Liebe Leserin, lieber Leser,

Cavete-Hund - Foto Henning Stoffers
Cavete-Hund - Foto Henning Stoffers

ein Student veröffentlicht 1958 einen zeitkritischen Aufsatz über seine Universitätsstadt und prangerte Münsters Spießertum, Glockengeläut, Witwentum etc. an.

 

Der damit ausgelöste Skandal führte 1959 zur Gründung der Akademischen Bieranstalt, der Cavete. Es waren damals die ersten Anfänge, starre Strukturen aufzubrechen. Dies ist erstaunlich vor dem Hintergrund, dass es noch 10 Jahre bis zu der Bewegung der 68er Jahre dauern sollte.

 

Im Jahre 2019 feiert die Cavete ihr 60jähriges Bestehen. Mögen noch viele weitere Jahrzehnte folgen.

 

Wegen der Fülle des Materials kann leider nur ein kleiner Teil an dieser Stelle veröffentlicht werden.

 

Ihr Henning Stoffers


Der Skandal und die Geburt der Cavete

Cavete - Hütet Euch, seid wachsam

Student löst Skandal aus

Foto Sammlung Henning Stoffers
Foto Sammlung Henning Stoffers

Mitte 1958, der Student der Rechtswissenschaften Wilfried Weustenfeld lässt seinen Unmut über Münster freien Lauf. Im Semesterspiegel veröffentlicht er seine Philippika mit dem Titel ,Cavete Münster' (Hütet Euch vor Münster). Er beklagte sich über das Spießerleben, das immerwährende Glockengeläut, über Weihrauch und über behäbiges Pensionärswitwentum. Münster sei ein Nirwana auf Erden. Vor allen Dingen fehle aber eine Studentenkneipe. Seine Warnung: Hütet Euch, studiert nicht in Münster.

Sonntags auf dem Domplatz
Sonntags auf dem Domplatz

Weustenfeld hatte in ein Wespennest gestochen und die nachfolgenden Reaktionen zeigten, wie sehr er den Nerv getroffen hatte.

 

Für die bundesweite Presse war es ein gefundenes Fressen. Münster war mit Negativschlagzeilen in aller Munde. So war zu lesen: ,Student bricht Westfälischen Frieden'.

 

Der bedauernswerte, an einer Exmatrikulation vorbeischlitternde Student Weustenfeld hatte es fortan nicht leicht in Münster und war vielen Anfeindungen ausgesetzt.

Sonntags am Aasee 1950er Jahre
Sonntags am Aasee 1950er Jahre

Diese gipfelten in einem Brief von Günther Klein, dem damaligen Geschäftsführer des Verkehrsvereins, mit der Aussage, dass man in früheren Jahren einem solchen Studenten einfach ,übers Maul geschlagen' hätte. Und weiter: ,Also, sie möchten aus unserem Münster ein Freudenhaus machen.'...  ,Aber Münster wird sich auch dieses beißenden Kloßes ..., der auf Staatskosten faulenzt..., entledigen, indem es kräftig ausspuckt.' - Zum Sprachduktus: Es waren 13 Jahre nach der Nazi-Herrschaft vergangen...

Mosaik des Cavete-Hundes am Eingang - Foto Henning Stoffers
Mosaik des Cavete-Hundes am Eingang - Foto Henning Stoffers

Aber es gab auch zustimmende Worte. Der Rektor der Universität Professor Klemm bewies seine Unabhängigkeit und gab zu verstehen, dass in dem Artikel ein Körnchen Wahrheit stecke, der Ton sei allerdings nicht sehr glücklich gewählt.

 

Der Skandal war die Initialzündung für die Gründung dieser Studentenkneipe und zugleich auch Namensgeber der Cavete.

Wenn Sie den Aufsatz von Wilfried Weustenfeld in ganzer Länge lesen möchten, dann klicken Sie bitte auf das nebenstehende Icon.---->

Die Gründung der Cavete

Brauereidirektor Arnold Holtmann mit Tochter
Brauereidirektor Arnold Holtmann mit Tochter

Die zwei jungen Studenten Lothar Weldert und Werner Otto Jedamzik - beide gastronomisch völlig unbedarft - ließen sich von Rektor Klemm ein Empfehlungsschreiben ausstellen. Damit ausgestattet sprachen sie 1959 den Direktor der großen Germania-Brauerei, ob ihnen eine Kneipe zur Pacht überlassen werden könnte.

 

Sie wollten, motiviert von dem zurückliegenden Skandal, einmal etwas ,Verrücktes' machen, nämlich eine Studentenkneipe gründen. Das einzige Kapital, das sie besaßen, war ihre jugendliche Begeisterung, Unbekümmertheit und die väterlich wohlwollende Unterstützung durch Professor Klemm.

Ausschnitt der ersten Getränkekarte
Ausschnitt der ersten Getränkekarte

Sie bekamen vom Brauereichef Arnold Holtmann die Zusage für eine alte, heruntergekommene Kutscherkneipe im Kuhviertel, und zwar in der Kreuzstraße 37-38. An der Außenwand des Gebäudes gab es sogar noch Ringe für das Anbinden von Pferden.

Einwohnerbuch 1939
Einwohnerbuch 1939

Ein Blick in die Einwohnerbücher verrät, dass in der Kreuzstraße seit Anfang des 20. Jahrhunderts nur drei Gaststätten ansässig waren, unter anderem Pinkus Müller.

Einwohnerbuch 1950
Einwohnerbuch 1950

Skizze von Emil Stratmann
Skizze von Emil Stratmann

Die geplante Kneipengründung löste in Münster große Begeisterung aus. Von allen Seiten wurde den unerfahrenen Gastwirten Hilfe angeboten. Man spendete Möbel, Kitsch und Krempel. So fanden zum Beispiel eine alte Gaslaterne und Theo Breiders altes Telefon eine neue Heimstatt.

 

Studenten und Häftlinge des Gefängnisses arbeiteten auf der Baustelle. Mittags wurde von Damen der Gesellschaft Essen ausgeteilt. Für viele Künstler war die Mitarbeit attraktiv, zumal als Lohn eine warme Mahlzeit winkte. Sogar der Universitätsrektor Professor Klemm half vielfältig mit, indem er unter anderem die Dichtigkeit des Daches überprüfte.

 

Die Cavete in den frühen Jahren - schräg gegenüber von Pinkus Müller - Foto Sammlung Henning Stoffers
Die Cavete in den frühen Jahren - schräg gegenüber von Pinkus Müller - Foto Sammlung Henning Stoffers

Die ersten Jahre

Der Wirt Lothar Weldert vor seiner Cavete 1979 - Federzeichnung Gerd Meyerratken
Der Wirt Lothar Weldert vor seiner Cavete 1979 - Federzeichnung Gerd Meyerratken

Am 28.4.1959 wurde die Cavete unter dem Motto: ,Westfälischer Friede wieder hergestellt.' eröffnet In den Ausschank kamen die Biere der Germania-Brauerei.

 

Dass nun Münster eine Studentenkneipe hatte, war etwas Besonderes. Aber das abends Musikbands auftraten und vor allen Dingen Jazz spielten, das hatte es in dieser Stadt noch nicht gegeben.

 

Die ausgehenden 1950er Jahren waren auch die Zeit der noch geltenden konservativen Kleiderordnung: Anzug, Krawatte und Hut waren - auch für Studenten - selbstverständlich. Dies galt aber nicht für die Gäste der Cavete. Legere Kleidung und das Duzen gehörten hier zur Normalität. Es war mehr oder weniger ein Bruch mit den alten Traditionen.

Foto Dieter Rensing
Foto Dieter Rensing

Die erste Getränkekarte

Foto Dieter Rensing
Foto Dieter Rensing


Lothar Weldert
Lothar Weldert

Die einzigartige Getränkekarte wurde von Diemut Moncorps, Hilke Duis und Paul Mersmann gestaltet. - Man beachte: Ein Pils kostete 35 Pfennig, ein Schnaps 30 Pfennig zuzüglich 10% Fracht und Anfuhr.

 

Auch die Preise für kleine Speisen waren moderat: Ein Töttchen 1 Mark oder 40 Pfennig für eine Frikadelle.

 

Helmut Müller, der Chefreporter der Westfälischen Nachrichten, schrieb: ,Wenne will's, dann bisse für drei Mark dick.'.

Die Kunstszene der Cavete

Der Maler Paul Mersmann - Skizze von Diemut Moncorps
Der Maler Paul Mersmann - Skizze von Diemut Moncorps

Die Cavete wurde Bestandteil münsterscher Stadtkultur. Ein intellektuelles Zentrum der Kommunikation und Kreativität war entstanden. Kreative aller Couleur, Architekten, Maler, Musiker und Studierende entwickelten hier Visionen über Gott und die Welt. Politische Themen waren ebenfalls an der Tagesordnung und wurden heiß diskutiert, und so war es nicht verwunderlich, dass der Verfassungsschutz das Treiben beobachtete. Denn zu den Gästen zählte auch Ulrike Meinhoff. Sie heuerte junge Leute für die Verteilung von Flugblättern an.

 

Die Cavete war auch Ort der neugegründeten Künstlervereinigung ,Gruppe 60' mit Pan Walther. Es gab Ausstellungen und Lesungen.

Der engere Kreis um Lothar Weldert - mit Joachim von Appen und Hilke Duis - traf sich in der Cavete, im Schucan oder im Kotten Kasewinkel der Familie Weldert mit Künstlern, Architekten und Philosophen.

Plan für den Umbau des Zwingers
Plan für den Umbau des Zwingers
Von Links: Der Macher Jürgen Röttger, der Denker Lothar Weldert, der Künstler Joachim von Appen bei der Ernte fürs Sonnenblumenfest
Von Links: Der Macher Jürgen Röttger, der Denker Lothar Weldert, der Künstler Joachim von Appen bei der Ernte fürs Sonnenblumenfest

Jürgen Röttger hatte als Geschäftsführer, der meistens im fortgeschrittenen Stadium, wenn es um die Umsetzung der oft wahnwitzigen Ideen ging hinzugezogen wurde, die schwierige Aufgabe, die Ideenflut auf das Machbare zu reduzieren.

Onkel Hans am Flügel
Onkel Hans am Flügel

So sollte zum Beispiel der münstersche Zwinger in einen Gaststättenbetrieb umgewandelt werden. Hierzu ist anzumerken, dass es in jenen Jahren keine Tabus gab, sich jeglicher Themen anzunehmen.

 

Neben vielen anderen Künstlern sind Joachim von Appen und Hilke Duis hervorzuheben, die die künstlerische Ausgestaltung der Cavete im besonderen Maße geprägt haben.

 

Nicht zu vergessen ist Onkel Hans. Ein Jahrzehnt spielte er jeden Tag klassische Musik auf dem Flügel.

Brainstorming im Kotten Kasewinkel - rechts Karin und Lothar Weldert, links vorn der Künstler Ernst Paulfeierborn
Brainstorming im Kotten Kasewinkel - rechts Karin und Lothar Weldert, links vorn der Künstler Ernst Paulfeierborn

Ereignisse

Die Cavete kann auf ereignisreiche Jahrzehnte mit vielen Festen, Aktionen und Veranstaltungen zurückblicken. So gab es das ,Sonnenblumenfest'. Die Kreuzstraße war mit einer Lastwagenladung Sonnenblumen geschmückt.

 

Für diesen Anlass wurde extra ein ganzes Feld mit Sonnenblumen von dem Nachbarn Eggert in Kasewinkel ausgesäht und gemeinsam mit Nachbarn, Kellnern und Familie geerntet.

Eine wahre Sensation war der Besuch von Benny Goodman im Jahre 1959, der nach einem Auftritt in der Halle Münsterland in die Cavete ,abgeschleppt' wurde. Er griff zur Klarinette und musizierte mit der Cavete-Band.

 

Und das gab es auch: In den frühen 1960er Jahren beteiligte sich die Cavete mit einem eigenen Wagen am Karnevalsumzug.

Die Cavete-Hunde gibt es einzeln und paarweise. Erdacht wurden sie von Hilke Huis, die zum 25jährigen Bestehen der Cavete die obige Postkarte herausbrachte und einen erklärenden Text mitlieferte. Ludwig Erhard war der mit dem Pinscher-Spruch zitierte Bundeskanzler.


Die Cavete-Hunde gibt es einzeln und paarweise….. in vielfältigen Varianten. Sie sind das gemeinsame Markenzeichen für die beiden ,Akademischen Bieranstalten', uns zwar für die Cavete und auch für das Blaue Haus.

 

Das Logo und die Aushängeschilder sind weiterhin Eigentum der Familie Weldert

Eine interessante Meldung wurde vom WDR verbreitet: Der NRW-Innenminister Willi Weyer besuchte die Cavete und diskutierte mit anderen Gästen die politische Lage. Als die Kneipe zur Polizeistunde um 1 Uhr geschlossen werden sollte, protestierte Weyer und verlängerte die Polizeistunde kraft seines Amtes.

25jähriges Jubiläum 1984. Links der Entwurf von Joachim von Appen, rechts die Cavete im Festschmuck


Es steht ein Pferd in der Cavete - Foto Alfred Kaup
Es steht ein Pferd in der Cavete - Foto Alfred Kaup
Es steht ein Pferd in der Cavete - Foto Alfred Kaup
Es steht ein Pferd in der Cavete - Foto Alfred Kaup

Foto Alfred Kaup
Foto Alfred Kaup

Festumzug der Germania Brauerei 1973. Es wurde auch die Cavete besucht.

Der Geschäftsgang

Rechts im Spiegel Lothar Weldert
Rechts im Spiegel Lothar Weldert

Wie eingangs beschrieben, waren die Gründer in Geschäftsdingen absolut unerfahren. Die Cavete war zwar jeden Tag sehr gut besucht, aber zu Reichtümern hatte man es trotzdem nicht gebracht.

 

Die Buchführung war eine etwas schmuddelige ,Zettelwirtschaft', und die Lieferanten kamen morgens zum ,Abkassieren'. Sie klopften an die Scheibe und forderten Bares ein.

 

Dieser Zustand war nicht mehr haltbar, und so wurde 1970 Jürgen Röttger als Geschäftsführer eingestellt, der für einen ordnungsgemäßen Betrieb sorgte.

Die Zäsur

1988 starb Lothar Weldert. Die eindrucks-, gefühlvollen Gedenkworte von Joachim von Appen bringen das Besondere des Verstorbenen nahe.

 

Bis zum Besitzerwechsel 1990 wurde die Cavete von Karin Weldert und Jürgen Röttger geleitet. Die lesenswerte Abschiedsrede von Karin Weldert finden Sie hier.

 

Die Ära der Gründer ist Vergangenheit, Generationen von Gästen hatten in der Cavete eine einzigartige Geselligkeit genossen. Die Cavete besteht weiter, vielleicht etwas verändert im Wandel der Zeit.

 

Und so soll es weiter heißen:

Cavete - Hütet Euch, seid wachsam.

Karin Weldert und Jürgen Röttger
Karin Weldert und Jürgen Röttger
Cavete-Hunde von Hilke Huis
Cavete-Hunde von Hilke Huis

Dank

Karin und Katharina Weldert bei meinem Interview - Foto Henning Stoffers
Karin und Katharina Weldert bei meinem Interview - Foto Henning Stoffers

Für die vielen Informationen und das Fotomaterial danke ich Karin und Katharina Weldert. Ohne ihre Hilfe wäre dieser Aufsatz nicht zustande gekommen. Ich danke Elin Walther für die Herstellung des Kontaktes.


Quellen

Informationen:

Karin und Katharina Weldert

Die Zeit 33/1958: Elegie eines Nicht-Akklimatisierten - Heinz Stuckmann

Idee und Text:

Henning Stoffers

Fotos sofern nicht anders angegeben:

Familie Weldert