde in den vielen Karnevalsvereinen, in umliegenden Gaststätten und natürlich im häuslichen Umfeld.
Eine Karnevalshochburg auf dem Prinzipalmarkt war das bekannte Cafè Schucan. Sogar Eintrittsbillets kamen zur Ausgabe, um einen zu großen Andrang der Karnevalisten zu steuern.
Pinkus Müller war allseits bekannter Bierbrauer, Gastwirt und ausgebildeter Sänger. Eine seiner Leidenschaften galt dem Karneval. Wie sein Vater war er Mitglied bei der Karnevalsgesellschaft ,Freudenthal'. Gleich dreimal hintereinander in den Jahren 1930-1932 ist Pinkus Münsters Karnevalsprinz. Er sang mit seinem strahlenden Tenor auf vielen Veranstaltungen. In der Halle Münsterland konnte er 6000 Karnevalisten begeisterten.
Für den letztmalig vor dem 2. Weltkrieg stattfindenden Karneval wurde diese außerordentlich schön gestaltete Postkarte geschaffen.
Eines seiner Karnevalslieder mit flotter Musik begann wie folgt:
,Als Jan van Leiden nach Münster kam und 16 Weiber auf einmal nahm, da waren die Frauen aus Rand und Band, das hatten sie noch nie gekannt...' Heute mögen wir den Text als derb
und deftig empfinden, aber er traf offensichtlich den damaligen Zeitgeschmack.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, vereinnahmten sie das jahrhundertealte Brauchtum schrittweise für ihre politischen Zwecke. Eine mögliche humorige, karnevalistische Kritik am Regime wurde weitestgehend unterbunden. Zudem passte die Nähe des Karnevals zur Kirche nicht in die gewünschte Zielsetzung. Das seit Jahrhunderten gepflegte, traditionelle Brauchtum war in diesen Jahren nicht mehr das, was es zuvor war. |
Zehn Jahre lang musste gewartet werden, bis im Jahre 1949 wieder Karneval in Münster gefeiert werden durfte. Zuvor war es nicht erlaubt bzw. wäre unter den gegebenen katastrophalen Umständen auch gar nicht möglich gewesen. Einen großen Karnevalsumzug konnte allerdings in diesem Jahr noch nicht realisiert werden. Dafür begnügte man sich mit einem kleinen Umzug vom Bahnhof bis zum Prinzipalmarkt. Gefeiert wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung im Kaiserhof, in den wenigen erhaltenen Gaststätten und natürlich zuhause.
Kreatives Improvisieren gehörte der Not gehorchend in diesen Jahren zum Alltag, so auch, als es um die Schlüsselübergabe ging. Das bis auf Reste der Fassade zerstörte Stadtweinhaus stand für die traditionelle Veranstaltung nicht zur Verfügung. Aber der Rohbau des gegenüberliegenden Gebäudes der Buchhandlung Coppenrath war die Lösung. Die Schlüsselübergabe konnte erstmalig nach 10 Jahren wieder stattfinden.
Der Spaß an der Freude und das Gefühl der Zusammengehörigkeit waren in jenen schweren Zeiten besonders stark ausgeprägt. In den Nachkriegsjahren waren die Gaststätten, Straßen und Plätze während des Karnevals 'rappelvoll'. Man wollte die Sorgen im grauen Alltag zumindest zeitweilig vergessen. Dieses Bedürfnis zeigte sich auch an anderer Stelle: Die wenigen Kinos verzeichneten einen starken Publikumsandrang. Ausverkaufte Filmaufführungen waren die Regel.
Das nebenstehende Bild zeigt, wie sehr sich seit 1958 das Straßenbild im Vergleich zu heute geändert hat. Die Straße am Schlossplatz ist kopfsteingepflastert. Die Menschen stehen dicht an dicht. Im Hintergrund das Landgericht, an das sich das Untersuchungsgefängnis anschließt. Das Gefängnis wich später dem Erweitungsbau des Landgerichts.
Ein Jahrhundertereignis beherrscht den Karneval des Jahres 1958: Der Abschuss einer Rakete mit einem Satelliten, dem Sputnik.
Die Ludgeristraße ist noch nicht Fußgängerzone. Menschen stehen dichtgedrängt am Straßenrand, um den Karnevalszug zu beobachten.
Das Kriegsende liegt 14 Jahre zurück. Noch sind nicht alle Häuser wieder hochgezogen worden. Aber etwas Besonderes ist zu beobachten. Eine niederländische Kapelle aus Enschede nimmt erstmalig nach dem Krieg an einem Karnevalsumzug teil, und zwar im Jahre 1959. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen wieder einkehrender Normalität.
Legendäre Karnevalsfeste in Künstlerkreisen fanden in den 1960er Jahren in einem Bauernhaus an der Weseler Straße (gegenüber vom alten ,Neuen Krug') statt. Der bekannte Lichtbildner Pan Walther hat sie in seinen Bildern festgehalten. Dort wohnten auch Hilke Duis und Joachim von Appen (schon damals wie auf einem Kotten). Beide waren als künstlerisches Urgestein mit der individuellen Ausstattung für die Szenekneipen - Blaues Haus, Cavete, Ziege, Schwarzes Schaf - verantwortlich. Aber nicht nur dort wurde gefeiert, sondern auch im Café Schucan und in Pan Walthers Fotoatelier auf der Rothenburg.
Sechs turbulente Jahrzehnte sind mit Kriegen, Inflation, Diktatur, Zerstörung und Wiederaufbau vergangen. Aber der Karneval ist uns trotz aller schwierigen Zeiten erhalten geblieben und wird auch künftig Bestandteil unseres Lebens sein.
Wilfried Rehfeld hat freundlicherweise den vorstehenden Linolschnitt von Hans Pape zur Verfügung gestellt, wofür ich herzlich danke. Er schreibt:
Zu Ihrem Hinweis auf den Karneval in Münster kann ich einen Druck vom Linolschnitt von Hans Pape beisteuern.
Ich habe das Blatt von ca. 20 Jahren in einem Antiquitätenladen gekauft und finde, es wird deutlich, dass Münster eine prima Karnevalstradition hat.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen, wenn nicht anders angegeben:
Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank Thie - Stadtarchiv)