vor 30 Jahren schloss die Germania-Brauerei für immer ihre Pforten. Das ist ein Grund, über die alte Brauerei schreiben. Und so machte ich mich daran, Bildmaterial und Informationen zusammen zu tragen.
Es ist erstaunlich, wie wenig über dieses Traditionsunternehmen zu finden ist. Hilfreich war eine Werbeschrift von 1920, in der Friedrich Dieninghoff den Werdegang seines Unternehmens beschreibt.
Ihr Henning Stoffers
PS
Die Bildgeschichte hatte ich bereits vor einiger Zeit einmal veröffentlicht. Nun erscheint sie in überarbeiter Form mit vielen neuen Abbildungen. Und noch mehr Bilder finden Sie unter Germania Brauerei - Bilderbogen.
Am Spiekerhof lag die uralte Dombäckerei, auch Herrenbäckerei genannt. Seit dem Jahre 1247 - früheste urkundliche Erwähnung - wurden an dieser Stelle Brot gebacken und Bier gebraut. Mit den Abfällen der Brauerei konnten die Kühe gefüttert werden, und die Milch hatte man für die eigene Bäckerei. Damals gehörten Bäckereien und Brauereien zusammen. Während im 19. Jahrhundert die Dombäckerei florierte, ging es dagegen mit der kleinen Brauerei bergab.
1890 kommt der neue Besitzer, der Ascheberger Bäcker, Brauer und Gastwirt Friedrich Dieninghoff, nach Münster. Alle 3 Wochen stellt seine kleine Germania-Brauerei - so heißt sie nunmehr - ein Frischbiersud von 10 Hektolitern her. Dieses feine obergärige Bier war rasch sehr beliebt, so dass die Brauerei und die Wirtschaft vergrößert werden mussten.
Die Gaststätte wurde nach dem gegenüber aufgestellten Denkmal benannt, dem Kiepenkerl.
Der Ausschank steigt auf sage und schreibe 3000 Hektoliter, und die Bäckerei florierte und vergrößert sich um das Doppelte. Die Biermenge klingt unglaublich: 300.000 Liter jährlich im Ausschank, pro Tag sind das mehr als 830 Liter. Es ist anzunehmen, dass das Bier auch außer Haus verkauft wurde.
Friedrich Dieninghoff stieß an die Grenzen des Möglichen und suchte daher ein Grundstück, wohin die Bierproduktion verlegt werden konnte. Eine alte Sandgrube am Neutor wurde gekauft. Davor hatte man sich über die gute Qualität des dortigen Brunnenwassers vergewissert, denn diese war für die Güte des Biers von großer Bedeutung.
In den Jahren 1898 und 1899 entsteht die neue Germania-Brauerei an der Grevener Straße. In diesen Jahren ändert sich auch der Biergeschmack der Konsumenten: Das untergärige Bier (Exportbier) löst das obergärige (Altbier) ab.
Schon nach 8 Jahren steigt die Jahresproduktion bereits auf 20.000 Hektoliter, und das trotz der starken Konkurrenz der auswärtigen Brauereien aus Dortmund und München. Einfluss hatte gewiss das stürmische Wachstum der Stadt. Von 1890 bis 1914 verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf fast 100.000.
1914, dem Jahr des Beginns des 1. Weltkrieges, konnte die 40.000 Hektoliter-Marke erreicht werden.
Auch in den Kriegsjahren geht der Ausbau weiter. Kleinere Brauereien werden aufgekauft.
Dann erhielt die Brauerei einen Anschluss an die Militärgleise, die bereits für die an der Grevener Straße liegende Artilleriekaserne (heute Saturn) und das Korps-Bekleidungsamt (heute Feuerwache) vorhanden waren. Somit bekam man den wichtigen Zugang zum Bahnnetz. Die Gleise führten an dem Koburg-Freibad über die Grevener Straße weiter, vorbei am Landeskrankenhaus und der Wienburg und mündeten am heutigen Zentrum Nord ins Schienennetz der Bahn.
Die Brauerei war nunmehr auf 100.000 Hektoliter ausgelegt.
Ein gastronomischer Großbetrieb:
Aus fast 40 Personen bestand die Belegschaft der Gastwirtschaft. 10 Kellner, 5 Köche , 2 Küchenhilfen und eine Kaltmamsell sind auf dem Foto zu erkennen. Der Gastwirt Bernhard Zander und seine
Frau sind an dominanter Stelle platziert, daneben sein Chefkoch und sein Oberkellner.
In den 20er Jahren kommen als weiteres Standbein die Produktion und der Vertrieb von Futtermitteln hinzu.
Inzwischen ist die Germania-Brauerei die größte Brauerei im Münsterland und der weiteren Umgebung. Es werden viele Gaststätten beliefert und betrieben, zum Beispiel der Ratskeller in Münster. Nichtalkoholische Getränke werden ins Programm genommen.
Während des 2. Weltkrieges bleibt die Brauerei von Bombentreffern verschont.
In den 50er und 60er Jahren steigt die Germania-Brauerei zu einer der größten Brauereien Deutschlands mit mehr als 800 Mitarbeitern und mehr als 600.000 Hektolitern auf.
Die Brauerei ist somit einer der großen Arbeitgeber Münsters. Die Arbeitnehmer erhalten sogenannte Deputate: einige Kisten Bier steuerfrei frei Haus. Es war so reichlich bemessen, dass die monatliche Ration kaum zu schaffen war.
Auch für die Einzelhandelskette Edeka wird produziert. Die Getränke hatten die Bezeichnung 'Edeka Schloß-Export' und 'Edeka Schloß Malz'. Es ist schon bezeichnend, dass der Brauerei-Name nur ganz klein auf dem Etikett angegeben wurde.
Nach der Fusion mit der Dortmunder Union-Brauerei kommt es zu Fertigungsverlagerungen nach Dortmund. Unternehmensverluste und Personalreduzierungen leiten den Niedergang des Unternehmens
ein.
Auch die Einführung eines neuen Bieres (Pils 2000) kann den negativen Trend nicht aufhalten.
1984 werden Produktion und Abfüllung geschlossen. Viele Mitarbeiter werden entlassen. - Ein Bier mit dem bekannten Markennamen ,Germania-Edel-Pils' gab es allerdings bis in die 1990er Jahre. Das Bier wurde nicht mehr in Münster gebraut. Die altbekannte Biermarke musste letztlich für ein Fremdprodukt herhalten.
Stadtbekannt war das Traditionsgespann mit den Kaltblütern Ferdi, Falk, Peter und Paul. Es hatte was, wenn's mit gemächlichem Schritt über das Kopfsteinpflaster des Prinzipalmarktes ging und der Ratskeller beliefert wurde.
Gut kann ich mich an die beiden Bierkutscher erinnern. Der eine schmal und schmächtig, der andere mit rotwangigem Vollmondgesicht und von sehr kräftiger Statur. Mit Lederschürzen und Dienstmützen gaben sie ein imposantes Bild ab. Die Belgier aufs Feinste herausgeputzt, die hölzernen Bierfässer ordentlich auf dem Wagen drapiert.
Eine bessere Werbung für die Germania-Brauerei konnte es eigentlich nicht geben. Aber wie es so ist, der Prophet gilt im eigenen Lande nichts: Das Germania Edel-Pils wurde von etlichen Münsteranern verschmäht und despektierlich als Germania Ekel-Pils bezeichnet.
3 großartige Luftaufnahmen zeigen die Brauerei und die Umgebung aus verschiedenen Perspektiven. Die Aufnahmen wurden Ende der 50er Jahre gemacht. Das Fotomaterial (großformatige Glasnegative) ist hochauflösend, so dass auch kleinste Details gut zu erkennen sind. Einige Beispiele:
Gut sind die Gleisanlagen zu erkennen.
Aus einer anderen Perspektive. Die Grevener Straße ist noch zweispurig, wenig Verkehr.
Quellen
Luddwig Humborg: Historischer Bummel durch Münsters Altstadt-Straßen
Werbeschriften der Germania-Brauerei
Fotos soweit nicht anders angegeben:
Jochen Thiele, Monika Reims und Sammlung Henning Stoffers
Text: Henning Stoffers
Herr Eckard Müller hat einige wichtige Informationen mit einem interessanten Kartenausschnitt geliefert, die ich gern in die Bildgeschichte aufgenommen habe. Er schrieb:
... Auf dem Gelände der Brauerei gab es nicht nur eine Drehscheibe. Wenn Sie Ihre eigenen Fotos ansehen, werden Sie mindestens zwei davon finden, weshalb von denen im Plural die Rede sein sollte.
Die genaue Anzahl kenne ich nicht.
Die (später so genannte) Nordbahn wurde 1914 vom VII. Armeekorps als Verbindungsbahn vom Artillerie-Depot an der Steinfurter Straße bis zur damaligen Staatsbahn bei Nevinghoff beantragt und 1915
fertig gestellt. Das Artillerie-Depot lag in dem Dreieck aus Steinfurter Straße und Gasselstiege, also südwestlich der Kaserne - Hinweis auf den beigfügten Kartenausschnitt (1921). Kaserne und
Bekleidungsamt lagen an der Strecke, waren aber nicht deren Endpunkt. Es ging wohl nicht zuletzt um den Transport der schweren Granaten.
Herr Hans-Gerd Brüggemann machte mich auf einen Irrtum aufmerksam:
... herzlichen Dank für den informativen aber leider auch etwas wehmütig stimmenden Bericht über die Germania-Brauerei. Da kommen doch wieder etliche Erinnerungen aus den letzten Jahrzehnten hoch. Ein kleiner Korrekturvorschlag: Im Zusammenhang mit dem Bahnanschluß ist von einer Verbindung zur Infanteriekaserne auf dem heutigen Saturngelände die Rede. Meiner Erinnerung nach müßte sich auf dem Gelände aber zu Kaiserszeiten eine Artilleriekaserne dort befunden haben. Ich weiß noch, daß bis zum Abriss - wohl in den 70er Jahren - ein entsprechendes Denkmlal mit einer Kanonenkugel in Form eines Obelisken bzw. einer Stele vorhanden war. Auch der Name Kanonierplatz zeigt ja an, daß dort in der Nähe offensichtlich mit Kanonen hantiert wurde. Auch macht es ja einen Sinn eine Artilleriekaserne an ein Bahngleis anzuschließen, denn die Kanonen waren ja doch ziemlich schwer zu transportieren. Infanterie befand sich m.W. in der Dreizehnerkaserne, die ja erst kurz vor dem Weltkrieg fertig wurde. Gleichwohl: Wieder einmal herzlichen Dank für so einen Bericht. So etwas reißt einen doch immer wieder aus dem Alltag heraus.