Georg Ludewig war von 1913 bis 1947 leitender Gärtner des Botanischen Gartens. Von 1913 bis in die Mitte der 1950er Jahre hatte seine Familie hier ihr Zuhause. Wie es sich im Schatten des Schlosses lebte, wird in dem Zeitdokument eindrucksvoll transparent.
Rainer Ludewig, Enkel von Georg Ludewig, stellte mir freundlicherweise die Aufzeichnungen seines Vaters Theodor Ludewig sowie einige Bilder und Zeitungsausschnitte zur Verfügung, die ich gern veröffentliche. - Mehr über die Geschichte: Botanischer Garten.
Ihr Henning Stoffers
Theodor Ludewig schreibt an Sohn Rainer Ludewig:
Mit der Berufung Deines Großvaters Georg Ludewig durch Prof. Correns 1913 nach Münster in Westfalen begann unsere Familiengeschichte in Münster.
Der Friede in der Oase des Schlossgartens und des Botanischen Gartens zu Münster war dem Ehepaar Ludewig ein Bedürfnis, so zogen sie in das Inspektorenhaus an der Westseite des imposanten Palmenhauses.
Der Botanische Garten mit dem Schlossgarten war, wie schon erwähnt, eine Oase. Der Schlossgarten hatte nur zwei Ausgänge, die im Winter um acht und im Sommer um zehn Uhr abends geschlossen wurden.
Wenn meine Geschwister zu irgendeiner späteren Veranstaltung gegangen waren, holte mein Vater sie ab, bzw. er traf sich mit ihnen in einer Kneipe am "Hindenburgplatz".
Es war auch ein wenig unbehaglich, im Schloss zwischen dem Vorder- und Hinterportal nachts hindurchzugehen. Es gab da dunkle Ecken und versteckte Nischen und außerdem die großen Säulen. Dazu die Dunkelheit, denn die kleinen Scheiben in diesen Barockschlosstoren ließen nur von der Stadtseite ein wenig Licht in den Gang. Hinter jeder der Säulen war ein gespensterhaftes Unwesen zu vermuten.
Im Park gab es auf dem Weg zum Törchen des Botanischen Gartens nur eine Gaslaterne, die selten Licht spendete und nachdem die Gartenwirtschaft geschlossen wurde auch gelöscht wurde. Kam ich in der Zeit meiner Lehre nach Toresschluss nach Haus, kletterte ich einfach über das 2,3 m hohe Hüffertor. Das Mitteltor war tagsüber immer als Zugang zum Schlossgarten geöffnet.
Das Seitentor am Südflügel des Schlosses war immer geschlossen. Dahinter befand sich der Garten des kommandierenden Generals. Letzterer bewohnte die Räume des Südflügels, und der dazugehörige Garten war vom Schlossgarten aus kaum einzusehen. Mauern und hohe Eisengitter versperrten die Einsicht sowie den Zugang.
Im Nordflügel wohnte der Regierungspräsident. In der ersten Etage waren vom Mitteltrakt über den Eingangstoren (großer Prunksaal) bis einschließlich eines Teils des Nordflügels historische Räume zu besichtigen.
Am Kopfende des Südflügels lag im Erdgeschoss einschließlich der I. Etage eine Kapelle im Barockstil. Diese Kapelle wurde einmal im Jahr zu St. Michael am 29. September geöffnet. Mein Vater übernahm dann die Dekoration mit Kübelpflanzen und dergleichen Blumenschmuck des Botanischen Gartens.
Damals waren auch manche Aufgaben des Schlossgartens dem Inspektor des Botanischen Gartens übertragen u. a. die Versteigerung der Holzstapel eventuell gefällter Bäume.
Noch ein Wort zur Kapelle. Im Jahre 1943 wurden in diesem Sakralraum meine Schwester Agnes und im Jahre 1944 meine Schwester Elisabeth getraut. Das war sicher eine besondere Auszeichnung für die Familie Ludewig, da die Kapelle der katholischen Überwasser-Gemeinde unterstellt war und evangelische Trauungen in einer katholischen Kirche zu der Zeit etwas seltenes waren.
Im Juni 1930 kam das Luftschiff „Graf Zeppelin“ nach Münster. Zu diesem Anlass waren wir mit Kloers oben im Schlossturm um das Spektakel anzusehen. Dieser Gang zum Turm war nur mit Wohlwollen des Kastellans, der letztlich auch zur Nachbarschaft gehörte, möglich und etwas Besonderes. Es gab sonst keine Erlaubnis, den Turm zu besteigen
Es gab damals sehr schneereiche und kalte, frostige Winter. So war auch der Teich gut zugefroren, und es wurde kräftig Schlittschuh gelaufen. Wir hatten für die ganze Familie genug Schlittschuhe, die einfach unter den Schuhen befestigt wurden. Nicht nur wir, auch viele Fremde und Bekannte liebten es, auf dem Teich des Botanischen Gartens diesen Sport auszuüben. Wie sehr die Bevölkerung sich dieser Freizeitgestaltung erfreute, kann man daran erkennen, dass bei zugefrorenem Schlossgraben das Stück vor dem Kasinogarten von einem Eissportverein gemietet war. Hier wurde der Schnee gefegt und Eintritt erhoben.
Im Schlossgarten war die Gartenwirtschaft Henrichsen, die von vier Damen geführt wurde. Tante Tine war die Geschäftsführerin. Tante Klärchen war für die Küche zuständig. Dann kamen Tante Änne und Tante Gertrud. Montagabends zur Winterzeit war bei Henrichsens mit meinen Eltern Rommé angesagt. So wurde mit den Damen aus der Gartenwirtschaft ein besonders gutes Vertrauen aufgebaut.
Im Krieg wurde jene Wirtschaft nicht ausgebombt jedoch das Dach und die oberen Zimmer waren wohl durch eine Mine, die im Garten explodiert war, erheblich beschädigt worden. So wurden die beiden Säle der Wirtschaft und die unbeschädigten anderen Räume in den letzten Kriegsjahren für andere Bestimmungen konfisziert. Unter anderem war die Druckerei Regensberg dort eingerichtet. Letztere war noch weit nach der Währungsreform dort tätig. Der Wirtschaftsbetrieb begann aber bald wieder zu florieren, gleichfalls auch im Flur als Speiserestaurant, die noch wenigen Studenten der Universität wurden dort beköstigt.
Wie war das Leben in dieser schweren Zeit in Münster? Mein Vater verdiente sich durch Obstbaumschnitt und andere gärtnerische Arbeiten bei einem Bauern in Amelsbüren etwas Lebensmittel wie Butter, Eier usw. denn Lebensmittel die man mit Marken bekam, reichten zum Leben nicht aus. Mein Vater schrieb mir Ende 1944 (er war nun 68 Jahre alt) in einem Brief, dass er vier Sonntage half, aus ausgebombten Häusern Türen und Fenster auszuschlachten. Das war eine behördliche Anordnung, um außerhalb von Münster daraus Behelfswohnungen erstellen zu können.
Vater stand nun bereits im einundsiebzigsten Lebensjahr. Durch den Krieg und den Nachkriegswirrwar war für Vater noch kein Nachfolger ernannt worden. So war es gut, dass dann endlich im Mai 1947 Herr Stephan die Führung des Botanischen Gartens übernahm. Etwa 1950 baute die Universität meinen Eltern im Hinterhaus eine Wohnung aus. So hatte Vater noch 6 Lebensjahre, seine Oase, den Botanischen Garten in Münster zu geniessen.
Unsere gesamte Wohnung, mit Ausnahme des Badezimmers, in dem auch die Toilette war, war an der Zentralheizung, die 1927 installiert wurde, angeschlossen. Im Badezimmer stand ein Warmwasserofen, der mit Holz geheizt wurde. So war es am Badesamstag angenehm warm, zumal eine lange Ofenpiepe durch das Zimmer gelegt war. Das Holz kam von alten Bäumen des Schlossgartens oder Botanischen Gartens. Dies wurde in erster Linie von Herrn Kloer (Heizer für die Gewächshausanlagen des Botanischen Gartens) gespalten, auch viel von uns und Helmut und Josef Kloer, den Jungen in der Familie, gesägt. Anschließend wurde es im Heizungsraum zum Trocknen gestapelt.
Auf dem Sitzplatz hinter dem Haus, der nicht zum öffentlichen Bereich des Gartens gehörte, spielte sich im Sommer ein großer Teil des Lebens ab. Angefangen vom Frühstück bis zum Abendessen.
Das Hinterhaus des Palmenhauses war ursprünglich nur Bodenraum. Über der Küche lag die Mädchenkammer für die Haushaltshilfe. Mein Großvater Mönch, der mit dem zuständigen Baurat Möller befreundet war, drängte zum Ausbau des Bodens. Dies geschah 1927, und die Räume wurden von meinen Schwestern bewohnt. Der restliche Boden über der Heizung wurde 1935 für Schreib- und Samenzimmer aufgestockt. Zwischenzeitlich, d.h. von 1927 bis 1935, hatte meine Schwester Agnes über dem Bodendach vor dem Ostfenster eine große Voliere mit Wellensittichen und Kanarienvögeln. Diese Samenzimmer und ein Teil der Mädchenräume wurden 1950 als Wohnung für meine Eltern umgestaltet.
Das Dach des Palmenhauses war rundherum begehbar. Diese Stege wurden für Glaserarbeiten und Schattierungen benötigt und waren von der Gasse über eine Eisentreppe erreichbar. Eine Besonderheit im Treppenhaus der Mädchenzimmer war ein Fenster nach Süden. Aus diesem Fenster konnte man in die Kehle (breite Dachrinne) des westlichen Palmenhauses hinaustreten. Da hatten meine Schwestern eine Ecke des Palmenhauses mit Brettern belegt. Sie konnten sich da sonnen oder Romane lesen.
Übrigens, das Fenster besteht heute noch. Auf Anraten meines Vaters bot dieses Fenster einen Kontrollpunkt für das 1935 neu erstellte Palmenhaus. Das Flachdach des elterlichen Wohnhauses war ebenfalls über die Gewächshausstege zu erreichen. Auf dem Flachdach wuchsen winterharte Opuntien- und Sedumarten, dadurch war das Dach im Sommer kühl.
Herr Stephan, Vaters Nachfolger, hat 1950 das Wohnhaus im Bereich des Wohn- und Esszimmers 2,3 m vorgezogen. So entstand in der 1. Etage ein großer Balkon. Ebenfalls wurde das Flachdach zum Satteldach umgestaltet. Mit diesem Umbau verlor das Haus viel von seiner vorherigen Romantik.
Als im Sommer 1935 das Große Palmenhaus abgerissen wurde, wurden zur Winterzeit die großen Palmen und andere Kübelpflanzen in den Gebäuden der Universität verteilt. Diese Arbeit wurde von der Belegschaft des Botanischen Gartens bewerkstelligt. Sie hatten zu diesem Zweck nur ein Pferdefuhrwerk zur Verfügung.
Damals wurde der Garten von drei Gärtnern, drei Arbeitern und dem Heizer gepflegt und in bester Ordnung gehalten.
Quellen:
Text: Theodor Ludewig
Bilder: Familienarchiv Ludewig und Archiv Henning Stoffers
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