das Gebiet rund um den Kiepenkerl ist ein geschichtsträchtiges Stück Münster. In nächster Nähe zum Domhügel gelegen, seit Jahrhunderten geprägt von Handel und Gewerbe: Das Kiepenkerlviertel. Modern, gediegen und gastfreundlich, so zeigt sich dieses Stadtviertel heute dem Besucher.
Ein kleiner Streifzug führt Sie durch die Geschichte.
Ihr Henning Stoffers
Ein Teil des heutigen Kiepenkerlviertels stand früher auf einer Insel, der Aainsel. Viele Gärten prägten im ausgehenden Mittelalter dieses Stadtgebiet.
Der Mittelpunkt des Viertels ist die Stelle, an dem heute das Denkmal des Kiepenkerls steht. Vor Jahrhunderten gab es dort einen Kornspeicher der Domherren, genannt ,Spiekerhof'. Diese Lagerstätte gehörte zur Herrenbäckerei bzw. Dombäckerei (erstmals 1247 urkundlich erwähnt), die das Domkapitel mit Brot versorgte.
Da die Bäcker der Dombäckerei außerhalb der Domimmunität wohnten und arbeiteten und daher nicht der bischöflichen Gerichtsbarkeit unterlagen, gehörten sie der städtischen Bäckergilde an. Für das Brotbacken und den Verkauf galten somit die städtischen Regelungen.
Im Jahre 1664 erweiterte der damalige Bäcker seinen Betrieb um eine Herberge mit Brauerei und Bierausschank, aus der später einmal die Germania-Brauerei entstehen sollte.
Nach dem Abriss des Kornspeichers im Jahre 1711 gab es an dieser Stelle einen Fischmarkt.
Dieser Bereich bekam in den Jahren 1774 bis 1873 die Bezeichnung ,Neuer Fischmarkt', danach hieß der Platz - wie bereits die Straße - ,Spiekerhof'.
Der ,Alte Fischmarkt' lag nur etwa 200 Meter weiter in Richtung Lambertikirche.
1896 wurde das von dem Bildhauer August Schmiemann geschaffene Denkmal des Kiepenkerls errichtet. Nach der Zerstörung 1945 - kurz nach Kriegsende - kam 1953 eine Nachbildung an den alten Platz. Bei der Einweihung war Theodor Heuß - 1. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland - anwesend.
Die Figur des Kiepenkerls symbolisiert die damaligen Kleinhändler und Handwerker, die ihre Waren und Dienstleistungen an die Stadtbewohner verkauften. Weite Strecken mussten sie oft - natürlich zu Fuß - zurücklegen, um in die Stadt zu gelangen. Typisch waren ihre Kleidung und die Kiepen aus Weidenholz, die auf dem Rücken getragen wurden. In den Kiepen befanden sich die angebotenen Waren.
Die Aa bildete im westlichen Bereich der Spiekerhof-Straße rund um die Magdalenenstraße eine kleine Insel. Dieser Straßenbereich des Spiekerhofs trug den Namen ,Zwischen den Brücken'. Der westliche Aa-Arm war noch im Stadtplan von 1958 eingezeichnet und muss wenig später zugeschüttet worden sein. - Längst vergessen ist ein Karnevalsverein aus diesem Viertel, der sich ,Die Insulaner' nannte.
Auf der alten Aainsel lag das Magdalenenhospital, dessen Ursprung ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Zunächst war es ein Krankenhaus, später ein Armenhaus für 24 Menschen beiderlei Geschlechts.
Aus der kleinen Hospitalkapelle entstand im 16. Jahrhundert die Magdalenenkirche. Von dieser Kirche ist nichts mehr zu finden. Lediglich die Steine fanden Verwendung für das Haus Brinckmann (Hausnummer 34). 1827 wurde das Hospitalgelände parzelliert und eine neue Straße - die Magdalenenstraße - durch das Gelände gelegt; sie ist die erste Straße mit einer schnurgeraden Führung durch Münsters Altstadt.
An die lange Geschichte des Hospitals und der Kirche erinnert nur noch die Namensgebung der Magdalenenstraße, die den Spiekerhof mit der Bergstraße verbindet.
Auf dem linken Pfeiler der Spiekerhof-Brücke befindet sich eine Plastik des Bildhauers Arnold Schlick, die drei Gänse darstellt. Ludwig Humborg hatte sie gestiftet und an dieser Stelle aufstellen lassen.
Die Plastik erinnert an einen Kolk (Wasserstrudelloch), der sich vor Jahrhunderten auf der anderen Seite der Brücke gebildet hatte, und zwar im südlichen Bereich. Dort teilte sich früher die Aa in zwei Arme.
Unterhalb der Plastik ist ein Stein mit der Inschrift ,A.S. 1950' eingelassen. Zunächst nahm ich an, es würde sich um die Initialen des Künstlers Arnold Schlick handeln. Die Plastik wurde aber erst in späteren Jahren aufgestellt, so dass diese Annahme falsch war. Tatsächlich erinnert der Stein an das Heilige Jahr 1950 (A.S. - anno santo - Heiliges Jahr).
In der kleinen Gasse ,Wegesende' hatte im 16. Jahrhundert der Bildhauer Heinrich Brabender seine Werkstatt.
Während der Täuferzeit wurden seine sakralen Figuren aus Baumberger Sandstein beschädigt, zerstört und zum Teil als Füllmaterial an der Befestigungsanlage Kreuzschanze vergraben.
Unter Max Geisberg konnten Ende des 19. Jahrhunderts diese Schätze wieder geborgen werden.
Über Jahrhunderte prägte die Vielfalt verschiedenster Berufe dieses Viertel: Bäcker, Bierbrauer, Goldschmied, Kürschner, Posaunist, Fleischer, Sattler, Regenschirmmacher, Klempner, Hauderer, Raseur, Blaufärber, Schneider, Buchbinder, Gastwirt, Zinngießer, Höcker, Schuhmacher, Kleinhändler, Handschuh- und Mützenmacher, Pfefferhändler usw.
Geht man durch die Straßen des Viertels, spiegelt sich dieses breite Spektrum auch heute noch wider. Die damalige Vielfalt ist nicht mehr in voller Gänze anzutreffen, da es etliche Berufe nicht mehr gibt bzw. selten geworden sind.
Während in anderen Straßen der Altstadt überregionale Ladenketten Einzug gehalten haben und deren Erscheinungsbild meist uniform prägen, hat sich das Kiepenkerlviertel seinen besonderen, individuellen Charakter erhalten.
Meist inhabergeführte Geschäfte mit vielfältigem und hochwertigem Warenangebot sind anzutreffen. Besonders ist die traditionelle Gastronomie rund um den Kiepenkerl zu erwähnen, deren Außenbewirtung an warmen Tagen ein fast südländisches Flair vermittelt.
Alte Spuren sucht man meist vergeblich. Nur Weniges erinnert an die prächtigen Häuser und Bauwerke der vergangenen Zeit. Sowohl durch stadtpolitische Entscheidungen in den Zeitläufen als auch durch das Inferno der Zerstörungen des Krieges sind nur wenige Zeugen der Jahrhunderte erhalten geblieben.
Die kleine Statue des Hl. Nikolaus erinnert an die Nikolaikirche, die einst oberhalb am Horsteberg stand. Sie wurde von dem Maler und Bildhauer Rudolf Breilmann geschaffen und auf Initiative von Ludwig Humborg an dieser exponierten Hausecke zum Horsteberg aufgestellt.
Hinweis und besondere Anerkennung
An dieser Stelle möchte ich auf die verdienstvolle Forschung des Stadthistorikers Ludwig Humborg hinweisen, dessen Aufzeichnungen für diesen Aufsatz besonders wertvoll waren.
Quellen
Ludwig Humborg:
Historischer Bummel durch Münsters Altstadt-Straßen, Aschendorff 1973
Text: Henning Stoffers
Fotos: Sammlung Henning Stoffers - wenn nicht anders benannt