im Gespräch mit Antje Vogel kamen wir immer wieder auf ihren Vater CW Vogel zu sprechen, der Antjes Leben beeinflusst und geprägt hat. Als Antje mich fragte, ob ich auch über ihn schreiben könnte, habe ich spontan und gern zugesagt.
CW Vogel hat in den 50er und 60er Jahren die Theaterszene in Münster im besonderen Maße bereichert. Ihm und seinem Wirken in unserer Stadt ist diese Seite gewidmet.
Ihr Henning Stoffers
Der Großteil des hier Niedergeschriebenen fußt auf das Erzählen der Geschwister Peter, Heiner und Antje Vogel. Dafür danke ich ihr sehr herzlich. Auch die Fotografien und Skizzen stellten sie zur Verfügung.
Inhalt
- Herkunft und Werdegang
- Berufliche Anfänge
- Prominente und das abgebissene Ohrläppchen des Gauleiters
- Vorkriegsjahre - Kriegsjahre
- Nachkriegsjahre - Antjes Erinnerungen
- Ein Neuanfang in Osnabrück- Ein Neuanfang in Osnabrück
- Carl-Wilhelm Vogel - Der Mensch
- In Münster an den Städtischen Bühnen
- Städtische Bühnen - Menschen + Bilder
- Ein Nachwort
Anhänge:
1. Lebensdaten, 2. Inszenierungen in Münster, 3. Spielpläne 1945-1955,
4. Beruf Bühnenbildner
Vor mehr als 50 Jahren starb Carl Wilhelm Vogel. Ich erinnere an einen gradlinigen, hin und wieder unbequemen, kreativen, fürsorglichen und der Natur eng verbundenen Künstler.
Das obige Foto zeigt CW entspannt, in sich ruhend, mit skeptischem Blick in die Kamera blickend mit einem angedeuteten, leicht ironischen Lächeln.
Carl-Wilhelm Vogel wird 1907 in Neunkirchen im Saarland als jüngstes Kind von Otto und Ella Vogel geboren. Der Vater ist Pastor, hochangesehen in dem kleinen Ort. In der Familie herrscht strenge Disziplin. Gegessen wird erst dann, wenn der Vater den Löffel in die Hand genommen hat. Legt er das Besteck beiseite, ist die Mahlzeit für die Familie beendet. Gesprochen wird nicht bei Tisch, es sei denn, der Vater fragt ein Kind. Dies geschieht allerdings nur auf lateinisch, altgriechisch oder hebräisch.
Schwimmen lernt CW auf eine einfache, aber rüde Weise: Die Pastorenkinder sind in den Ferien in der Nähe von Hamburg. Die älteren Brüder beschließen, „retten“ zu spielen, als Jüngster muss CW herhalten und wird ins Wasser der Alster geworfen. Dann streiten sich die Brüder, wer ihn denn nun retten darf. Darüber ist CW fast ertrunken und ist seither sein Leben lang wasserscheu.
Es ist eine Zeit, in der die beiden großen Konfessionen nicht gut miteinander umgehen. Das zeigt sich auch darin, dass die Kinder an die Haustürklinke des katholischen Pfarrers Hundekot schmieren.
Das Saargebiet gehört in dieser Zeit zum französischen Wirtschaftsbereich. Pastor Otto Vogel ist ein wortgewaltiger Prediger und den Franzosen ein Dorn im Auge. Sie befürchten, Einfluss zu verlieren. Sie setzen ihn zunächst fest und jagen ihn später über die Rheinbrücke bei Worms aus dem Land. Er wohnt erst in Köln bei seiner Schwester, bis er dann eine Stelle in Essen bekommt. Auch dort gewinnt Otto Vogel großes Ansehen bei der Bevölkerung. Als er dann stirbt, begleiten ihn mehr als 10.000 Menschen bei seiner Beerdigung.
Natürlich sollen die Jungen der Familie ebenfalls Pastor werden. Dieser Wunsch des Vaters erfüllt sich nicht. Nach dem Abitur verlässt CW fluchtartig das Elternhaus. Zunächst geht er an die Folkwangschule in Essen und schreibt sich im Anschluss daran als Meisterschüler bei Otto Falckenberg an der Staatsschule für angewandte Kunst in München ein.
Was CW sein Leben lang belastet, ist ein Schuldgefühl gegenüber der Mutter. Nach seiner Geburt wird die Mutter bettlägerig. Sie steht nicht mehr auf. Zum Schluss lebt sie in einem Pflegeheim bei Hannover. Dafür, dass es der Mutter so schlecht geht, fühlt CW sich verantwortlich.
,Der arme Student', so könnte dieses Foto von seinem Münchener Studierzimmer betitelt werden. CW, eine Zigarette rauchend, sitzt an einem kleinen Tisch, auf dem sein Frühstück oder Abendessen bereitet ist. An seinen Füßen steht ein Kochtopf, weiter hinter ihm ist ein langes Ofenrohr zu sehen und an der Decke trocknen aufgehängte Strümpfe und andere Wäschestücke. - Dieses Foto ähnelt sehr den Milieu-Bildern von Heinrich Zille.
Während der Jahre an der Folkwang-Schule lernt CW seine künftige Frau kennen. Anne Marie Wiedling studiert Modedesign und Kostümbildnerei. CW bekommt eine Anstellung als Assistent des Bühnenbildners der Münchener Kammerspiele. Viele bekannte Schauspieler lernt er kennen, wie Heinz Rühmann, mit dem er in einem kleinen Sportflugzeug über die bayerischen Lande die Runden dreht.
CW wird 1933 Ausstattungsleiter in Königsberg. Weil nun die finanzielle Grundlage für eine Ehe vorhanden ist, können sie endlich heiraten.
In Königsberg lernt CW die Größen der Schauspielerei kennen. Da ist Lil Dagover, die nie lächelt - um keine Falten zu bekommen - und in Milch badet. Weiter zu nennen sind Heinrich George, Urgestein eines Schauspielers und Karl John.
Bei einer Premierenfeier geraten der Schauspieler Otto-Ernst Mitulski und der Gauleiter Koch aneinander. Dabei beißt Mitulski dem Gauleiter das Ohrläppchen ab. Welche Strafe droht? Verschwindet Mitulski im KZ oder wird er sofort umgebracht? Da erscheint Heinrich George auf der Freitreppe - er hatte sich bereits zurückgezogen - und fragt mit donnernder Stimme, warum ein solcher Lärm gemacht wird. Er erfasst die brenzlige Situation, beruhigt den Gauleiter, und -Gott sei Dank - die Sache ist erledigt.
1938 geht die kleine Familie - ein Sohn war zur Welt gekommen - nach Dortmund. CW hat die Stelle des Ausstattungsleiters an den Städtischen Bühnen erhalten. Als CW aufgefordert wird, in die Nazipartei einzutreten, verweigert er dieses. Das hat seine fristlose Entlassung zur Folge. Aber kurze Zeit später holt ihn der Intendant zurück, denn ohne Ausstattungsleiter kann kein Theater gespielt werden.
Dortmund wird bombardiert. Behelfsweise wird weiter im zerstörten Theater gespielt - bis es nicht mehr geht. Anne Marie und die inzwischen drei Kinder werden nach Herrnneuses in Bayern evakuiert.
CW muss als Soldat an die Westfront, wird in den letzten Kriegstagen auf dem Rückzug schwer verwundet und gerät in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Es ist das Schicksal, was Hunderttausende erleiden. Aber die Vogels leben - sie haben überlebt.
Herrnneuses - Tiefflieger
Es sind die letzten Kriegsmonate, die Sirene gibt Fliegeralarm. Ich muss unbedingt noch meine Puppe von der Straße retten, als ein Tiefflieger auf mich zusteuert. Die Schüsse treffen mich nicht.
Ob absichtlich daneben geschossen wird - ich weiß es nicht und werde es nie erfahren.
Herrnneuses - Vaters Rückkehr
Herbst 1945. Mein erschöpfter, abgemagerter Vater kommt mir auf der Straße entgegen. Er kehrt aus der Kriegsgefangenschaft zur Familie zurück. Ich laufe auf ihn zu und will ihn umarmen. Er weist mich barsch zurück.
Papa ist völlig verlaust und möchte die Läuse nicht auf mich übertragen. Erst nach der gründlichen Reinigung in kochendheißem Badewasser nimmt er mich in die Arme.
Herrnneuses - Lebensmittel
Fürs Überleben muss Geld verdient werden. Papa malt Portraits amerikanischer Soldaten - sie sind ganz wild darauf - und wird dafür entlohnt. Für mich und meine Brüder fallen Eispulver und Schokolade ab. Auch in den Zeiten der Not mochte ich keine Schokolade, und das ist bis heute so geblieben.
Meine Eltern basteln Kasperle-Figuren, nähen Kostüme und spielen vor den Bauernkindern. Dafür gibt es ein paar Kartoffeln, Eier und andere Lebensmittel. - Als mein Bruder und ich einmal bei einem Bauern eingeladen sind, essen wir so viel, dass wir uns auf dem Heimweg übergeben müssen. Die Mägen sind große Portionen nicht mehr gewohnt...
Herrnneuses - Ausweisung
Im September 1946 wird meine Familie mit behördlichem Bürokratismus aufgefordert, Bayern zu verlassen. Als Evakuierte müssen wir aus der amerikanischen Zone in die britische Zone zurückkehren. Es ist eine existentielle Situation. Für mich schwingt heute noch Unverständnis und Groll über diese Maßnahme mit.
Das wenige Hab und Gut wird gepackt. Mit einem Umzugswagen geht es in die Nähe von Koblenz. Mein Vater hat dort ein kurzes Engagement erhalten.
Bei Koblenz - Entenmahlzeit
Ich erinnere mich besonders an unseren großen Hunger im Winter 1946-1947. Die starke Kälte lässt den Rhein zufrieren. Eine Ente sitzt im Eis fest, sie hat es nicht rechtzeitig zum Ufer geschafft. Wir wissen, das kleine Tier verspricht uns eine gute Mahlzeit. Aber wer will die Ente töten? Keiner ist dazu bereit, aber letztlich siegt der Hunger. Mein Bruder Heiner erlöst das Tier...
1948 bekommt CW eine Anstellung am Lortzing-Theater Osnabrück. Das Gebäude ist zerstört, und so steht nur eine provisorische Bühne zur Verfügung. Auch die Wohnverhältnisse sind katastrophal. Die Familie Vogel wohnt in Räumen des Theaters.
Die Zeit in Osnabrück ist zudem beruflich für CW sehr schwierig. Sein Arbeitsvertrag wird nur von Monat zu Monat verlängert.
Das Theater hat ständig Geldnot. Zudem gibt es viel Ärger um die Intendanz und mehrfachen Eigentümerwechsel. Letztlich wird CW entlassen. Mit Gelegenheitsjobs (Freilichtbühne Tecklenburg, Staatshochbauamt, Dekoration von Schaufenstern etc.) wird die Familie über Wasser gehalten. Fast scheint CW für das Theater verloren zu sein. Hermann Wedekind und Anne Marie brauchen viel Überredungskunst, bis er den Vertrag mit dem Stadttheater Münster unterschreibt.
Antje Vogel erinnert sich an die Osnabrücker Jahre sehr gern. All die Sorgen der Erwachsenen erreichen sie nicht. Sie fühlt sich wohl, sammelt Knöpfe und Stoffreste und lebt in der Welt einer glücklichen Kindheit. - Dagegen leiden die Eltern unter den desolaten Verhältnissen.
In Münster ist das Theater provisorisch im notdürftig hergerichteten Lortzingsaal an der Neubrückenstraße untergebracht. Die Aula des Annette-Gymnasiums wird zusätzlich für das ,Kleine Haus' und die ,Niederdeutsche Bühne' genutzt.
Das große Ereignis für Münster und die Theaterszene ist im Jahre 1956 die Fertigstellung des neuen Theaters.
Das Gebäude ist einzigartig in seiner Architektur jener Jahre. Aber bei so viel Licht gibt es auch Schatten, was CW leider erfahren muss. Bei der Planung ist nicht der übliche, notwendige Platz neben und hinter der Bühne vorgesehen worden, so dass CW Probleme hat, mit der Enge fertig zu werden. Kreativität und Improvisationsgabe sind erforderlich, um mit diesem Manko fertig zu werden.
Für CW beginnt die Zeit großen Schaffens. Ein umfangreiches Repertoire mit teils experiementellen Stücken gelangt zur Aufführung. CW prägt 16 Jahre die münstersche Theaterszene.
1961 stirbt seine Frau Anne Marie. CW bleibt nicht lange allein und heiratet Vera Lamprecht - Dramaturgin aus Dortmund. Als dann der Intendant Alfred Erich Sistig 1968 von Münster nach Wiesbaden geht und CW mitnehmen möchte, lehnt dieser ab. Er will keine berufliche Veränderung mehr.
CW lässt sich im November 1968 vorzeitig pensionieren. Nun hat er Zeit fürs Malen. Aber der Ruhestand ist nur kurze Zeit ungetrübt, denn ein Jahr später erleidet CW seinen schweren Schlaganfall, von dem er sich nicht erholt. Am Ende ist er gelähmt und nicht mehr der Sprache mächtig. Carl-Wilhelm Vogel stirbt am 28.2.1977.
Antje Vogel beschreibt ihren Vater als liebevollen und fürsorglichen, aber auch als dominanten Menschen. Bei seinen Mitarbeitern ist er beliebt und der anerkannte Chef. Die Menschen sind für CW
wichtig, egal ob es der kleine Bühnenarbeiter oder der Intendant ist. Hierarchisches Denken ist ihm fremd. Aber er kennt kein Pardon bei
Unpünktlichkeit.
Seine Verbundenheit zur Natur ist besonders ausgeprägt. CW erklärt seinen Kindern die Pflanzen, Pilze, Vögel und Käfer. Eben alles, was die Natur hervorbringt.
Carl Wilhelm Vogel war lange Jahre Ausstattungsleiter an den verschiedenen Bühnen. Er entwarf nicht einfach nur Kulissen, sondern schuf Räume voller Poesie und dämonischer Visionen.
Ihm wurde einmal gesagt: ,Sie sind als Bühnenbildner der Mann im Schnittpunkt. Der, den die künstlerischen Wünsche in der Beschränkung des technischen Apparates am meisten, am direktesten treffen.' Besser kann es nicht gesagt werden.
Antje Vogel sagt dankbar und liebevoll über ihren Vater: ,Er war ein Original, einzigartig und unverwechselbar!'
CW war ein Mensch, der in einer Zeit größter Verwerfungen, existenzieller Nöte und Herausforderungen seinen ganz persönlichen Kurs gehalten hat - gegen den Strom. Sein künstlerisches Wirken offenbart sich in voller Poesie und Phantasie, aber auch in abgründigen Visionen, wie einige Bilder es zeigen.
Ich weiß, dass der Mensch CW hier nicht in all seinen Konturen und Schattierungen wiedergeben werden kann; soll und kann es auch nicht. Wichtig ist mir aber, zur Erinnerung an Carl-Wilhelm Vogel beizutragen.
Text und Idee: Henning Stoffers
Fotos und Illustrationen: Peter Vogel, Antje Vogel und Heinz Koschinski
Fruchtbare Zusammenarbeit mit Freund Hans Tügel (u.a. Grabbes NAPOLEON ODER DIE HUNDERTTAGE und Shakespeares SOMMERNACHTSTRAUM)
Zusammenstellung Vera Vogel-Lamprecht
Zusammenstellung Vera Vogel-Lamprecht
Neben Regisseur, Dramaturg, Schauspieler und Musiker ist der Bühnenbildner mit seinen vielfältigen Aufgaben unabdingbar für jede Theateraufführung.
Zunächst analysiert der Bühnenbildner die Anforderungen für das aufzuführende Stück. Kreativität ist Voraussetzung. Wie soll das Bühnenbild gestaltet sein, wie wird es dem Stück gerecht? Er fertigt Skizzen an, ein maßstabsgetreues Modell wird gebaut, man simuliert die räumliche Wirkung der verschiedenen Szenen anhand des Modells, diskutiert und verabschiedet den Entwurf. Anschließend bauen Bühnenarbeiter (Schreiner, Maler, Beleuchter etc.) das Kulissenbild unter Anleitung des Bühnenbildners.
Zu den Aufgaben des Bühnenbildners gehört die Einbindung in das weitere visuelle Konzept - also Maske und Kostüm.