selten ist ein Besuch so in Erinnerung geblieben, wie der des Kaisers Wilhelm II. vor 110 Jahren. Die Stadt hatte sich mit größtem Aufwand in ein Festgewand gekleidet. Es war ein spektakuläres Ereignis, dem die Bevölkerung entgegengefieberte. Münster war im wahrsten Sinne des Wortes ,aus dem Häuschen'. - Übrigens, statt des erhofften Kaiserwetters herrschte typisches münstersches Regenwetter.
Die Bildgeschichte erinnert an den Kaiserbesuch im Jahre 1907.
Ihr Henning Stoffers
Die Einwohnerzahl von mehr als 80.000 hatte sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt, neue Stadtteile außerhalb des Promenadenringes waren entstanden.
Keine 10 Jahre waren vergangen, dass der Dortmund-Ems-Kanal und der Hafen gebaut worden waren. Die Häuser hatten einen Anschluss an das Leitungswassernetz und an die Abwasserkanalisation erhalten. Die Straßenbahn gehörte seit 5 Jahren zum Stadtbild. Behörden, Militärische Einrichtungen und Unternehmen zogen immer mehr Menschen in die Stadt. Westfalens Provinzialhauptstadt prosperierte.
Im Januar 1907 erhielt Münsters Oberbürgermeister Dr. Maximilian Jungeblodt die Nachricht, dass Ende August der Kaiser anlässlich einer Parade die Stadt besuchen würde.
Die Nachricht schlug wie ein Blitz ein und versetzte die Verantwortlichen der Stadt in Begeisterung und hektische Betriebsamkeit. Zwar ging die Planung in der Hauptsache vom münsterschen Generalkommando aus, aber der Magistrat der Stadt sah die Chance, den Besuchsverlauf unter größtmöglicher Beteiligung der Bürgerschaft mitzugestalten.
Ein solcher Besuch bot nicht nur die Gelegenheit, dem Kaiser die patriotische Gesinnung auf besondere Weise zu zeigen, sondern auch die reichsweite Aufmerksamkeit für geschäftliche Interessen zu nutzen. Eine solche Veranstaltung wirkte auf städtischer Ebene wie ein Konjunkturprogramm. - Heute ist Münsters Stadtmarketing für solche Aufgaben zuständig.
Es wurde ein Festkomitee mit sechs Arbeitskreisen gebildet. Die hierfür ausgesuchten Personen waren Beamte, Fabrikanten, Kaufleute, Lehrer und Handwerker. Die Aufgaben umfassten die Ausschmückung der Stadt, das musikalische Programm, die Sicherheit und Ordnung und die Koordination anderer Tätigkeitsfelder.
An die Bevölkerung ergingen Appelle, sich über ihre Vereine (Schützen-, Krieger-, Turn-, Gesangs- und Wohltätigkeitsvereine, studentische Verbindungen, Handwerkerschaft etc.) an dem Ereignis zu beteiligen.
Für die Finanzierung wurden die Stadtwerke mit der immensen Summe von 100.000 Reichsmark (heute 600.000 Euro) angezapft. Dieser Betrag sollte aber nicht reichen...
Die Zeit bis Ende August war relativ kurz, und nun musste geklotzt werden. Es entstanden riesige, mit Girlanden geschmückte Triumphbögen. Häuser bekamen aufwendige Dekorationen. Der im Abriss befindliche Drubbel wurde mit Tüchern verhängt und mit Girlanden geschmückt, damit die Ruine dem Kaiser verborgen blieb. Allein die elektrische Beleuchtung kostete mehr als 38.000 Reichsmark.
Die Straßen wurden gepflastert und instandgesetzt. Sie erhielten auch eine Sandauflage, damit die Pferde der Majestät und dessen Gefolge nicht auf dem glatten Pflaster ausrutschen konnten.
42 Chöre probten aufs eifrigste für die ,Kaiser-Serenade'. Die Feuerwehr übte Einsätze. Und 30 Ehrenjungfrauen aus bester Gesellschaft - darunter die Tochter des Oberbürgermeisters - erhielten für den Kaiserbesuch weiße Kleider.
Der Universitätsturnlehrer Becker übte mit den Mitgliedern der Sportvereine ein spezielles Programm zur Huldigung des Kaisers ein.
Die Polizeibeamten bekamen schriftliche Instruktionen, wie sie sich zu verhalten hätten.
Alles war genauestens von der Kommission für ,Ordnung und Spalier' geplant worden.
Bei all dem Trubel blieb Ärger nicht aus. Die Weinhandlung Schmedding hatte einen kostenlosen Ehrentrunk für den Kaiser angeboten. Es sollten 3 Flaschen 1893er Rüdesheimer Rotland Beeren-Auslese der Firma Deinhard sein.
Der Oberbürgermeister lehnte das Angebot dankend ab, da bereits von anderer Seite eine Weinspende gemacht worden sei. Schmedding beschwerte sich. Er fühlte sich als alteingesessener Weinhändler ungerecht behandelt und zweifelte die Güte des Weines an.
Am 29.8. war es soweit. Um 16:17 Uhr kam der Kaiserzug im Bahnhof an. Wilhelm II. schritt, in der Rechten den Marschallstab haltend, die Front einer angetretenen Ehrenkompanie ab. Von der nächstgelegen Herz-Jesu-Kirche stiegen als Signal der Ankunft des Kaisers zusammengebundene Luftballons auf, worauf alle münsterschen Kirchenglocken zu läuten begannen. Der Jubel der Menge muss unglaublich gewesen sein. Der Westfälische Merkur schrieb: ,Der Kaiser ist umjubelt und umjauchzt von einer froh gestimmten Menge… Als Seine Majestät den Bahnhofsvorplatz betrat, tönte ihm ein vielstimmiges Hurra entgegen, das der Kaiser freundlich lächelnd erwiderte…‘.
Auf seinem Ritt zum Servatiiplatz ertönten Fanfaren von historisch gekleideten Herolden. Knaben in Matrosenzügen winkten von den Triumphsäulen mit Fahnen. Am Servatiiplatz standen der Oberbürgermeister, der Magistrat, die 30 Ehrenjungfrauen, Abordnungen verschiedener Vereine und eine große Menschenmenge.
Oberbürgermeister Jungeblodt begrüßte den Kaiser mit einer patriotischen Ansprache, in der er u.a. die unverbrüchliche Treue für Kaiser und Vaterland in guten wie in schlechten Tagen gelobte, und zwar mit Gut und Blut.
Auf dem Foto steht der Oberbürgermeister, den Zylinder in der Rechten haltend, zum Kaiser emporschauend, der prächtig von seinem Ross auf ihn hinabblickt. Die Ehrenjungfrauen in ihren weißen Kleidern sind angetreten, daneben stehen die Abordnungen von Schützenvereinen.
Fräulein Bertha Jungeblodt - eine der Ehrendamen und Tochter des Oberbürgermeisters - übereichte dem Kaiser ein üppiges Blumengebinde. Das Pferd des Kaisers scheute, vielleicht von dem großen Strauß irritiert, und hätte Wilhelm II. beinahe zu Fall gebracht. Bertha wandte sich im Rückwärtsgehen erschrocken um. Der Kaiser habe amüsiert gelächelt, was wohl selten geschah. - Diese Geschichte erzählen heute noch die Nachkommen von Bertha Jungeblodt.
Das Besuchsprogramm war minutiös verplant. Es gab viele Veranstaltungen: Festessen, Empfänge von Abordnungen, Festlichkeiten, militärische Paraden, Zapfenstreich vor dem Schloss, Fahrt nach Tecklenburg, Besuch des Friedensaales. Es wurden viele huldigende Ansprachen gehalten, mehr als 500 Orden verliehen.
Nur das Wetter war in diesen Tagen kein Kaiserwetter. Bei den Veranstaltungen regnete es in Strömen. Die Passanten wurden pitschnass, was aber der Stimmung nicht schadete. Die Berliner Berichterstatter zeigten sich verwundert, dass trotz des hässlichen Wetters in der Provinz so vergnüglich gefeiert werden konnte.
Am Sonntag um 11:30 Uhr reiste der Kaiser nach Berlin zurück.
Der Kaiserbesuch kam der Stadt deutlich teurer als geplant. 136.000 Reichsmark (mehr als 800.000 Euro) wurden aufgewendet, mehr als die Stadt im Jahr für Armen-, Kranken und Gesundheitspflege ausgab.
Der Besuch des Kaisers war Anlass, den Grundstein des Evangelischen Krankenhauses in der Wichernstraße zu legen. Die Kaiserin war wegen eines verstauchten Knöchels in Berlin geblieben. Daher übernahm Prinzessin Adolf (Viktoria) zu Schaumburg-Lippe die Zeremonie (Schwester von Wilhlem II).
Münsters Universität erhielt aus Anlass des Kaiserbesuchs ihren Namen: Westfälische-Wilhelms-Universität.
Quellen
Text: Henning Stoffers
Postkarten und Fotos: Sammlung Henning Stoffers
Sonstige Abbildungen:
Stadtarchiv - Dokumentation 1987 - Der Kaiserbesuch von 1907