Liebe Leserin, lieber Leser,

Monika Reims hat ihrem Vater auf besondere Weise ein Denkmal gesetzt. Die Briefe, die Heinz Becker als Soldat seiner Familie nach Münster schickte, führte sie zu einem Buch zusammen. Aus diesem berührenden Zeitdokument veröffentliche ich einige Auszüge.

 

Ich danke Monika sehr herzlich für die zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen, Informationen und Fotografien.

 

Ihr Henning Stoffers


Im Felde - Briefe in die Heimat

Die Lebensstationen

Vater Friedrich Becker
Vater Friedrich Becker

Heinz Becker wurde am 12.11.1921 in Münster geboren.  Der Vater Friedrich starb bereits 1934. Heinz besuchte nach der Volksschule das Ratsgymnasium bis 1938. Die sich anschließende kaufmännische Lehre bei Ludwig Hansen (Maschinen- und Gerätebau, Flugzeuge) endete nach bestandener Prüfung im Herbst 1940.

Raymund, Mutter Anna, Heinz
Raymund, Mutter Anna, Heinz

Im Frühjahr 1941 kam die Einberufung zum Wehrdienst. 1945 Rückkehr nach Münster.

 

Im Juli 1949 wurde Heinz Bilanzbuchhalter bei der Fa. Hans Hoffmann. Ab 1962 bis zum Renteneintritt war er Buchhalter/Prokurist bei der Fa. Krukenkamp.

 

Der Tod ereilte ihn überraschend auf einer seiner geliebten Bergwanderungen am 19.8.1987 in Südtirol.

Heinz Becker als Amateurfunker 1961
Heinz Becker als Amateurfunker 1961

Die ersten Briefe an die Familie

Prag, 13.2.1941

Liebe Mutter.

Aus Prag sende ich dir schnell einige Grüße. Es geht gleich weiter nach Kuttenberg (60 km). Die ganze Fahrt dauert 40 Std. Die Nacht war nicht sehr gemütlich. Es grüßt dich herzlich dein Sohn Heinz Josef.

 

Podibrad, den 23.2.41

Liebe Mutter.

Erst jetzt ist es mir möglich, Dir zu schreiben. Wenn es bis jetzt nicht geschah, so lag es nicht an mir, sondern daran, daß ich noch keine Adresse hatte und die Post auch noch nicht durch die Truppen angenommen wurde...

 

In Kuttenburg wurden wir zuerst in einem Sammellager unter­gebracht, wo wir bis Montag lagen. Dann kamen wir in eine Ka­serne, wo wir eingekleidet wurden. Am Donnerstag fuhren wir dann wieder fort.

Wir sind hier in Podibrad in einer ganz neuen Schule unterge­bracht, 20 Mann und 1 Gefreiter auf einer Stube. Die Hälfte sind Rheinländer, die anderen Westfalen und 4 Ost­preußen. Alles ganz nette Kerle. Die Verpflegung ist gut, auch Zigaretten und Zigarren gibt es. Unsere Ausbildung macht uns Spaß, es geht schnell voran.

Gestern sind wir gegen Pocken geimpft worden, heute Morgen das 1. Mal gegen Typhus. -Gestern abend hatten wir zum Ausgleich dafür eine K.d.F. Vorstellung.

Die Waffengattung darf ich Dir nicht sagen, es ist aber fein, daß ich dazu gekommen bin. Wenn Du mir schreibst, mußt du genau meine Anschrift angeben.

 

Es grüßt Dich und Raymund auf das herzlichste

Dein Sohn Heinz Josef

 

N.B. Schick mir doch bitte meine Pantoffel


Auszüge aus den nachfolgenden Briefen

Vereidigung
Vereidigung

Wir sind Sonntag vereidigt worden. Dabei mußte ich als rechter Flügelmann mit noch 3 anderen vortreten und den Eid für alle auf den Degen des Offiziers leisten. Wir sind geknipst worden, ich will sagen, daß ich ein Bild bekomme.

 

Du fragst, ob mir meine Uniform passe. Ja, und meine Stiefel sitzen wie angegossen. Morgen werden wir zum 2. Mal gegen Typhus geimpft, und zwar ziemlich stark, es kann sein, daß man dann etwas Fieber bekommt, aber das geht schnell wieder vorüber.

Du fragst in deinen Briefen, was wir hier so den ganzen Tag machen. Ja, Mutter, darüber darf ich dir leider nichts schreiben. Es wird hier alles sehr geheim gehalten, denn die Gefahr der Spionage ist hier in der Tschechei sehr groß, und solch ein Brief kann ja immerhin auch mal abhanden kommen.

Wie sieht es eigentlich zu Hause aus? Ist der dicke Meier noch da oder schon in Braunschweig? Was macht denn Isner? Hat er seinen Musik… schon fertig? Ist in Münster in letzter Zeit viel Fliegeralarm gewesen. Wie meine Kameraden erzählen, muß es ja in Köln usw. ganz schwer hergehen. Hoffentlich bleibt ihr nur vor Unglück verschont, daß wir uns gesund wiedersehen. Laß dich doch auch mal fotografieren und schick mir dein Bild, ebenso Raymund. Du würdest mir eine große Freude damit machen.

Übrigens lerne ich jetzt auch Kradfahren. Das ist eine ziemlich einfache Sache beim Militär. Man wird da auf so ein Ding drauf­gesetzt und dann heißt es: Losfahren. Es ist übrigens gar nicht so schwierig und macht Spaß, und für später hat man dann seinen Führerschein.

 

Was ist denn in Münster Neues passiert. Ist Alarm gewesen? Wenn es im Wehrmachtbericht heißt „westdeutsche Städte angegriffen“, dann denke ich immer an Euch. Hoffentlich geht alles weiter gut wie bisher.

 

Es ist hier ziemlich einsam, die Gegend ist ja ganz schön, nur sind hier im Sommer entsetzlich viel Mücken. Überhaupt, einen solchen Tiefstand an Kultur und eine solche Armut habe ich noch nicht gesehen. Ich werde dir mal eine Aufnahme unseres Quartiers schicken, einer ganz nied­rigen strohgedeckten Hütte.

 

Wie geht es euch denn in Münster? Ist der Tommy wieder da­gewesen? Der kriegt ja jetzt tüchtig was aufs Haupt. Allerdings schade mit der Bismarck. Aber das ändert am Ausgang des Krie­ges auch nichts.

Raymund, Tante Thea, Oma, Heinz in Uniform
Raymund, Tante Thea, Oma, Heinz in Uniform

Von der Armut und dem Dreck hier kannst du dir keine Vorstel­lung machen. Hier ist alles verkommen, Straßen, Häuser, Felder, alles. Das schlimmste hier ist der Durst. Wir dürfen nur abge­kochtes Was­ser trinken, und das ist nicht viel, was man da be­kommt. Zudem ist es hier sehr heiß. Die Verpflegung ist ganz gut, nebenbei sorgt man auch noch selbst für etwas, gestern habe ich von einem Bauern 30 (braune) Eier und über ein Pfund Butter gekauft, spottbillig. Aber das ist ja auch die einzige Möglichkeit, etwas Geld auszugeben, wir be­kommen ja jetzt das Doppelte. Du wirst sehen, ich komme noch als reicher Mann nach Hause.

 

Über die Kampfhandlungen selbst darf ich dir nichts schreiben, es ist aber ein ganz anderer Feldzug als die bisherigen, wegen der großen Räume (Wälder). Von den Fliegern bin ich ja schon aus Münster aller­hand gewöhnt, nur die Artillerie ist etwas Unange­nehmes, wenn es so pfeift und man weiß nicht, wo es im nächs­ten Augenblick hinhaut. Aber es wird schon alles gut gehen.

In einer Einkreisungsschlacht bei (unleserlich, radierte Stelle) wurden noch in der Gegend stehende starke Kräfte vernichtet. Ist auch in der Zeitung erwähnt worden. Jetzt geht es schon wie­der weiter, immer weiter. Es sind keine 70 km mehr, und wir können singen: “ Es steht ein Soldat am Wolgastrand…“ Wer hätte gedacht, daß ich noch mal so weit in der Welt umherkom­men würde, und gar nach Rußland, was einem immer ein Buch mit sieben Siegeln war, denn die Nachrichten, die aus diesem Lande kamen, hielt man doch meist für unmöglich oder stark übertrieben, so unglaublich klangen sie doch.

Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers
Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers

Aber ganz anders ist noch hier die Wirklichkeit. Entsetzlich die Armut und Dürftigkeit, entsetzlich der Dreck, entsetzlich der Gestank. Ich bin mehrfach in Häusern gewesen. Man hält es nicht für möglich, wie die Leute hier leben. Darum ist es auch ganz unmöglich, darin zu schlafen.

 

Mit dem Schlafen wird es hier jetzt ungemütlich, die letzte Woche hat es im Strömen geregnet. Im Zelt ist es dann sehr naß und kalt, und im Wagen ist es zu eng, da kann man sich nicht ausstrecken. Aber das alles kann einen weniger erschüttern, wenn man nur noch gesund und froh ist, und das bin ich noch.

 

Wie geht es euch denn in Münster? Es scheint ja dort noch immer zu ballern. Es muß ja dort schön aussehen. Nur gut, daß ihr nichts abbekommen habt.

Die von dir gewünschte und verständliche Angabe des Ortes ist zu gefährlich, da die Post mal in russische Hände geraten könnte. Ich schreibe die daher einen Schlüssel, nach dem du den Namen entziffern kannst. Ich teile das Alphabet in Zahlen ein, und zwar folgendermaßen:

Chiffriertabelle
Chiffriertabelle

Jede Zahl gilt für den überstehenden Buchstaben. Aber die Zah­len stehen nicht sofort dem Namen nach geordnet, sondern zu jeder Zahl steht in Klammern dabei, an wievielter Stelle sie ste­hen muß. Königsberg würde zum B. folgendermaßen unauffällig lauten im Brief:“… dann laß mir bitte von folgenden Bildern noch Abzüge machen: Bild Nr. 1(3), 1(9). 2(1)…“

 

Hoffentlich hast du mich verstanden. Also erst Zahlen in Klam­mern der Reihe nach, dann für die freien vorstehenden Zahlen den betreffenden Buchstaben.

Doch Sorgen brauchst du dir dann nicht zu machen, wenn nichts ankommt, passieren wird mir schon nichts. Denn das gefähr­lichste, die Flieger, können bei dem Wetter jetzt nicht viel aus­richten, und außerdem sind sie am gefährlichsten, wenn man auf dem Markt oder in einer Stadt ist, aber ein einsames Dorf greifen sie bestimmt nicht an. Und die hier in den Wäldern steckenden Partisanen machen wir durch systematisches Absuchen unschäd­lich. Wenn welche gefunden werden, so ist es um diese gesche­hen, sie werden sofort abgeknallt.

 

Überhaupt sitzt hier die Kugel sehr locker, besonders bei Nacht, da wird auf alles, was nicht sofort auf Anruf antwortet, sofort ge­schossen. Russen dürfen die Häuser nach Einbruch der Dunkel­heit nicht verlassen. Aber nur so kann man dieser Sache Herr werden. Doch die Bevölkerung ist im allgemeinen sehr freundlich eingestellt. Es handelt sich bei Partisanen meistens um junge eingefleischte Kommunisten.

Hörsterstraße - Sammlung Henning Stoffers
Hörsterstraße - Sammlung Henning Stoffers

Wie sieht es denn in der Stadt aus? Wurden die Spuren der Luft­angriffe schon beseitigt oder kann man noch viel feststellen? Wie sieht denn die Herdingstr. aus. Ist Wennings Haus noch voll­kommen zerstört, oder baut man schon wieder auf? Na, für mich ist ja solch ein Anblick kein ungewohntes Bild, sowas sieht man hier alle Tage. Bei günstigen Bedingungen können wir schon nachts den Feuerschein von Moskau sehen. Dort wird ja wohl auch kein Stein auf dem anderen bleiben.

Übrigens habe ich jetzt am 1.9. das K.V.K II. bekommen, du siehst, ich komme noch schwer ordensbehangen aus dem Krieg nach Hause.

 

Wir hatten einen Fuchs gefangen und wollten ihn mitnehmen und zähmen. Da hat mich das Biest gebissen, und zwar gleich in beide Hände zusammen. Ich hatte im ganzen 8 Bißstellen, von denen zwei an zu eitern fingen, und zwar linker Zeigefinger und rechter Daumen. Es war etwa so wie damals deine Hand. Ich habe Glück gehabt, um ein Haar wäre mein Zeigefinger steif geblieben oder hätte gar abgenommen werden müssen. Es ist auch jetzt noch nicht ganz wieder heil, aber ich kann schon wie­der schreiben.

In Münster muß es ja traurig aussehen. Ich glaube, ich kenne es gar nicht wieder. Wenn man immer in der Ferne ist, merkt man oft, wie man an der Heimat hängt. Es ist wirklich schade um all die alten Bauten, Wohnungen kann man wieder aufbauen, aber einen Prinzipalmarkt oder Dom nicht mehr. Ich glaube, die Ver­geltung läßt nicht mehr allzulange auf sich warten. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin. Dann aber gnade Gott dem Tommy.

Aegidiistraße - Sammlung Henning Stoffers
Aegidiistraße - Sammlung Henning Stoffers

Wie sieht es denn jetzt in Münster aus? Schreib mir doch mal ganz genau, was alles zerstört ist, besonders in der Altstadt, am Prinzipalmarkt u.s.w. Dann weiß ich in etwa, was ich im Urlaub zu sehen kriege.

 

Über die Vergeltung laufen bei uns die tollsten Gerüchte um, aber trotzdem wird es allem Anschein nach nicht mehr lange dauern. Dann hat das ganze Elend ein Ende. Wahrscheinlich wird damit die endgültige Kriegsentscheidung verbunden sein. Wie uns eine höchste Persönlichkeit jetzt auf der Weihnachtsfeier versichert hat, sind wir im nächsten Jahr bestimmt zu Hause.

Aegidiistraße - Sammlung Henning Stoffers
Aegidiistraße - Sammlung Henning Stoffers

Heute fand ich in der Zeitung vom 23.1. die traurige Nachricht, daß Norbert Pollmann gefallen ist. So hat nun doch der erste dran glauben müssen, abgesehen von R. Rosenkranz, der ja wohl wiederkommen wird. Hoffentlich folgen nicht noch mehr aus un­serem Kreise.

Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers
Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers

Mir geht es wie immer gut. Hier in U. ist ja augenblicklich aller­hand los. Ich bin bei meiner Rückkehr in ein richtiges Durchein­ander geraten, da meine Einheit gerade verlegte. Das Wetter ist hier immer noch nicht winterlich, nur Regen und Schlamm. Hof­fentlich wird es bald etwas kälter, das ist besser als der Dreck. Ich bin gespannt, wie ich dieses Jahr Weihnachten feiere. Ein ganz annehmbares Quartier haben wir im Augenblick. Es wäre zu wünschen, daß wir dann noch hier sind.

 

Ich hoffe ja stark, daß es das letzte Jahr ist, wo wir Weihnachten nicht zu Hause sind, denn im kommenden muß doch die Ent­scheidung fallen. Es kann doch nicht ewig so weitergehen. Daß der Ausgang für uns schlecht ist, will ich nicht hoffen. Dann brau­chen wir gar nicht erst nach Hause zu gehen, wohin auch, in Münster können wir doch nichts anfangen.

 

Ja, lieber Raymund, uns steht noch viel Arbeit bevor nach dem Kriege, doch daß wir es schaffen, daran zweifele ich nicht im Ge­ringsten. Wenn wir nur alle gesund und am Leben bleiben. Dann wird es eine herrliche Zeit werden.

 

Zum Schluß wünsche ich dir nochmals ein frohes Weihnachten und Neujahr und hoffe, daß uns das neue Jahr die Erfüllung all unserer Wünsche bringen wird.

 

Herzliche Grüße

Dein Bruder

Heinz


Heimaturlaub in Münster - Brief an Raymund

Hansaviertel - Sammlung Henning Stoffers
Hansaviertel - Sammlung Henning Stoffers

Münster, den 9.11.1944

Lieber Raymund.

Es wird dich wohl nicht wundern, von mir aus Münster Post zu erhalten. Ich hatte ja gehofft, dich hier persönlich anzutreffen. Aber leider erhielt ich das Telegramm erst am 25.9. u. konnte am 28. endlich fahren. Du weißt ja, wie das ist beim Kommiß: der Dienstweg, der Teufel soll ihn holen! Sonst hätte ich dich noch angetroffen.

Mehrseitiger Prospekt für den Erwerb von ,Luftschutz Sanitäts-Geräten'
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Aber wie haben sie ganz Mstr. zugerichtet! So etwas hatte man nie für möglich gehalten. Die letzten Angriffe hast du ja nicht mehr erlebt. Ich bin auf der Fahrt mehr gelaufen als gefahren.

 

Lieber Raymund, was ist das alles eine Scheiße, von Herdingstr. 16 ganz zu schweigen, da hatte ich ja schon mit gerechnet.

 

Zum Schluß hat man mich dann in Mecklenbeck abgesetzt. Ich wußte am Abend natürlich nicht wohin, bis ich dann bei Kintrup, Bachstr. gelandet bin für eine Nacht. Jetzt wohne ich bei Sprin­gemeier auf der Wilhelmstr.

Ich habe noch etwas im Schutt ge­wühlt, aber viel ist da nicht mehr zu machen, besonders allein. Wenn wir beide zusammen hätten arbeiten können, wir hätten so ziemlich alles noch her­ausholen können. Die Bettdecken hät­ten wir schon rausgekriegt, aber allein geht das nicht. Außerdem ist jetzt alles verfault und naß.

 

Morgen fahre ich ins Sauerland nach Mutter. Die wird sich freuen. Auf der Rückfahrt fahre ich wieder über Mstr., weil ich über Hannover zurück will, über Köln, Mannheim fahre ich nicht mehr, da kommt man nicht fort.

Hansaviertel - Sammlung Henning Stoffers
Hansaviertel - Sammlung Henning Stoffers

Ich hatte ja gedacht, meinen Geburtstag am 12. mit dir feiern zu können, hatte sogar diverse Sachen mitgebracht. Nun mußt du die allein mit Mutter trinken. Schade!

 

Außerdem hätte ich dich zu gerne in Uniform gesehen. Schick mir mal schleunigst ein Bild, oder besser mehrere. Das wäre für mich eine große Freude.

 

Lieber Raymund, trotz alledem wollen wir uns nicht unterkriegen lassen. Die ganze Sache hat ja auch den Vorteil, daß man jetzt keine Angst mehr zu haben braucht, ausgebombt zu werden. Einmal kommt jeder dran, wir haben es jetzt hinter uns.

 

Mein Urlaub geht bis zum 23.11, ich werde aber …urlaub bean­tragen. Ich glaube übrigens kaum, daß ich noch nach Ungarn zurückfah­ren brauche, so wie die Verhältnisse dort liegen.

 

Lieber Raymund, schreib mir bitte mal ganz ausführlich, was du hier alles gemacht hast, deine Eindrücke usw.

 

Ich wünsche dir weiter viel Glück. Halte die Ohren steif im Dienst und laß dich durch nichts erschüttern. Denke dann an den Aus­spruch des Götz von Berlichingen.

 

Für heute viele Grüße

Dein Bruder Heinz


Vor dem Kriegsende

Hörsterstraße - Sammlung Henning Stoffers
Hörsterstraße - Sammlung Henning Stoffers

Ungarn, den 12.12.1944

Lieber Raymund.

Ich hoffe, daß du diesen Brief noch rechtzeitig erhältst: Also, ich wünsche dir ein frohes Weihnachtsfest im Kreise deiner Kamera­den. Vielleicht feierst du es noch in D., vielleicht bist du aber auch schon im Einsatz, ich weiß es nicht, denn ich habe seit mei­nem Urlaub noch keine Nachricht von dir. Hoffentlich kannst du die Festtage in Ruhe verbringen und dich dabei an all den schö­nen und leckeren Sachen erfreuen, die es aus diesem Anlaß beim Kommiß zu geben pflegt. Schöner wäre es ja, wenn wir zusam­men wären, aber - es hat nicht sollen sein. Trösten wir uns auf das nächste Jahr, die Hoffnung kostet ja nichts.

 

Augenblicklich mache ich mir noch große Sorgen um dich. Ich kann es gar nicht verstehen, daß ich noch keine Post von dir habe. Schreib mir bitte in Zukunft regelmäßig. Ich bin im Mo­ment von allen Verbindungen abgeschnitten, es ist wie verhext. Habe seit meinem Urlaub noch keine Post erhalten. Also bitte, im ??-Tempo einen Brief. Sonst - na, du kennst ja meine grausame Rache.


Der letzte Brief

Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers
Feldpostkarte - Sammlung Henning Stoffers

Ungarn, den 25.12.1944

Lieber Raymund.

Heute, am 1. Weihnachtstag, sollst du einige Zeilen von mir er­halten. Ich hoffe, daß es dir noch gut geht und du das Fest schön hast feiern können.

 

Ich habe großen Dusel gehabt, wir waren bis zum 24.12. einge­schlossen und sind am hl. Abend gerade herausgekommen. Sonst wären es wenig angenehme Weihnachtsfeiertage für mich ge­worden. Doch Glück muß man haben.

 

Wo steckst du augenblicklich? Vermute ich richtig im Westen? Ich kann es mir gut vorstellen. Na, hoffentlich hast du dem Tommy einen schönen Weihnachtsgruß herübergesandt. Laß dir nur nicht von ihm so ein Ding auf den Schädel fallen. Das soll we­nig angenehme Folgen haben.

 

Ich habe ja gehofft, von dir eine Zeile zu Weihnachten zu erhal­ten, bin aber schwer enttäuscht worden. Doch ich will dir keinen Vorwurf machen, vielleicht hattest du Postsperre. Ich verstehe nur nicht, daß auch von Mutter keine Nachricht kommt. Da heißt es eben weiter warten.

 

Für heute herzliche Festtagsgrüße

Dein Bruder Heinz


Wie es weiterging

Der Arbeitsplatz von Heinz Becker Ende der 1940er Jahre an der Hammer Straße
Der Arbeitsplatz von Heinz Becker Ende der 1940er Jahre an der Hammer Straße
Agnes und Heinz Becker in der Salzstraße
Agnes und Heinz Becker in der Salzstraße

Hier enden die Briefe von Heinz Becker. Es glückte ihm,  nach Kriegsende den Osten zu verlassen, ohne in Gefangenschaft zu geraten. Er machte sich zu Fuß auf den Heimweg, versteckte sich tagsüber und marschierte nachts weiter. Der genaue Weg ist nicht bekannt, zum Schluss durchschwamm er die Elbe. Da Münster nahezu vollständig zerbombt war, fuhr er zu seiner Familie nach Öhringhausen, dem Geburtsort seines Vaters.

 

Dort lernte er 1946 beim Tanz in den Mai Agnes Bechheim kennen, eine 21jährige junge Frau aus dem Nachbarort Heiderhof.

 

Sie zogen später nach Münster, heirateten 1950 und wurden 1953 die Eltern von Monika Reims.

Heinz Becker rechts  am Dampfbagger
Heinz Becker rechts am Dampfbagger

Ein Nachwort

Heinz Becker gehörte einer Generation an, die schwere Zeiten erlebte. Es waren die Jahre der Inflation, der Naziherrschaft, des Krieges und des Wiederaufbaus des zerstörten Deutschlands. Unzählige Menschen vieler Nationen erlebten den Schrecken des 2. Weltkrieges. Millionen büßten ihr Leben ein, nahmen Schaden an Leib und Seele, verloren ihr Hab und Gut oder mussten ihre Heimat verlassen.

 

In den Briefen von Heinz Becker schwingt immer jugendliche Unbekümmertheit und Sorge um das Wohlergehen seiner Familie mit. Eine intensive Bindung besteht zu seinem Bruder Raymund. Oft stellt Heinz aus der Ferne sorgenvolle Fragen, wie es in seiner Heimatstadt Münster aussieht. Seine Schilderungen aus den Kriegsgebieten sind nur sehr allgemein gehalten. Auch der jeweilige Aufenthaltsort darf nicht genannt werden, und so wird dieser nur in verschlüsselter Form übermittelt. Es kann lediglich erahnt werden, welch schlimmes Geschehen Heinz als Soldat erlebte.

Die Briefe spiegeln das Leben und den Alltag im Felde authentisch wider. So bittet Heinz oft um Übersendung von Dingen des täglichen Bedarfs. Dann schreibt er wohlgemut davon, dass ihm schon nichts passieren werde, oder er berichtet betroffen über die elende Lebenssituation der russischen Bevölkerung. Und hin und wieder blitzt etwas Sarkasmus oder auch Galgenhumor auf, wenn er schreibt: Die ganze Sache hat ja auch den Vorteil, daß man jetzt keine Angst mehr zu haben braucht, ausgebombt zu werden. Einmal kommt jeder dran, wir haben es jetzt hinter uns.

Prophetisch und voller Kraft und Optimus ist dieser Satz vom 12.12.1944 an seinen Bruder:

Ja, lieber Raymund, uns steht noch viel Arbeit bevor nach dem Kriege, doch daß wir es schaffen, daran zweifele ich nicht im Ge­ringsten. Wenn wir nur alle gesund und am Leben bleiben. Dann wird es eine herrliche Zeit werden.

 

Diese Einstellung dürfte - bewusst oder unbewusst -  bei jener Generation vorherrschend gewesen sein, die trotz aller Entbehrungen und schwerster persönlicher Schicksale sich einen enormen Lebenswillen erhalten hatte.

 

Frühjahr 2019

Henning Stoffers


Quellen

Text: Auszüge aus Briefen von Heinz Becker

Fotos: Tochter Monika Reims geb. Becker - falls nicht anders angegeben

Begleitende Texte und Idee: Henning Stoffers