ums ,Aegidiiviertel' hatte ich bislang einen großen Bogen geschlagen. Vom Umfang her befürchtete ich, dass das übliche Format meiner Bildgeschichten gesprengt werden würde, ...was letztlich auch der Fall ist. Nach einem Spaziergang durch das Viertel begann ich mit den ersten Zeilen, und dann ging es Schritt für Schritt voran.
Jetzt freue ich mich, Ihnen das Ergebnis präsentieren zu können.
Ihr Henning Stoffers
Die Aegidiistraße mit ihren Gässchen liegt im Herzen Münsters. Das Aegidiiviertel war bis zur Kriegszerstörung geprägt von noblen Bürgerhäusern, Adelshöfen, kirchlichen Gebäuden und Häusern schlichter Bauweise. Die Aegidiistraße ist keine Flaniermeile wie der Prinzipalmarkt, und sie ist auch nicht vergleichbar mit den Einkaufsmeilen Ludgeri- und Salzstraße.
Das jahrhundertelang gewachsene und arg zerstörte Stadtviertel zeigt sich heute wieder lebendig und auch kunterbunt.
Die heutige Aegidiikirche war ursprünglich eine Klosterkirche der Kapuziner. Johann Conrad Schlaun hatte das Gebäude in den Jahren 1724 bis 1728 umgebaut und erneuert.
Nach Abriss der schräg gegenüber liegenden alten Aegidiikirche mit allen darauf befindlichen Gebäudeteilen übernahm die Klosterkirche die neue Funktion als Pfarrkirche St. Aegidii.
Die Kirche hat den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden.
Die Aegidiistraße mit ihrem Umfeld hat eine lange Geschichte hinter sich. Sie war einst ein frühmittelalterlicher Handelsweg. Über die Jahrhunderte änderte sich der Straßennamen, wie z.B. in frühesten Jahren auf Niederdeutsch: Sanct-Iliens-Straße (Sanct-Aegidius-Straße), unter den Täufern: Königinnenstraße und später bis heute: Aegidiistraße. Die Straße führte direkt von der Rothenburg zu einem Stadttor, dem Aegidiitor.
Namensgeber der Kirche ist der Hl. Aegidiius, der zu den 14 Nothelfern zählt. Ihm werden Hilfe und Linderung bei Geisteskrankheiten und Fieberwahn zugeschrieben.
Auf dem großen Vorplatz der Kaserne fanden vielfältige Veranstaltungen statt, unter anderem auch der münstersche Send.
Ab 1918 waren in der Kaserne die Polizeischule und ein militärisches Versorgungsamt untergebracht.
Die ursprüngliche Aegidiikirche und ein Kloster der Zisterzienserinnen standen einst dort, wo sich heute der Aegidiimarkt befindet. Im Jahre 1821 stürzte die marode Kirche ein. Das Grundstück mit den noch vorhandenen Gebäuden des Klosters wurde geräumt, um es mit einer Kaserne, der Aegidiikaserne, für 1500 Soldaten zu bebauen. Die Soldaten wohnten vor der Kasernierung privat in den Häusern der Münsteraner - und dies zu deren großem Leidwesen - und später auch in Klöstern, die nach 1810 aufgelösten worden waren.
Nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde das Grundstück ab Mitte der 50er Jahre als Parkplatz genutzt.
Ein Wiederaufbau der Kaserne war selbstverständlich ausgeschlossen, und der viel diskutierte Bau einer Markthalle verlor das Rennen. Stattdessen entstand 1975 das Wohn- und Geschäftshaus Aegidiimarkt mit einer zehngeschossigen Tiefgarage.
Die Bauarbeiten verursachten massive Probleme. Da sehr tief - 18 Meter - für die unterirdischen Geschosse der Garage gegründet wurde, muss das hochstehende Grundwasser laufend abgepumpt werden.
Durch die Senkung des Grundwasserspiegels entstanden Schäden an Gebäuden der Nachbarschaft. Dies führte zu langen Schadensersatzprozessen. Im Übrigen befindet sich im 10. Untergeschoss ein Zivilschutzbunker für 3.000 Menschen. Daneben gab es auch eine Schießanlage, in der früher die Kunden der Firma Kettner Jagdwaffen ausprobieren konnten. - Mehr finden Sie in Martina Meißners Beitrag ,Aegidiimarkt'.
Die jahrhundertealte Bausubstanz vieler Fachwerkhäuser bot gegen die Bombardierungen besonders wenig Widerstand. Die Gebäude stürzten wir Kartenhäuser in sich zusammen. Zurück blieben nur Haufen von Schutt, Holzbalken und Hausrat. Das nebenstehende Foto dokumentiert dies eindrucksvoll.
Die alte Aegidiistraße war vor der Zerstörung eng und schmal. Nach der großflächigen Zerstörung wurde sie verbreitert wieder aufgebaut.
Beerdigt wurde zunächst auf dem Kirchhof der Aegidiikirche, ab etwa 1780 im zugeschütteten Befestigungsgraben zwischen Ludgeri- und Aegidiitor und ab etwa 1810 bis 1886 auf dem Aegidii-Ludgeri-Friedhof vor den Toren der Stadt. - Heute steht dort die Antoniuskirche.
Die Einwohnerbücher um 1900 geben Auskunft über die Struktur der damaligen Bewohner des Aegidiiviertels. Es waren Handwerker, Gastwirte, Arbeiter, Pensionäre, Kaufleute und auch Adelige. Nicht verwunderlich ist die große Zahl der Gaststätten, die gleichzeitig Bäckereien und Brauereien waren.
Neben prachtvollen Gebäuden, wie dem Landsberger Hof, gab es Anwesen gehobener Bürgerlichkeit, aber auch sehr schlichte, ärmliche Häuser.
Der Landsberger Hof war von Johann Conrad Schlaun umgestaltet worden und diente beim Kaiserbesuch 1907 als Quartier für adelige Gäste.
Nach dem Krieg entstand an dieser Stelle ein nüchternes, funktionales Wohnhaus mit einer Tankstelle - der Aegidii-Tankstelle - im unteren Bereich des Hauses. Das Gebäude mit der Tankstelle existiert inzwischen ebenfalls nicht mehr. An dieser Stelle ist ein neues Mehrfamilienhaus entstanden. - An den Landsberger Hof erinnert heute nichts mehr.
Auf ihren Wanderungen übernachteten Handwerksgesellen anfangs in Klöstern, später in Herbergen der Bäcker und Brauer. In Münster errichtete ein katholischer Gesellenverein 1852 am Domplatz eine Herberge für wandernde Gesellen. 1906 erfolgte der Umzug zur Aegidiistraße und hieß alsdann ,Kolpinghaus'. Nach dem Umbau heißt die Unterkunft nunmehr ,Stadthotel'.
Die Aa bildet westlich der Aegidiistraße eine natürliche Grenze, so dass nur die Mühlenstraße im Süden der Aegidiistraße in diese Richtung führt. Zur anderen Seite hin sind es die Lütke Gasse, der Aegidii-Kirchplatz (bis 1873 Kapuziner Gasse), die Breite Gasse, die Grüne Gasse, die Schützenstraße und die Wallgasse.
Der Name der Schützenstraße steht in enger Verbindung mit den damaligen Befestigungsanlagen. Die Straße gehörte zum mittelalterlichen Wegenetz und erinnert an die alten Aaschleusen zur Regulierung der Wasserstände der Gräben und an den Schüttenwall, der Übungsplatz für Schützen war.
Eine Wassermühle des Bispinghofs fand erstmals im Jahre 1217 Erwähnung und wurde Namensgeber der Mühlenstraße.
Der Name der Grünen Gasse deutet darauf hin, dass diese Straße einst wenig befahren oder begangen wurde, so dass Grünwuchs sich ausbreiten konnte (Deutung Wilhelm Kohl in der MZ-Serie von 1957). Außerdem rankt sich um die Grüne Gasse (Grone Stige) die (wohl nicht haltbare) Legende, sie sei in Zeiten der Pest einmal zugemauert worden, sich selbst überlassen, deshalb wäre sie so grün zugewachsen. Dies berichtete mir die Türmerin Martje Saljé. - Die Wall Gasse verlief parallel zum Wall der Befestigungsanlage und bekam deshalb diesen Namen.
In der Grünen Gasse stand ein einfach wirkendes, langgestrecktes Bürgerhaus mit einem Mittelgiebel. Es war im Besitz der Familie Droste zu Vischering und wurde 1780 von der Fürstin Amalie von Gallitzin erworben. Sie nutzte es als Stadthaus. Ihr weiterer Wohnsitz befand sich in Angelmodde.
Um die Fürstin versammelten sich die Intellektuellen und die damalige schöngeistige Elite. Goethe besuchte sie in der Grünen Gasse.
Auch der Philosoph Johann Georg Hamann verkehrte im Hause der Fürstin. Am 21.6.1788 wollte Hamann seine Heimreise nach Königsberg antreten, als er verstarb. Für einen evangelischen Christen war eine Beerdigung im katholischen Münster problematisch. Es gab keinen Friedhof für diese Glaubensangehörigen. Seine Leiche wurde im Garten der Fürstin - es war ihr großer Wunsch - beigesetzt. Nach deren Tod verkam der Garten zu einem Kartoffelacker. Die Umbettung der Leiche auf den Überwasserfriedhof kam auf Anweisung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zustande. Der Grabstein erinnert auch heute noch an den großen deutschen Philosophen.
Die Fürstin starb 1806 und wurde in Angelmodde beigesetzt.
Dort, wo einst ihr Wohnhaus stand, befindet sich heute das Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium.
Die Aegidiistraße ist heute eine wichtige Zufahrtsstraße ins Stadtinnere und wird von Fußgängern, Radfahrern und Autos stark frequentiert.
Restaurants und kleinere Geschäfte sind rechts und links der Straße - wie früher - zu finden. Vom Charme des alten Aegidiiviertels ist allerdings nichts geblieben. Einfache Nachkriegsbauten wurden der Not gehorchend schnell und billig erstellt. Zwischenzeitlich wird das eine oder andere Gebäude in einer architektonisch ansprechenden Form ersetzt.
Quellen
Text und Idee: Henning Stoffers
Abbildungen wenn nicht anders angegeben: Sammlung Henning Stoffers