immer, wenn ich Münster-Fotos von Carl Pohlschmidt aus den Jahren 1930 bis 1960 sehe, bin ich von der Ausgewogenheit und Aussagekraft der Bilder beeindruckt.
Der Nachwelt hat er hunderte Aufnahmen der alten, unzerstörten Stadt Münster hinterlassen. Die bisher unbekannten Fotografien aus den Jahren 1943 bis 1946 zeigen Münster in der bittersten Zeit. Einige davon sehen Sie in dieser Bildgeschichte.
Über den Menschen Carl Pohlschmidt gab es bisher keine näheren Informationen. Wer war er, wann lebte er, wie sah er aus? Das Ergebnis der Nachforschungen finden Sie hier.
Ihr Henning Stoffers
Carl Pohlschmidts Name dürfte allen, die sich mit Münsters Geschichte der letzten 100 Jahre beschäftigen, bekannt sein. Denn seine ausgezeichneten Bilder zeigen unsere Stadt ab den 1930er bis in die 1960er Jahre auf eine besonders eindrucksvolle Weise. Der Schriftzug seines Namens, der auf fast jeder Fotografie steht, kann als Qualitätssiegel gesehen werden.
Carl Pohlschmidt hat ein beeindruckendes Lebenswerk hinterlassen. Aber über sein Leben ist nichts bekannt. Auch die Suche bei Google & Co bleibt ergebnislos. Weder ein Bild, das ihn zeigt, noch irgendwelche Lebensdaten sind auffindbar.
Bisher unbekannte Bilder liegen der Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB) vor. In einem Gespräch gab Frau Birgit Heitfeld-Rydzik (ULB)
den Anstoß, mit den Nachforschungen zu beginnen und mithin auch zu dieser Bildgeschichte.
Mehr als 55 Jahre nach seinem Tod ist dies ein Versuch, die wichtigsten Stationen seines Lebensweges nachzuzeichnen. Vieles bleibt im Dunklen, aber vielleicht kommt das Eine oder Andere noch ans Tageslicht.
Bekannt ist mir der Postkartenverlag Muddemann als Rechtsnachfolger des Verlages von Carl Pohlschmidt. Die Telefonnummer ist rasch herausgesucht, und so lerne ich in diesen Tagen Norbert Muddemann aus Telgte kennen, der mir freundlich und ausführlich aus dem Leben von Carl Pohlschmidt erzählt. Auch drei Fotografien seines früheren Lehrherren stellt er mir zur Verfügung.
Carl Pohlschmidt war Ende der 50er Jahre Muddemanns Lehrherr, der ihm alles über das Fotografieren beibrachte. Als Pohlschmidt früh und unerwartet starb, übernahm Muddemann dessen Firma.
1930er Jahre. Alltagsszene unter den Arkaden, links ist das Rathaus zu erkennen. Ein alter Mann - seine Mundpartie ist eingefallen - verkauft Blumensträußchen an zwei ältere Damen. Neben ihm ein geflochtener Korb mit weiterer Ware. Es wird in der Handtasche nach dem Portemonnaie gekramt. Eine andere Frau schaut interessiert zu. Oben rechts ist die Werbung des Sarotti-Mohren zu sehen. - Eine meisterliche Fotografie, ungekünstelt und mit stimmungsvoller Aussagekraft.
Carl (Karl Ferdinand Heinrich) wird 1895 als Sohn des Heinrich Pohlschmidt, wohnhaft Prinzipalmarkt 28, geboren. Der Vater ist Geschäftsdiener bei der Buch- und Kunsthandlung Coppenrath.
Er hat eine jüngere Schwester - Bernhardine. Carl erzählt, wie die kleine Bernhardine am Weglaufen gehindert wurde. Sie musste sich auf dem Prinzipalmarkt an den Straßenrand setzen. Auf ihr Kleid legte er schwere Steine, die ein Aufstehen und somit auch eine Fortbewegung unmöglich machten.
Carl besucht die Volksschule und beginnt als 14jähriger eine Drogistenlehre bei Wittkamp auf dem Prinzipalmarkt. Zur Ausbildung gehört die Fotografie mit Entwickeln, Vergrößern und den nötigen Laborarbeiten. Nach der Lehrzeit arbeitet er dort noch einige Jahre.
Über seine Militärzeit während des 1. Weltkrieges liegen keine Informationen vor.
Anfang der 1920er Jahre wechselt Carl zur UFA nach Berlin und beginnt mit der fotografischen Weiterbildung. Er lernt den Umgang mit einer 16 mm Filmkamera. Dann schickt ihn die UFA für 6 Monate
nach Brasilien. Carl fotografiert und filmt im Urwald die Ureinwohner. Allein zehn Träger stehen ihm für seine Fotoausrüstung und sein Hab und Gut zur Verfügung. Die Bilder werden in vielen
Zeitungen veröffentlicht.
Der Norddeutsche Lloyd - ein großes Schifffahrtsunternehmen - wird auf ihn aufmerksam. Carl wird eingestellt und ist für die Titelseite der monatlichen Hauszeitschrift, welches für die Passagiere herausgegeben wird, zuständig. Diese Tätigkeit ist mit Reisen in viele Länder der Erde verbunden. Sie endet 1939.
Von der Firma Leitz erhält Carl unentgeltlich das neueste Modell der Leica zum Testen. Er ist nunmehr ein anerkannter Spezialist in Sachen Fotografie.
Parallel zu seinen auswärtigen Aufgaben hat Carl Pohlschmidt seit Ende der 1920er Jahre ein geschäftliches Standbein in seiner Heimatstadt Münster.
Die Firmierungen ändern sich im Laufe der Jahre: Industrie- und Produktionsfotos, Foto-Reklame, Ansichtskartenverlag und andere mehr. In den Einwohnerbüchern finden sich in diesen Jahrzehnten die folgenden Firmensitze: Katthagen, Frauenstraße, Metzer Straße und Sonnenstraße.
Die Ansichtskartenproduktion macht nur einen kleinen Teil seiner Tätigkeit aus. Trotzdem überrascht die Menge der Münster-Aufnahmen. In den Kriegsjahren fotografiert Carl die Zerstörungen des Bombenkrieges. Eine damals notwendige Genehmigung dürfte er somit gehabt haben.
Angestellte gibt es in seinen Firmen nicht. Lediglich seine Schwester Bernhardine ist für die Buchhaltung zuständig. Erst 1957 wird ein Lehrling eingestellt: Norbert Muddemann.
Alltag in der zerstörten Sonnenstraße
Eine ältere Frau mit Hut liest zwischen den Trümmern, auf einem Stuhl sitzend, Zeitung. Eine junge Frau steht in ihrem geretteten Mobiliar. Zu sehen sind ein Küchenherd, eine Standuhr , Matratzen und Möbelstücke. Der Bollerwagen dient als wichtiges Utensil für die Bergung von Hab und Gut. Im Hintergrund ist in dichten Rauchschwaden der Turm der Lambertikirche zu sehen.
In der Vergrößerung sind bei den Aufräumungsarbeiten vier Männer zu erkennen. Sie tragen Schirmmützen, die denen britischer Soldaten ähneln. Wie sich herausstellte, sind es deutsche Polizisten,
die offensichtlich aus britischen Armeebeständen eine unformähnliche Ausstattung erhalten hatten.
Norbert Muddemann schildert Carl als einen fröhlichen, geselligen und gebildeten Menschen. Er ist belesen und dem Leben zugewandt. Mit Begeisterung erzählte er seinem Lehrling von seinen weiten Reisen und Erlebnissen.
So berichtete Carl von einem Unglück auf den Kanarischen Inseln. Der Hergang:
Vom Balkon seines Hotels blickt er auf die gegenüberliegende Kirche, die eingerüstet ist. Starker Wind bringt das Gerüst mit den darauf befindlichen Arbeitern zum Einsturz. Er hält die Kamera drauf und macht aufsehenerregende Bilder, die von den Zeitungen übernommen werden.
Wie auf den Fotos zu sehen ist, trägt Carl gern ,Fliege'. Vielleicht ist dies ein Hinweis darauf, dass er seinen Beruf als künstlerische und kreative Tätigkeit sieht, und die er auch so äußerlich zum Ausdruck bringen möchte.
Vom Kriegseinsatz ist Carl Pohlschmidt aufgrund eines übernommenen Lehramtes - vielleicht an der Werkkunstschule? - verschont geblieben. Wo Carl gelehrt hat, ist nicht geklärt.
Carl war homosexuell, was in Zeiten der Nazi-Herrschaft und der prüden Nachkriegsjahre für ihn nicht einfach gewesen sein wird. Wie er sich vor Verfolgung und Strafe schützte, ist nicht bekannt. - Mit seiner Schwester Bernhardine war Carl aufs engste verbunden. Auch sie blieb unverheiratet.
1960 stirbt Carl Pohlschmidt unerwartet an den Folgen einer Leberzirrhose, die er sich durch eine Infektion in den tropischen Ländern zugezogen hat. Bernhardine übergibt das Geschäft einige Jahre später an Norbert Muddemann.
Carl Pohlschmidt hat mit seinen Fotografien ein großartiges Bild der alten Stadt Münster hinterlassen.
Diesr Beitrag ist der Erinnerung an Carl Pohlschmidt gewidmet.
Dank
Für die freundliche Unterstützung und die Bereitstellung von Fotomaterial danke ich Frau Birgit Heitfeld-Rydzik von der Universitäts- und Landesbibliothek. Gern verweise ich auf die weiterführende Seite der ULB.
Mein besonderer Dank geht an Herrn Norbert Muddemann. Ohne ihn wäre diese Bildgeschichte nicht möglich gewesen. - Norbert Muddemann ist am 13.5.2017 vestorben.
Quellen
Norbert Muddemann: Portraitfotos Carl Pohlschmidt
ULB: Fotos mit Kriegszerstörungen
Henning Stoffers: Text und Ansichtskartenfotografien