haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wie Ihre Straße, in der Sie wohnen, vor 100 oder 200 Jahren ausgesehen haben mag? Schauen wir uns dies einmal am Beispiel der Hammer Straße an.
Herr Dr. Ulrich Barth hat mich freundlicherweise fachkundig unterstützt. Hierfür mein herzlicher Dank.
Ihr Henning Stoffers
Nachtrag:
Diese Bildgeschichte habe ich in einigen Teilen neugefasst und erweitert, und zwar insbesondere um die Entstehung der Josefskirche und die Zerstörungen von 1943. Einige Bilder aus dem Jahre 1945 wurden hinzugefügt.
Ein alter Weg führte südwärts vom Ludgeritor nach Hamm und Unna. Er war unbefestigt, so dass die Benutzung je nach Witterung für Reisende zu Fuß, zu Pferd oder auf einem Fuhrwerk ein mehr oder weniger beschwerliches Unterfangen war.
Es gab keine Kanalisation, die das Wasser ableitete, weder Winterdienst, Straßenreinigung, noch Straßenlaternen. Es passierte gar nicht so selten, dass die Fuhrwerke bis zur Radnabe im Schlamm festsaßen.
Als weitere wichtige Ausfallstraße ist die Weseler Straße mit dem am Scharfen Eck abzweigenden Kappenberger Damm bereits erkennbar.
Hie und da versperrten Schlagbäume den Weg, die sich erst nach Entrichtung des Wegezolls hoben. Alte Bezeichnungen wie ,Bakenhof' oder ,An'n Schlagbaum' erinnern heute noch an diese Zollstationen.
1827 wurde der Weg zu einer Chaussee ausgebaut, bekam den Namen ,Hammer Chaussee' und wurde 50 Jahre später in ‚Hammer Straße' umbenannt.
Um 1850 führte der Straßenverlauf durch eine kaum bebaute, ländlich geprägte Landschaft. An der Hammer Straße und rund um die ganze Stadt betrieben Münsters Ackerbürger ihre Landwirtschaft. Nahe am Ludgeritor befanden sich eine Windmühle und eine Bleiche. Haus Geist lag damals noch weit außerhalb des Stadtgebietes.
Die spätere Südstraße ist andeutungsweise als Weg zu einem Bauernhof zu erahnen.
Es gibt - damals weit außerhalb der Stadt - die Vennheide, auf der sich Ende des 19. Jahrhunderts eine Pferderennbahn befand. 1907 wurde an dieser Stelle eine große Parade zu Ehren Kaiser Wilhelms II. abgehalten.
Im 1. Weltkrieg lag hier eines der großen Kriegsgefangenenlager Münsters. Dass an dieser Stelle 1927 einmal das Preußen-Stadion stehen wird, ließ sich damals nicht erahnen. Auch die spätere dichte Besiedlung am Berg Fidel dürfte außerhalb der Vorstellungskraft der Menschen gewesen sein.
Nur 60 Jahre später (1905) sind gewaltige Änderungen zu erkennen. Die Stadt expandiert, Münster hat sich mit fast 82.000 Einwohnern vervierfacht (1847 knapp 20.000).
Dominant sticht der Güterbahnhof hervor. Die Bebauung hat sich explosionsartig entwickelt: Städtische Wohngebiete mit neuen Straßenzügen und Infrastruktur sind entstanden - die Straßenbahn der Linie 2 fährt bis zum Schützenhof und weitere Straßen sind in der Planung.
Die Trainkaserne (heute Südpark) zwischen Dahlweg und Südstraße ist gebaut, ihre letzten Gebäude bestanden noch bis 1976.
Die Maschinen- und Fahrzeugfabrik Stille siedelt sich an den Bahngleisen an. Die Fabrik wurde während des Krieges zerstört. Noch 1970 lief kurz vor der Schließung der letzte Miststreuer ,Mistral' vom Band.
Der Schützenhof - der Grundstein wurde bereits 1844 gelegt - war ein gastronomischer Großbetrieb mit großzügigen Außenanlagen. Der Saal war einer der größten Westfalens und des Rheinlandes und wurde vielfältig genutzt.
Im 1. Weltkrieg diente der Schützenhof als Lazarett. 300 Betten konnten aufgestellt werden. In den 30er und 40er Jahren fanden Großveranstaltungen der NSDAP statt.
Gruß vom Schützenhof
Man ist stolz auf den Fortschritt: Der Pferdebus wird durch die elektrische Straßenbahn ersetzt. Die Lizenz für den Personentransport war ursprünglich an einen privaten Fuhrunternehmer vergeben worden.
Die Stadt wuchs in den 1870er Jahren rund um die Hammer Straße. Die Kinder wurden zunächst in den Räumen des ,Alten Kruges' an der Weseler Straße unterrichtet, später dann in einem Schulgebäude Hammer Straße 68. Als auch dieses Gebäude aus den ,Nähten' platzte, wurde 1881 an der Ecke Hermannstraße-Burgstraße eine neue Schule für 12 Klassen gebaut.
Für die Kinder war gesorgt, nun musste für den neuen Stadtteil auch eine Kirche gebaut werden. In nur 6 Monaten wurde unter dem Architekten Hilger Hertel sen. eine einfache Kirche mit gotischer Stilrichtung erbaut. Bischof Johann Bernhard Brinkmann weihte sie am 7.7.1888 ein. Sie wurde nach dem heiligen Joseph benannt.
Es waren nur etwas mehr als 10 Jahre vergangen, als man sich mit neuen Kirchbauplänen beschäftigte. Die kleine Kirche reichte für die inzwischen 7.000 Katholiken nicht mehr aus. Regierungsbaumeister Bernhard Hertel erstellte die Pläne für eine neugotische Kirche mit doppelter Turmanlage. Die Stadt Münster genehmigte 1899 einen Bauzuschuss über 20.000 Mark.
Am 20.9.1900 war die feierliche Grundsteinlegung. Im Laufe der Bauarbeiten wurde die alte Kirche abgerissen. Am 15. November 1905 weihte Bischof Hermann Dingelstad die neue Kirche ein.
Eckhaus Bernhardstraße, gegenüber der Kronenburg
In diesem Haus befand sich die höchste Dienststelle der SS im Gau Westfalen-Nord. Laut Einwohnerbuch von 1939 wohnte hier Günther Claaßen, SS-Oberführer und Polizeipräsident.
Im 2. Weltkrieg wurde die Josefskirche stark zerstört.
Am 10. Oktober 1943 kam es zum größten Angriff auf Münster.
Die Menschen waren - soweit es ihnen möglich war - in den Antonius-Bunker geflüchtet.
Als sie den Bunker verlassen konnten, sahen sie in Richtung Hermannstraße, Hammer Straße und Ludgeriplatz ein einziges Flammenmeer. Die Türme von St. Josef brannten wie riesige Fackeln zum Himmel. Es entwickelte sich ein Flächenbrand, der sich wie eine Feuerwalze immer weiter ausbreitete. Häuser, die bisher nicht beschädigt waren, gingen in dem Feuersturm unter. Löschversuche waren vergeblich.
Die beiden Turmhelme wurden nicht wieder aufgebaut. Nur der linke Turm bekam in den 1950er Jahren ein Türmchen - im Volksmund ,Zahnstocher' - aufgesetzt. Pfarrer Höing hatte sich gegen einige Widerstände durchgesetzt.
Viele der zerstörten Häuser konnten nicht in ursprünglicher Form wiederaufgebaut werden. In der Mehrzahl entstanden Neubauten größeren Zuschnitts.
Nach dem Wiederaufbau ist die Hammer Straße eine der besonders lebendigen, attraktiven Geschäftsstraßen außerhalb des Stadtkerns. Die Straße bietet ein weitgehend einheitliches Bild einer großstädtischen Wohn- und Geschäftshausbebauung der 1950er und 1960er Jahre. Absoluter Mittelpunkt des Viertels ist die Josefskirche, die ohne die Turmhauben etwas düster wirkt.
Eine Attraktion der besonderen Art ist das jährliche Straßenfest mit einer Länge von einem Kilometer. Zigtausend Menschen - nicht nur aus Münster - besuchen diese Veranstaltung.