erinnern Sie sich an die gute alte Kneipe an der Ecke? Wo man sich mit Freunden und Bekannten auf ein Bier und zum Plausch traf? Diese Kneipen gibt es so gut wie nicht mehr.
Am Beispiel der Gaststätte Cords auf der Hammer Straße wird die Geschichte einer typischen Stadtviertelkneipe wieder lebendig. Alte Fotografien zeigen das Haus im Wandel der letzten einhundert Jahre und erinnern an eine vergangene Zeit. Die Gaststätte existiert schon seit vielen Jahren nicht mehr. Heute beherbergt das Haus Nr. 70 eine Weinhandlung.
Mehr über die Geschichte der Hammer Straße finden Sie an dieser Stelle.
Ihr Henning Stoffers
Mitte des 19. Jahrhunderts entstand dynamisch wachsend das Südviertel. Die St. Joseph-Kirche war noch nicht gebaut als das Gebäude Hammer Straße 70 (vormals Nr. 78) errichtet wurde.
An der Hammer Straße - Hauptschlagader des Südviertels - siedelten sich viele Handwerker, Kaufleute und Gastwirte an. Die Straße bekam im ausgehenden 19. Jahrhunderts den Charakter einer Geschäftsstraße, den sie sich bis heute erhalten hat.
Es war das Jahr 1886, als Hermann Cords seine Gaststätte in der Hammer Straße 70 eröffnete. Die Josephs-Kirche war noch nicht gebaut.
Die Fotografie (um 1902) zeigt links die Gaststätte Cords - und am rechten Bildrand den Vorläuferbau der Josephs-Kirche, der 1888 entstand. Der Neubau der Kirche mit ihren großen Türmen erfolgte wenige Jahre später.
Alte Stadtpläne zeigen das Grundstück noch mit der Hausnummer 78. Später wurde daraus die Hausnummer 70 (siehe auch Einwohnerbuch).
Nach dem Einwohnerbuch von 1911 ist Hermann Cords inzwischen als Privatier eingetragen. Bis zur Übernahme durch seinen Sohn Heinrich hatte er die Gaststätte verpachtet.
Bis 1963 führten Heinrich und Else Cords die Gaststätte. Sie war eine typische Stadtviertelkneipe, die geselliger und gesellschaftlicher Mittelpunkt für die ansässigen Kaufleute, Handwerker, Beamte, Angestellte und Arbeiter war. Man traf sich beim Frühschoppen und nach Feierabend, auf ein, zwei oder mehr Bier, aß eine Frikadelle oder ein Kotelett und tauschte sich über ,Gott und die Welt' aus.
Hier waren auch die Mitglieder des Schützenvereins Stengelrüben als Stammgäste anzutreffen. Und die Lage der Gaststätte war für die Gäste außerordentlich attraktiv, denn nach dem sonntäglichen Hochamt brauchte man nur über die Straße zu gehen, um die Geselligkeit beim Frühschoppen zu genießen.
Das Gebäude mit seinen Türmchen, Erkern und allerlei baulichen Verzierungen zerstörten die Bomben des Krieges. Lediglich das Mauerwerk des Erdgeschosses mit seinen Rundbögen blieb erhalten. Der Neubau wurde in den 1950er Jahren in der damals üblich schlichten Nachkriegsarchitektur errichtet.
Jeder Gastwirt legte in jenen Jahren Wert darauf, dass für seine Gaststätte Ansichtskarten vorlagen. Dieses günstige Werbemittel sollte sein Unternehmen im besten Lichte erscheinen lassen. Neben meist ansehnlichen Außenansichten zeigen sich die Innenaufnahmen aber durchweg menschenleer, wie auch hier. Alles ist ordentlich, leblos in Reih und Glied arrangiert und gibt nichts von der speziellen Kneipenatmosphäre wider.
Der Blick in den Gastraum verrät das gutbürgerliche Ambiente der 50er, 60er Jahre. Der Thekenbereich war relativ klein gehalten. Vorn rechts lagen in der Vitrine die üblichen Mettbrötchen, Frikadellen und Koteletts. Oft stand in diesen Gaststätten auf der Vitrine auch ein großes Glas mit eingelegten Soleiern.
Ein münstersches Bier, wie zum Beispiel von der Westfalia- oder der Germania-Brauerei, wurde nicht ausgeschenkt. Am Zapfhahn floss das Dortmunder Kronen und das Veltins aus dem Sauerland.
Es gab auch einen kleinen Vorrat an Schokoladetafeln. Bei Cords war's die Toblerone Rum, die von den Gästen gern für die daheim wartenden Frauen als kleines Mitbringsel mitgenommen wurde.
Die frühen 1960er Jahren starteten die Cords mit einer Außengastronomie. Der kleine Vorgarten wurde dafür nutzbar gemacht. Man wollte den Gaststättenbesuch attraktiver machen und natürlich den Umsatz erhöhen.
1960 feierte der Schützenverein ,Stengelrüben' von der Hammer Straße sein 125jähriges Jubiläum. Hoch zu Ross ist der Gastwirt Heinrich Cords zu sehen.
Die Bilder spiegeln die Nachkriegsjahre auf typische Weise wider. Neben dem Textilhaus Bellenhaus befindet sich eine der vielen Baulücken, die in den damaligen Jahren oft anzutreffen waren.
Heinrich und Else Cords waren mit der Führung der Gaststätte voll beansprucht. Viele Festlichkeiten (Geburtstage, Jubiläen, Familienfeiern etc.) mussten neben dem normalen Gaststättenbetrieb ausgerichtet werden. Die Freizeit war für die Wirtsleute rar, und so blieb für die Betreuung ihrer heranwachsenden Tochter Ingrid nicht die ausreichende Zeit. Ingrid besuchte daher außerhalb von Münster ein von Nonnen geführtes Internat.
1952: Auf dem linken Bild sind die Kommunionkinder mit Kaplan Sonnenschein vor dem Portal der Josephs-Kirche zu sehen. Die kleine Ingrid steht ganz rechts außen.
1963 fassten Heinrich und Else Cords den Entschluss, die Gaststätte zu schließen. Die Arbeitsbelastung war zu groß geworden. Man hatte einen solventen Mieter gefunden: die Commerzbank.
Das Haus wurde ,modernisiert'. Die schönen Rundbögen, die an das ursprüngliche Gebäude erinnerten, verschwanden. Und die Außenfassade wurde - dem damaligen Zeitgeschmack folgend - in Klinker und Steinplatten gefasst. Vom Charme und Individualität der ursprünglichen Architektur ist nichts erhalten geblieben.
Heinrich Cords starb bereits 1978, Else folgte ihm 1999.
Die Gaststätte Cords war mehr als 8 Jahrzehnte fester und integrativer Bestandteil des bevölkerungsreichen Südviertels. Im Schatten der Türme von St. Joseph gelegen, war die Stadtteilkneipe eine Stätte des Zusammenhalts, der Kommunikation und ein wichtiger sozialer Faktor.
Im nahen Umkreis der Hammer Straße waren die Cords nicht die einzigen Wirtsleute. In Sichtweite lagen die nächsten Gaststätten. Die ,Kneipen um die Ecke' florierten in der fernsehlosen Zeit und in den ersten Nachkriegsjahrzehnten.
In den letzten 30 Jahren vollzog sich ein großer Wandel im Gaststättengewerbe. Neue Medien änderten das Verhalten und die Lebensgewohnheiten der Menschen. Die typischen Stadtteilkneipen, die zu einem Stadtviertel gehörten, sind nur noch selten anzutreffen.
Parallel zum Kneipensterben schlossen auch viele Kinos für immer. Dies ist aber eine andere Geschichte, die Sie demnächst hier lesen können.
Quellen
Für die Informationen und die Bereitstellung des Bildmaterials - soweit nicht anders angegeben - danke ich Frau Ingrid Roszich geb. Cords sehr herzlich. Ohne ihre Unterstützung wäre diese Bildgeschichte nicht entstanden.