Münster, Ende 2020
alte Erinnerungen werden wach, wenn ich an Busso Mehring denke. Wir waren - zwar nur für wenige Jahre - gut miteinander bekannt. Mein Anliegen, über ihn und sein Wirken zu schreiben, besteht seit langer Zeit. Immer wieder wurde ich durch seine bei mir unübersehbar abgelegte Todesanzeige daran erinnert. Und nun - ich freue mich - ist es endlich soweit.
Lesen Sie über Busso Mehring - ein Urgestein unserer Stadt.
Ihr Henning Stoffers
Ein Vorwort
Teil 1 - Stationen
Teil 2 - Erinnerungen
Teil 3 - Über den Menschen
Ein persönliches Nachwort
Anhang 1 - Zeitzeugen erzählen
Anhang 2 - Dokumentensammlung
Vor 22 Jahren starb Busso Mehring. Auf der Suche nach Informationen, Anekdoten und Bildern war ich überrascht, wie wenig heute über Busso Mehring zu finden ist. Dieses ist insbesondere deswegen verwunderlich, weil er zu Lebzeiten in Münster und in den Medien sehr präsent war.
Dass dieser Beitrag nun erscheinen kann, ist der bereitwilligen und unkonventionellen Unterstützung vieler Menschen zu verdanken.
Bei etlichen Gesprächen sagten die Befragten, dass sie sich gern an sein Leben und Wirken erinnern. Dies hat mich bestärkt, diesen Beitrag zu schreiben.
Rainer-Christian Mehring, so heißt das Kind, das 1936 zur Welt kommt. Der Vater Christian ist Stadtbeamter und nach dem Krieg zuständig für den Lastenausgleich. Zu seiner Mutter Heti hat Rainer-Christian eine besonders tiefe Bindung. Er besucht das Ratsgymnasium, und schon in diesen Jahren macht sich seine schauspielerische Begabung bemerkbar.
Er kann den damaligen Oberbürgermeister Busso Peus meisterlich imitieren, so dass seine Mitschüler ihn voller Bewunderung fortan ,Busso' nennen
Busso Mehring und Ulrich Schamoni (Regie und Drehbuch: ,Alle Jahre wieder') gehören der Laienspielschar der Städterpenne an, wo sie - nach Bussos Worten - erfolgreich wirken.
Der damalige Schulleiter am Ratsgymnasium heißt Emil Lücke. Hat Ulrich Schamoni vielleicht den Familienamen des Schulleiters bewusst für die Hauptfigur des Films - nämlich Hannes Lücke - gewählt?
Als einziger Schüler darf er sogar nach dem Abitur seinen Lehrer Wilhelm Loy duzen. Dies mag als Beleg für sein gewinnendes, sympathisches Wesen gelten, Menschen für sich zu vereinnahmen. Diese positive Eigenschaft zieht sich durch sein ganzes Leben.
In Garten der Geiststraße 70. In der Mitte Busso Mehring, etwa sechs Jahre alt. Rechts Busso Mehrung etwa 14-16 jährig.
Fotos: Rüdiger Zychski
Wie sehr Busso Mehring Menschen in seinen Bann ziehen konnte, zeigt die Schilderung von Dr. Achim Regenbrecht (vom Autor nacherzählt):
,Mit Busso war ich befreundet. Es war im Jahre 1960. Wir hatten einige Biere getrunken und waren pleite. Auf dem Nachhauseweg kamen wir an der Regina-Bar - so hieß sie wohl - auf der Hammer Straße vorbei. Busso: ,Komm, da gehen wir rein'. Dass wir kein Geld mehr hatten, das war ihm gleichgültig.
Ein Herr - wie sich später herausstellte aus dem Emsland - war der einzige Gast. Drei Barfräulein langweilten sich mit ihm im Hintergrund. Die bestellten Herrengedecke kamen. Busso lauschte auf das Gespräch zwischen dem Herrn und den Damen. Als es dann ans Bezahlen ging, fragte Busso den Herrn, ob er zu Lebzeiten einmal seine Grabrede hören möchte. ,Ja, warum nicht, sehr gern', war die Antwort.
Busso legte los. Alles, was er belauscht hatte, verarbeitete er in seiner Ansprache - phantasievoll ausgeschmückt und mit viel spontaner Kreativität.
Bei den Zuhörern zunächst Erstaunen, dann Betroffenheit, gefolgt von Gerührtheit, Ergriffenheit - anschließend flossen hemmungslos die Tränen. Der Herr aus dem Emsland gab verheult die nächsten Herrengedecke aus und bezahlte die gesamte Rechnung.'
Busso Mehring beginnt nach dem Abitur das Studium der Rechtswissenschaften und wird Bundesbruder der Saxonia-Studentenverbindung.
Jochem Vorstheim, damaliger Philistersenior, schreibt in seinem Nachruf über Busso Mehring:
,Busso gehörte zu jenen Bundesbrüdern, die jede Saxonengeneration kannte. Am 11. Dezember 1958 wurde er recipiert, und schon war das Saxonenhaus seine Bühne und die Bundesbrüder sein Publikum, das er zu begeistern wusste. ...Immer war Freude, wo immer er auftrat; und so plötzlich, wie er nach mancher Vorstellung spät abends auftauchte, so entschwand er auch aus diesem Leben.'
Busso hat sein Talent entdeckt, mit freier Rede Menschen in den Bann ziehen zu können. Er tritt fortan als begnadeter Grabredner auf. Für ihn ist dies nicht nur ein angenehmes Tätigkeitsfeld, sondern zugleich eine wichtige Erwerbsquelle. Am Grabe Verstorbener hält er über deren Leben seine Ansprachen. Dann ist es mucksmäuschenstill, und Ergriffenheit hält Einzug. Ein kleiner Spickzettel mit ein paar Daten und wenigen Angaben über das Leben des Verstorbenen sind für Busso völlig ausreichend. Mit viel Phantasie, Kreativität und Gefühl schmückt er dann seine Ansprachen aus.
Ein lustiger Satz aus jener Zeit ist mündlich überliefert: ,Schlafe gut und schlafe lecker, in einem Sarg von Backernecker!' Die Firma Backernecker von der Hammer Straße hatte Mehring - neben anderen Bestattern - als Grabredner engagiert.
Seine Tätigkeit bleibt der katholischen Obrigkeit natürlich nicht verborgen. Bahnen sich vielleicht unerwünschte Sitten an, wird das kirchliche Ritual unterminiert oder handelt es sich generell um Despektierliches?
Bischof Dr. Michael Keller ist jedenfalls nach dem Gespräch mit Busso beruhigt, erteilt seinen Segen, und der letzte Wunsch Sterbender ,Ich will am Grab den Busso' kann auch künftig erfüllt werden.
Und auch das gehört zu seinem Repertoire: das Imitieren der Stimmen berühmter Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Heinrich Lübke, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher oder Johannes Paul II.
Busso Mehrings besteht das 2. Staatsexamen nicht und kann somit nicht Rechtsanwalt oder Richter werden. Zu sehr ist das Mimische seine wahre Begabung, der wirkliche Mittelpunkt seines Lebens. Ausgerechnet das Friedhofsrecht verpatzt dem Grabredner die Prüfung - Ironie des Schicksals.
Saxonia-Bundesbruder Jochem Vorstheim erinnert sich (vom Autor nacherzählt):
,Busso zählte in der gemeinsamen Studienzeit und darüber hinaus zu meinen besten Freunden. Ich begleitete ihn bei vielen unserer Auftritte am Klavier.
Als stolzer Besitzer eines Autos - keine Selbstverständlichkeit in den frühen 1960er Jahren - setzte ich Busso oft vor seinem Elternhaus in der Geiststraße ab.
Er verabschiedete sich dann immer lauthals: ,Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer.' Zunächst war ich verwundert, bis mir klar wurde, dass sein Abschiedsgruß seinen Eltern galt. Sie sollten hören, dass er sich in ,gesitteter Gesellschaft' befunden hatte.
Herausragend war seine Fähigkeit, Stimmen bekannter Menschen zu imitieren. Das führte dazu, dass sich sogar das Bundespräsidialamt bei ihm meldete. Er möge, wenn er den Bundespräsidenten Heinrich Lübke imitiere, sich nicht von der DDR engagieren lassen. Eine missbräuchliche Verwendung für politische Zwecke könne in der angespannten Situation zwischen den beiden deutschen Staaten nicht ausgeschlossen werden.'
Alles beginnt mit dem Film ,Alle Jahre wieder'. Ulrich Schamoni bietet ihm - man kannte sich vom Ratsgymnasium her - eine kleinere Rolle an. Busso ist gerade Referendar geworden und traut sich eine Filmrolle eigentlich nicht zu. Zögerlich nimmt Busso an. 50 Mark werden für die kleine Rolle als Museumsführer mit Sabine Sinjen gezahlt. Dann holt ihn Intendant Hans-Dieter Schwarze - er ist der Hauptdarsteller Hannes Lücke im Film ,Alle Jahre wieder'- ans Landestheater Castrop-Rauxel. Dort bekommt Busso ein halbes Jahr lang Schauspielunterricht. Am Landestheater bleibt er fünf Jahre. Über mehrere Stationen geht es dann für elf Jahre an das Stadttheater Münster.
Ein kleiner Ausschnitt aus dem Film ,Alle Jahre wieder' zeigt Busso Mehring als Museumsführer zusammen mit Sabine Sinjen. |
Der Tod der Eltern - sie sterben im gleichen Jahr - ist für ihn ein furchtbares Ereignis und führt zu einer ausgeprägten Lebenskrise. Busso Mehring verliert seinen Bezug zum Theater. Nicht den Nullpunkt hätte er erreicht, sondern den Minus-Einspunkt, sagt er im Rückblick. In dieser Zeit tingelt er durch die Lande und tritt bei Betriebsfesten und Familienfeiern auf.
Dann kommt 1989 ein Anruf, der seine depressive Phase beendeten wird. Wolfgang Rommerskirchen - inzwischen Intendant des Wolfgang-Borchert-Theaters - holt Busso Mehring mit einem festen Engagement an sein Theater. Bussos Karriere am Wolfgang-Borchert-Theater beginnt.
Busso Mehring kommt als Naturtalent, als Autodidakt zur Bühne. Mit seiner tiefen Reibeisenstimme spielt das münstersche Urgestein gern den schrulligen Typen mit Herz. Und ebenso brilliert Busso in seiner zweiten Muttersprache, dem Plattdeutschen. In unzähligen WDR-Hörspielen ist er zu hören, und in mehr als 40 Kino- und Fernsehfilmen spielt Busso Mehring ebenfalls mit.
Vielleicht ist ,Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf' die erfolgreichste und wichtigste Rolle seines Lebens. Es ist ein fast zweistündiges Solostück, das dem ,Ansager' Busso Mehring alles abverlangt, physisch wie auch psychisch. Das Publikum ist bis auf die letzte Nervenfaser erregt und wird bis zum Schluss - ohne sich zu langweilen - voller Erwartung hingehalten. 75 ausverkaufte Vorstellungen, frenetischer Beifall, welch ein Erfolg!
Ulla Schürjohann hatte Busso Mehring kurz vor seinem Tod interviewt. Hier wird deutlich, welche Qualen ein Schauspieler durchlebt, von denen der Zuschauer nichts ahnt. Sie schreibt:
,Nach einer Vorstellung war er ausgelaugt und für eine halbe Stunde nicht ansprechbar. Lampenfieber und Albträume gehören zu jedem Auftritt; Angst den Text zu vergessen, Angst, dass die Stimme versagt, Angst vor Misserfolg. Mehring spielte gern im Borchert-Theater, weil er den Zuschauern sehr nahe sein konnte. Zugleich war es aber auch schwer, in dem kleinen Theater aufzutreten, ,weil das Publikum schon einen falschen Wimpernschlag mitbekommt.'
Westfälisches Literaturarchiv im LWL-Archivamt für Westfalen - Hans Dieter Schwarze (Best. 1050 159)
Diesen anrührenden Brief schreibt Busso Mehring 1967 - er ist 31 Jahre alt - an den zehn Jahre älteren Hans Dieter Schwarze. In seinen Zeilen wird deutlich, wie sehr er sich mit dem Thema des Films ,Alle Jahre wieder' auseinandersetzt und wie sehr er Hans Dieter Schwarze verehrt. In der wunderbaren Szene mit Sabine Sinjen spielt Busso Mehring den Museumsführer des Landesmuseums. In allerfeinster münsterländischer Sprachfärbung hält er einen Vortrag über das Wesen des Münsterländers.
Hans Dieter Schwarze hat seinem Freund Busso zwei Stücke ,auf den Leib‘ geschrieben. Er fragt mit vorstehendem Brief an, ob Busso beide Stücke spielen möchte.
Zwischen Hans Dieter Schwarze und Busso Mehring entwickelt sich im Laufe der Jahre eine gute, vertrauensvolle Freundschaft. Hans Dieter Schwarze schreibt später zu Bussos 25jährigem Bühnenjubiläum das Bühnenstück ,Keine Haftung für Ihre Garderobe'. Es sind Kneipenszenen, und wie rein zufällig heißt der Wirt in diesem Stück ,Busso'.
Natürlich war Busso Mehring auch beim münsterschen Karneval dabei, zumal er seine Wohnung auf dem Poahlbürger-Hof hatte. Das Mietverhältnis endete allerdings nicht gütlich, was an seiner nicht immer einfachen Lebenweise lag.
Etwas Unerwartetes - was bei ihm eigentlich nicht zu vermuteten war - konnte beobachtet werden, wenn Busso als Richter bei den Tennengerichten der Poahlbürger auftrat. Das Tennengericht war nicht seine Welt. Er wirkte hölzern und irgendwie deplatziert. Ihm fehlten die Leichtigkeit und Souveränität, die ihn sonst auszeichneten.
Busso Mehring sah ich in den 1990er Jahren bei seinen verschiedenen Auftritten im Wolfgang-Borchert-Theater in den Räumen des Bahnhofs. Erstmals sprachen wir miteinander nach einer Aufführung des ,Weißen Rössl' und verabredeten uns zu einem Treffen. Aus dem einen Treffen wurden mehrere, er konnte so herrlich erzählen.
Busso lud ich zu einer Lesung in Nottulns ,Alte Amtmannei' ein. Er rezitierte unter anderem Annette von Droste Hülshoffs ,Knabe im Moor' mit seiner tiefen, ausdrucksstarken Stimme, dass Gänsehaut unvermeidbar war. Dann imitierte Busso den damaligen Papst Johannes Paul II. und bezeichnete ihn wegen seiner ausgeprägten Reisetätigkeit humorig als ,Polnische Flugente'. Murmelnde Empörung bei Zuhörern mit katholischen Ohren. Dennoch, es war ein gelungener, amüsanter Abend.
Nach diesem Erfolg war schnell Bussos Auftritt als ,Ansager' in der Aula des Nottulner Gymnasiums abgemacht. Als es dann soweit war, rückte Regisseur Heinz-Rudolf Müller zunächst die einzige Requisite des Stücks - einen schwarzen Stuhl - mit größter Akribie an die gewünschte Stelle der Bühne. Sogar kleine Markierungen brachte er dafür am Bühnenboden an.
In der vollbesetzten Aula stand nun Busso auf der Bühne: allein, weißer Anzug, schwarze Perücke, rotes Gesicht, beleibt und schwitzend. Er zog das Publikum in seinen Bann. Der Spannungsbogen stieg immer weiter, man spürte die Qual und das Leiden des Ansagers, dass endlich die Striptease-Tänzerin kommen möge - das Publikum litt ebenso qualvoll mit. Als er dann - der Not gehorchend - Anstalten machte, sich seiner Kleidung in einem Striptease zu entledigen, senkte sich der Vorhang zur Pause. Busso hatte Imaginäres in die Köpfe des Publikums projiziert und dies nur mit seiner Person und einem Stuhl. Einige Damen und Herren verließen pikiert den Saal; sie wollten Bussos zu erwartenden Striptease nach der Pause nicht erleben, sie wollten ihn nicht nackt sehen...
Keine Sorge, es gab keinen Striptease. Die Vorstellung wurde fortgesetzt und endete mit begeistertem Beifall des Publikums. Anschließend saßen wir bei einem gemütlichen Bier zusammen. Das Honorar wurde direkt in Münzen und Scheinen aus der Eintrittsgeld-Zigarrenkiste übergeben.
Der Tod trifft Busso am 23. Januar 1999 unvermittelt. Er wohnte in dem kleinen Hotel Lohmann in Mecklenbeck. Abends - nach einer Vorstellung - verabschiedete sich Busso bei seinem Vermieter und brach kurze Zeit später tot zusammen. Es mag ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall gewesen sein. Tage zuvor hatten wir uns noch in der Gaststätte ,Hora Est' getroffen und über Persönliches gesprochen.
Bussos Beerdigung war äußerst bemerkenswert. In der Friedhofskapelle des Zentralfriedhofs hatten sich 100 und mehr Trauergäste versammelt. Ein extra installierter Fernseher zeigte Bilder seines Wirkens. Die gehaltenen Ansprachen würdigten angemessen sein Leben und Wirken. Zur Sprache kam auch, dass es zu seinen Eigenschaften gehörte, sich gern Geld zu borgen. Aber Busso gab genauso gern ab, wenn er welches hatte; auch das wurde gesagt.
Als dann der Leichenwagen langsam voranfuhr, und die Trauergemeinde gemessenen Schrittes ihm etwa 100 Meter gefolgt war, beschleunigte der Wagen in Richtung Himmelreichallee und verschwand durch das geöffnete Tor. Neben mir stand Regierungspräsident Jörg Twenhöven, der - wie alle anderen Trauergäste - völlig perplex war.
Ob es von Busso so geplant war, das weiß ich nicht. Aber ich denke, dieser überraschende Abgang war ganz in seinem Sinne.
Inzwischen habe ich erfahren, dass die Fahrt des Leichenwagens zum Krematorium führte. Seine Urne wurde später auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.
Von Geburt an und bis in die 1980er Jahre hinein wohnt Busso Mehring bei seinen Eltern in der damals ruhigen Geiststraße 70. Es ist eine Doppelhaushälfte im Stil der 20er, 30er Jahre.
Später hat er seine Wohnungen im Paolbürger-Hof, in der Germania-Brauerei und zuletzt im Haus der Gaststätte Lohmann in Mecklenbeck.
Busso Mehring wird in die Zeit des Nationalsozialismus hineingeboren. Die letzten Kriegsjahre, das zerstörte Münster, die Not der Nachkriegszeit mit ihrer Muffigkeit erlebt Busso als Heranwachsender. Diese Zeit hat ihn geprägt und bleibenden Eindruck hinterlassen.
Die Bilder, die ihn als Mitzwanziger zeigen, vermitteln ausgelassene Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Er hat den ,Schalk im Nacken.'
Herausragend ist die Virtuosität seiner Schauspielkunst. Mit seiner Sprache - jonglierend mit Stimmlage und Mimik - und einer imposanten Körperlichkeit versetzt er sich in die zu spielende Figur, gestaltet und interpretiert sie.
Seine legendären Stegreifauftritte finden oft bierlaunig und voller Lebenslust in Münsters Gaststätten statt. In der ,Golden Hundert' (Hammer Straße) zum Beispiel imitiert Busso Johannes Heesters und singt dessen Gassenhauer ,Heut' geh' ich ins Maxim.' Was wäre er ohne sein Publikum? Er braucht es, wie die Luft zum Atmen...
Die Menschen sind sein Elixier, das ihn zu Höchstleistungen auflaufen lässt. Bussos Höflichkeit, das gute Benehmen und die elegante Kleidung sind bestechend. Und auch das ist er: bekennend katholisch und sympathisch konservativ.
Wie stark Busso mit seinem Elternhaus verankert ist, zeigt sich beim Tod beider Elternteile in den 1980er Jahren. Er fällt in eine tiefe Depression. Aber auch an anderer Stelle wird seine engste Verbundenheit mit den Eltern deutlich. Wenn der Mitzwanziger an Wochenenden nicht zu Hause nächtigt, tut er anschließend alles, um seine verärgerte Mutter zu beschwichtigen.
Einer seiner Charakterzüge ist ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis - nicht nur den Eltern, sondern auch den Mitmenschen gegenüber.
Seine Homosexualität wird von Zeitzeugen nebensächlich - nur am Rande - erwähnt. In der trutschigen, bigotten Nachkriegszeit dürfte allerdings die Strafbarkeit und die gesellschaftliche Ächtung für ihn belastend gewesen sein.
Von einigen Befragten wird angemerkt, dass bei Busso Mehring eine tiefe Einsamkeit zu erahnen ist, die er in seinem Innersten verbirgt.
Bei aller vermeintlicher Leichtigkeit seines Lebens zeichnet Busso Mehring eine besondere Eigenschaft aus: seine Hilfsbereitschaft. Er kann zuhören und Trost spenden. Man fühlt sich von ihm angenommen und verstanden.
Dann gibt es den Lebenskünstler Busso Mehring, der sich mit der fortwährenden Knappheit seiner Finanzen arrangieren muss, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Daneben ist Alkohol ständiger Begleiter, der zeitweise beruflich wie auch privat zerstörerisch wirkt. Hans Dieter Schwarze wird 1991 in einem Brief sehr deutlich, indem er das Alkoholproblem direkt anspricht. Er hoffe auf Bussos Neuanfang in seinem neuen Stück ,Sieben Tage auf dem Lande' und schreibt, dass er an ihn glaube.
Etliches über Busso Mehrings Leben liegt im Dunklen. Über sein Elternhaus, seine Kindheit und Jugendjahre ist nur wenig bekannt. Vielleicht könnte sich hier ein Schlüssel finden, der die Persönlichkeit Busso Mehrings weiter erschließt.
Busso Mehring habe ich als einen besonderen und liebenswerten Menschen kennengelernt. Wir verstanden uns.
Ich war fasziniert von seiner Ausstrahlung und seiner Schauspielkunst. Eine tiefergehende Seite seines Wesens behielt er für sich, auch seine Einsamkeit war nur ansatzweise zu vermuten.
Sein Brief an Hans Dieter Schwarze endet mit dem Gruß ,Mönster bliew Mönster'. Ich grüße dankend mit
,Guat goan, Busso.'
Zeitzeugen erzählen: Zeitzeugen erzählen
Schriftstücke und Fotos: Dokumentensammlung
Mein herzlicher Dank für die Unterstützung geht an:
Tanja Weidner, Dramaturgin des Wolfgang-Borchert-Theater
Katharina Tiemann, LWL-Archivamt für Westfalen
Gerhard H. Kock, Westfälischen Nachrichten
Dr. Jörgen Vogel, Saxonia Münster
Ulla Schürjohann, sie schrieb über Busso Mehring
Willy Wienstroer, vormals technischer Leiter am Wolfgang-Borchert-Theater
Uwe Hasenkox, Rüdiger Zychski und Hans-Jürgen Blaschke für Fotos und Informationen
Besonders danke ich den vielen Personen, die sich mit mir in Verbindung gesetzt haben und zum Gelingen dieser Veröffentlichung beigetragen haben.
Quellen:
Text und Idee: Henning Stoffers
Fotos, wenn mit ,WBT' gekennzeichnet: Wolfgang-Borchert-Theater