Münster, Ende 2020
alte Erinnerungen werden wach, wenn ich an Busso Mehring denke. Wir waren - zwar nur für wenige Jahre - gut miteinander bekannt. Mein Wunsch, über ihn und sein Wirken zu schreiben, besteht seit langer Zeit. Immer wieder wurde ich durch seine bei mir unübersehbar abgelegte Todesanzeige daran erinnert. Und nun - ich freue mich - ist es endlich soweit.
Wegen des großen Umfanges veröffentliche ich die Biografie in gekürzter Form. Eine vollständige Fassung ist mit der Herausgabe eines Buches geplant.
Ihr Henning Stoffers
Rainer-Christian Mehring, so heißt das Kind, das 1936 zur Welt kommt. Der Vater Christian ist Stadtbeamter und nach dem Krieg zuständig für den Lastenausgleich. Zu seiner Mutter Heti hat Rainer-Christian eine besonders tiefe Bindung. Er besucht das Ratsgymnasium, und schon in diesen Jahren macht sich seine schauspielerische Begabung bemerkbar.
Er kann den damaligen Oberbürgermeister Busso Peus meisterlich imitieren, so dass seine Mitschüler ihn voller Bewunderung fortan ,Busso' nennen
Busso Mehring und Ulrich Schamoni (Regie und Drehbuch: ,Alle Jahre wieder') gehören der Laienspielschar der Städterpenne an, wo sie - nach Bussos Worten - erfolgreich wirken.
Als einziger Schüler darf er sogar nach dem Abitur seinen Lehrer Wilhelm Loy duzen. Dies mag als Beleg für sein gewinnendes, sympathisches Wesen gelten, Menschen für sich zu vereinnahmen. Diese positive Eigenschaft zieht sich durch sein ganzes Leben.
Busso Mehring beginnt nach dem Abitur das Studium der Rechtswissenschaften und wird Bundesbruder der Saxonia-Studentenverbindung.
Jochem Vorstheim, damaliger Philistersenior, schreibt in seinem Nachruf über Busso Mehring:
,Busso gehörte zu jenen Bundesbrüdern, die jede Saxonengeneration kannte. Am 11. Dezember 1958 wurde er recipiert, und schon war das Saxonenhaus seine Bühne und die Bundesbrüder sein Publikum, das er zu begeistern wusste. ...Immer war Freude, wo immer er auftrat; und so plötzlich, wie er nach mancher Vorstellung spät abends auftauchte, so entschwand er auch aus diesem Leben.'
Busso hat sein Talent entdeckt, mit freier Rede Menschen in den Bann ziehen zu können. Er tritt fortan als begnadeter Grabredner auf. Für ihn ist dies nicht nur ein angenehmes Tätigkeitsfeld, sondern zugleich eine wichtige Erwerbsquelle.
Seine Tätigkeit bleibt der katholischen Obrigkeit natürlich nicht verborgen. Bahnen sich vielleicht unerwünschte Sitten an, wird das kirchliche Ritual unterminiert oder handelt es sich generell um Despektierliches?
Bischof Dr. Michael Keller ist jedenfalls nach dem Gespräch mit Busso beruhigt, erteilt seinen Segen, und der letzte Wunsch Sterbender ,Ich will am Grab den Busso' kann auch künftig erfüllt werden.
Und auch das gehört zu seinem Repertoire: Das Imitieren der Stimmen berühmter Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher oder Johannes Paul II.
Busso Mehrings besteht das 2. Staatsexamen nicht und kann somit nicht Rechtsanwalt oder Richter werden. Zu sehr ist das Mimische seine wahre Begabung, der wirkliche Mittelpunkt seines Lebens. Ausgerechnet das Friedhofsrecht verpatzt dem Grabredner die Prüfung - Ironie des Schicksals.
Alles beginnt mit dem Film ,Alle Jahre wieder'. Ulrich Schamoni bietet ihm - man kannte sich vom Ratsgymnasium her - eine kleinere Rolle an. Busso ist gerade Referendar geworden und traut sich eine Filmrolle eigentlich nicht zu. Zögerlich nimmt Busso an. 50 Mark werden für die kleine Rolle als Museumsführer mit Sabine Sinjen gezahlt. Dann holt ihn Intendant Hans-Dieter Schwarze - er ist der Hauptdarsteller Hannes Lücke im Film ,Alle Jahre wieder'- ans Landestheater Castrop-Rauxel. Dort bekommt Busso ein halbes Jahr lang Schauspielunterricht. Am Landestheater bleibt er fünf Jahre. Über mehrere Stationen geht es dann für elf Jahre an das Stadttheater Münster.
Ein kleiner Ausschnitt aus dem Film ,Alle Jahre wieder' zeigt Busso Mehring als Museumsführer zusammen mit Sabine Sinjen. |
Der Tod der Eltern - sie sterben im gleichen Jahr - ist für ihn ein furchtbares Ereignis und führt zu einer ausgeprägten Lebenskrise. Busso Mehring verliert seinen Bezug zum Theater. Nicht den Nullpunkt hätte er erreicht, sondern den Minus-Einspunkt, sagt er im Rückblick. In dieser Zeit tingelt er durch die Lande und tritt bei Betriebsfesten und Familienfeiern auf.
Dann kommt 1989 ein Anruf, der seine depressive Phase beendeten wird. Wolfgang Rommerskirchen - inzwischen Intendant des Wolfgang-Borchert-Theaters - holt Busso Mehring mit einem festen Engagement an sein Theater. Bussos Karriere am Wolfgang-Borchert-Theater beginnt.
Busso Mehring kommt als Naturtalent, als Autodidakt zur Bühne. Mit seiner tiefen Reibeisenstimme spielt das münstersche Urgestein gern den schrulligen Typen mit Herz. Und ebenso brilliert Busso in seiner zweiten Muttersprache, dem Plattdeutschen. In unzähligen WDR-Hörspielen ist er zu hören, und in mehr als 40 Kino- und Fernsehfilmen spielt Busso Mehring ebenfalls mit.
Vielleicht ist ,Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf' die erfolgreichste und wichtigste Rolle seines Lebens. Es ist ein fast zweistündiges Solostück, das dem ,Ansager' Busso Mehring alles abverlangt, physisch wie auch psychisch. Das Publikum ist bis auf die letzte Nervenfaser erregt und wird bis zum Schluss - ohne sich zu langweilen - voller Erwartung hingehalten. 75 ausverkaufte Vorstellungen, frenetischer Beifall, welch ein Erfolg!
Ulla Schürjohann hatte Busso Mehring kurz vor seinem Tod interviewt. Hier wird deutlich, welche Qualen ein Schauspieler durchlebt, von denen der Zuschauer nichts ahnt. Sie schreibt:
,Nach einer Vorstellung war er ausgelaugt und für eine halbe Stunde nicht ansprechbar. Lampenfieber und Alpträume gehören zu jedem Auftritt; Angst den Text zu vergessen, Angst, dass die Stimme versagt, Angst vor Misserfolg. Mehring spielte gern im Borchert-Theater, weil er den Zuschauern sehr nahe sein konnte. Zugleich war es aber auch schwer, in dem kleinen Theater aufzutreten, ,weil das Publikum schon einen falschen Wimpernschlag mitbekommt.'
Der Tod trifft Busso am 23. Januar 1999 unvermittelt. Er wohnte in dem kleinen Hotel Lohmann in Mecklenbeck. Abends - nach einer Vorstellung - verabschiedete sich Busso bei seinem Vermieter und brach kurze Zeit später tot zusammen. Es mag ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall gewesen sein. Tage zuvor hatten wir uns noch in der Gaststätte ,Hora Est' getroffen und über Persönliches gesprochen.
Seine Urne wurde auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.
Busso Mehring wird in die Zeit des Nationalsozialismus hineingeboren. Die letzten Kriegsjahre, das zerstörte Münster, die Not der Nachkriegszeit mit ihrer Muffigkeit erlebt Busso als Heranwachsender. Diese Zeit hat ihn geprägt und bleibenden Eindruck hinterlassen.
Seine Homosexualität wird von Zeitzeugen nebensächlich - nur am Rande - erwähnt. In der trutschigen, bigotten Nachkriegszeit dürfte allerdings die Strafbarkeit und die gesellschaftliche Ächtung für ihn belastend gewesen sein.
Herausragend ist die Virtuosität seiner Schauspielkunst. Mit seiner Sprache - jonglierend mit Stimmlage und Mimik - und einer imposanten Körperlichkeit versetzt er sich in die zu spielende Figur, gestaltet und interpretiert sie.
Seine legendären Stegreifauftritte finden oft bierlaunig und voller Lebenslust in Münsters Gaststätten statt. In der 'Golden Hundert' (Hammer Straße) zum Beispiel imitiert Busso Johannes Heesters und singt dessen Gassenhauer ,Heut' geh' ich ins Maxim.' Was wäre er ohne sein Publikum? Er braucht es, wie die Luft zum Atmen...
Busso Mehring habe ich als einen besonderen und liebenswerten Menschen kennengelernt. Wir verstanden uns.
Ich war fasziniert von seiner Ausstrahlung und seiner Schauspielkunst. Eine tiefergehende Seite seines Wesens behielt er für sich, auch seine Einsamkeit war nur ansatzweise zu vermuten.
Sein Brief an Hans Dieter Schwarze endet mit dem Gruß ,Mönster bliew Mönster'. Ich grüße dankend mit
,Guat goan, Busso.'
Zeitzeugen erzählen: Zeitzeugen erzählen
Schriftstücke und Fotos: Dokumentensammlung
Mein herzlicher Dank für die Unterstützung geht an:
Tanja Weidner, Dramaturgin des Wolfgang-Borchert-Theater
Katharina Tiemann, LWL-Archivamt für Westfalen
Gerhard H. Kock, Westfälischen Nachrichten
Dr. Jörgen Vogel, Saxonia Münster
Ulla Schürjohann, sie schrieb über Busso Mehring
Willy Wienstroer, vormals technischer Leiter am Wolfgang-Borchert-Theater
Uwe Hasenkox und Hans-Jürgen Blaschke für Fotos und Informationen
Besonders danke ich den vielen Personen, die sich mit mir in Verbindung gesetzt haben und zum Gelingen dieser Veröffentlichung beigetragen haben.
Quellen:
Text und Idee: Henning Stoffers
Fotos, wenn mit ,WBT' gekennzeichnet: Wolfgang-Borchert-Theater