vor einigen Jahren erhielt ich ein Konvolut von Eintrittskarten aus den Jahren um 1910. Dazu gehörten einige Fotografien und Ansichtskarten. Diese einzigartigen Dokumente geben Aufschluss über das vielfältige Vereinsleben eines Münsteraners. Über diesen Menschen, der über Jahre seine Eintrittskarten sammelte, ließ sich leider nur wenig in Erfahrung bringen.
Das eine oder andere Billet habe ich bereits in einigen Bildgeschichten gezeigt. Nun stelle ich Ihnen den Großteil des Konvoluts vor.
Ihr Henning Stoffers
Bis vor einigen Tagen war mir das Geburtsdatum von Bernhard Oertker nicht bekannt. Aber ein freundlicher Zufall fügte wieder einen kleinen Mosaikstein über seinen Lebenslauf bei. Wie die Erkennungsmarke aus dem 1. Weltkrieg verrät, wurde er am 24.10.1886 geboren.
Wahrscheinlich war Bernhard Oertker noch unverheiratet, als er in den Jahren 1907 bis 1912 viele münstersche Feste und Veranstaltungen besuchte. Die Eintrittskarten hob er sorgfältig auf, und so sind sie durch einen glücklichen Umstand der Nachwelt erhalten geblieben.
Zu vielen Gaststätten gehörten Festsäle, die für Schützen-, Vereinsfeste und Familienfeiern genutzt werden konnten. So hatte auch der Gertrudenhof an der Warendorfer Straße einen großen Saal. In der Nazizeit war dieses Gebäude ein Ort der Unmenschlichkeit, nämlich jüdische Mitbürger wurden hier zusammengeführt, um sie weiter in die Konzentrationslager zu deportieren. Einige Jahre nach dem Kriegsende entstand an dieser Stelle ein Kino, der Gertrudenhof.
Über den Lebensweg und die Lebensdaten von Bernhard Oertker konnte ich leider nur wenig in Erfahrung bringen. Oertker wohnte in der Nähe der Rieselfelder, postalisch zu Kinderhaus gehörend. So ist es nicht verwunderlich, dass er auch an einem Schützenfest im nahen Sprakel teilnahm.
Besonders schön und aufwendig gestaltete der Schützenverein Pluggendorf seine Eintrittskarte zum hundertjährigen Vereinsjubiläum. Die Gültigkeit des kleinen Dokuments wurde mit einem zusätzlichen Stempelaufdruck und durch eine Unterschrift besonders abgesichert. Und um Missbrauch vorzubeugen, hatte die Einlasskontrolle die untere Ecke abgeschnitten. Übrigens, der Eintritt für eine Dame war frei.
Vermutlich hat Bernhard Oertker als Soldat gedient hatte und gehörte somit der Vereinigung der Reservisten ,Alte Dreizehner' an. Es kann auch angenommen werden, dass er etwa 1885 geboren wurde und in den Jahren um 1910-1915 noch nicht verheiratet war.
Münster hatte seit 1907 eine besondere Attraktion: Das Kino. Neben anderen Kinos gab es 1910 in der Salzstraße 25 ein besonders komfortables ,Lichtspielhaus', ausgestattet mit 400 Plätzen, Klimaanlage und Orchester. Dort wird sich Bernhard Oertker einen Stummfilm angesehen haben. Das Kino befand sich in nächster Nähe vom heutigen Café Grotemeyer.
1911 fand der 1. Deutsche Rundflug statt. In Etappen wurden viele Städte Deutschlands angeflogen, unter anderem auch Münster. Deutschlands Bevölkerung war begeistert.
Münster hatte in jenen Jahren auf der Loddenheide einen Flugplatz. Dort wird auch Bernhard Oertker gewesen sein, um als Zuschauer an diesem Ereignis teilzunehmen.
Heute ist für uns die Vielzahl und Vielfalt der münsterschen Vereine zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwunderlich und sehr erstaunlich. Verständlich und nachvollziehbar wird dies, wenn die damaligen nicht vorhandenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in Betracht gezogen werden. Es gab weder Radio noch Fernsehen. Das Kino war gerade in seinen Anfängen, und Sportveranstaltungen fanden für Zuschauer - wenn überhaupt - nur in einem kleinen Rahmen statt.
In den Einwohnerbüchern jener Jahre nehmen die Vereinseintragungen etliche Seiten in Anspruch. Antialkoholikervereine, kirchliche Vereinigungen, Sportvereine, Gesangsvereine (1910 waren es allein 35 Vereine), Geselligkeitsvereine, Soldatenvereine, kaufmännische Vereine, Wohltätigkeitsvereine u.a. sind in diesen Verzeichnissen aufgeführt.
Bernhard Oertker hatte von den angebotenen Festlichkeiten reichlich Gebrauch gemacht. Vielleicht fand er hierbei die Liebe seines Lebens. Denn die obige Ansichtskarte aus den 1925er Jahren weist darauf hin, dass er zwischenzeitlich Vater geworden sein könnte. Auch der Sohn hieß Bernhard.
Leider bleibt Bernhard Oertkers Lebensweg weitgehend im Dunklen. Wir haben aber seiner Sammelleidenschaft und Sorgfalt zu verdanken, dass diese einmaligen Zeitdokumente der Nachwelt erhalten geblieben sind.
Quellen und Dank
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen: Sammlung Henning Stoffers
Markus Kaiser danke ich für seine großzügige Unterstützung.